Traumjob an der New Yorker Met: Chordirektor Tilman Michael
Es war sein Traum und für ihn hat sich dieser Traum erfüllt: Tilman Michael ist seit Neuestem Chordirektor am berühmtesten Opernhaus der Welt, an der Metropolitan Opera in New York. Aber wie wird man das? Ein Gespräch mit Tilman Michael.
Der gebürtige Stuttgarter Tilman Michael hat die Nachfolge von Donald Palumbo angetreten, der rund 17 Jahre den Chor der Met leitete. Zuvor war Michael zehn Jahre Chorleiter an der Oper in Frankfurt, hat an Häusern in Mannheim, Dresden, Moskau, Wien oder Buenos Aires gearbeitet, war Assistent bei den Bayreuther Festspielen, und direkt nach dem Studium hatte er ein Engagement an der Staatsoper in Hamburg.
Tilman Michael startet jetzt an der Met seine erste Spielzeit. Auf dem Programm steht Ludwig van Beethovens "Fidelio", die Oper wird am Sonnabend, 15. März, leicht zeitversetzt bei NDR Kultur übertragen. Und natürlich blickt Tilman Michael auch von New York aus nach Hamburg und beobachtet aus der Ferne die Pläne für ein neues Opernhaus. Auch darüber spricht Tilman Michael in NDR Kultur à la carte mit Friederike Westerhaus.
Sie sind Nachfolger von Donald Palumbo als Chordirektor an der Metropolitan Opera New York. Der war rund 17 Jahre lang am Haus und hat den Chor sehr stark geprägt. Wie sehr spüren Sie eine Offenheit des Chores Ihnen gegenüber?
Tilman Michael: Die spüre ich extrem. Ich gehe jetzt nicht in völlig andere Welten mit dem Chor. Aber ich spüre natürlich im Grundsatz, wenn jemand irgendwo 17 Jahre gewesen ist. Donald Palumbo ist ein ganz großartiger Kollege. Aber für so ein Ensemble würde ich sagen, sind 17 Jahre durchaus eine lange Zeit. Egal ob bei einem Orchester oder in einer Firma, wenn der Chef 17 Jahre da gewesen ist, dann ist es wahrscheinlich schon so, dass ein großer Anteil der Belegschaft sich freut, wenn mal jemand Neues kommt. Ich bin was Führungsqualitäten betrifft, eine andere Generation - - und das spüre ich auch. Das ist jetzt ein einschneidender Wechsel. Ich habe das Gefühl, dass viele vom Chor sich freuen, dass jetzt eine kleine neue Ära beginnt.
Wie kommt man an so einen Job? Ist das ein Bewerbungsverfahren, das ausgeschrieben wird? Oder ist man auf Sie zugekommen?

Michael: Das ist eine sehr gute Frage und es ist auch eine verrückte Geschichte. Ich habe mir immer gedacht, es wäre toll für mich und für meine Familie. Das wäre mal eine Chance, vielleicht eine Stelle im Ausland anzutreten. Ich habe im vergangenen Jahr mitbekommen, dass Donald aufhört. Dann habe ich auch diese Ausschreibung im Internet gesehen. Aber das ist so eine Stelle, da bewirbt man sich eigentlich nicht und das habe ich auch nicht gemacht.
Die Opernwelt ist extrem vernetzt: jeder kennt jeden. Das ist ganz klar, dass das nicht ganz formal offiziell vergeben wird, sondern man wahrscheinlich - so wie es jetzt auch passiert ist - ein paar sehr interessante Leute anspricht und dann schaut, wo es hingeht. Ich habe vergangenes Jahr eine E-Mail bekommen, ob wir mal telefonieren wollen. Dann haben wir gesprochen und uns in Deutschland getroffen. Schließlich wurde ich für eine Woche nach New York eingeladen.
Das war toll, dass man gefragt wird und spürt, die haben Interesse. Ich habe noch lange gedacht, das ist eine riesige Ehre, dass ich jetzt mit in den Kreis der Angefragten gehöre. Aber lange Zeit habe ich gedacht, am Schluss werden die sich bei mir bedanken und sagen, es war toll, aber wir haben uns für jemand anderes entschieden. Aber so ist es nicht gekommen. Ich war von dem Angebot positiv geschockt.
Jetzt sind Sie mit der Familie nach New York gegangen. Haben Sie sich schon ein bisschen eingelebt?
Michael: Die ersten Wochen hat sich das wirklich surreal angefühlt, morgens zum Lincoln Center zur Met zu fahren, dort reinzugehen und zu proben. Natürlich gibt es am Anfang ganz viel Bürokratie, ganz viele Aufgaben in allen Bereichen: Von Wohnung finden, bis wie funktioniert hier die Krankenversicherung? Wie bekomme ich meine Social Security Nummer. Da muss man sich reinarbeiten, damit man alles versteht. Jetzt bin ich ein halbes Jahr da. Vieles ist jetzt schon zur Gewohnheit geworden, manches braucht trotzdem noch Zeit.
Das heißt, Sie reiben sich nicht mehr jedes Mal die Augen, wenn sie morgens aufwachen und denken: ich bin in New York!
Michael: Nicht mehr ganz. Aber natürlich ist alles immer noch total neu. Jetzt ist zum Beispiel der erste richtige New Yorker Winter gewesen, der ist richtig kalt. Teilweise hat es viel Schnee gegeben - und wir konnten mit den Kindern Schlittenfahren. Klar ist alles noch sehr neu, und wir erkunden noch die Stadt. An der Met, wie das in der Oper und auch in sonstigen Berufen so ist, kommt man schnell in den Alltag und in Routinen. Es gibt ganz viel zu tun und zu besprechen, dann ist man schon im täglichen Ablauf. Zwischendrin setze ich mich hin und sage mir, Mensch, es ist nicht zu fassen, dass ich jetzt hier bin.
Ist die aktuelle politische Situation in den USA denn etwas, wo Sie den Eindruck haben, das treibt die Künstlerinnen und Künstler an der Met um? Gibt es da im Moment eine größere Unsicherheit?
Michael: Das treibt natürlich alle um. Ich glaube, viele von uns haben gehofft - ohne naiv zu sein - dass das vielleicht alles nicht so schlimm kommt. Jetzt haben wir im Grunde alle das Gefühl, es kommt noch viel schlimmer, als wir das gedacht haben. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Albtraum an. Institutionell gesehen sind wir an der Met - dadurch, dass wir unabhängig sind - nicht in Gefahr. Traurige Entwicklungen gibt es dagegen beim Kennedy Center in Washington, das mit großer Verachtung und mit großem Desinteresse einfach mal zerschlagen wird mit neuer Leitung. Das sind wirklich ganz traurige Entwicklungen. Alles, wofür die Kunst steht, also für Offenheit, für Toleranz auch für Diversität ist im Moment scheinbar komplett unerwünscht. Wir haben alle große Sorge, aber andererseits sind wir die Met und wir sind New York. In New York ist anders gewählt worden als im gesamten Land. Wir haben jetzt schon das Gefühl, dass wir erstens erst recht gebraucht werden und zweitens, dass keine konkrete Gefahr besteht. Die Regierung kann jetzt nicht einfach die Met übernehmen.
Jetzt wissen wir, dass in Hamburg ein neues Opernhaus gebaut werden soll, am Baakenhöft in der Hafencity, auf Initiative des Kunstmäzens Klaus-Michael Kühne. Die Kühne-Stiftung wird den Bau des Opernhauses finanzieren. Wie finden Sie das aus der Ferne betrachtet?
Michael: Toll, ich habe natürlich immer noch viele Kontakte nach Hamburg. Ich habe einige sehr gute Freunde im Chor, zu denen ich Kontakte habe. Und ich bin auch mit Tobias Kratzer gut befreundet, der der neue Intendant an der Hamburgischen Staatsoper wird. Wir haben ein paar Produktionen zusammen in Frankfurt gemacht. Das ist natürlich sehr spannend. Die Staatsoper in der Dammtorstraße, ganz nah an der Binnenalster, einerseits liegt sie einfach so an der Straße, das ist nicht ganz optimal, aber andererseits ist sie natürlich ganz zentral, mitten in der Stadt. Jetzt kommt dann wahrscheinlich die Oper ein bisschen nach draußen, aber man hat mit der Elbphilharmonie damals auch gesagt, ob die Lage nicht vielleicht zu sehr am Rand ist? Und es funktioniert fantastisch, und die Stadt expandiert. Das finde ich super spannend. Ich komme auf jeden Fall vorbei, wenn es so weit ist.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
