Film- und Bühnenkomponist Lorenz Dangel über Schlussstriche
Lorenz Dangels minimalistischer Einsatz von Musik in Filmen sticht immer wieder heraus, so auch bei der Filmmusik von "September 5 - The Day Terror Went Live" -über die Live-Fernsehreportage des Olympia-Attentats von 1972.
Lorenz Dangel arbeitet als Komponist für die Bühne und den Film. Schon für seine erste große Produktion "Schläfer" von Benjamin Heisenberg wurde er mit dem Max Ophüls Filmmusikpreis ausgezeichnet. In ihrer Begründung hob die Jury Dangels äußerst minimalistischen Einsatz von Musik hervor. Diesem Stil ist Lorenz Dangel treu geblieben, auch bei der Filmmusik von "September 5 - The Day Terror Went Live", dem atemberaubenden Drama von Tim Fehlbaum um die Live-Fernsehreportage des Olympia-Attentats von 1972. Als Komponist für die Konzertbühne kann Lorenz Dangel aber auch ganz anders. Gerade erst hat er das Werk "Phon" für rund 300 Musikerinnen und Musiker komponiert, das im Sommer vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks uraufgeführt wurde. Über seine Arbeit, die größten Glücksgefühle und über seine Musik spricht Mischa Kreiskott mit Lorenz Dangel in NDR Kultur à la carte.
Was sind in Ihrem Beruf die Momente mit dem größten Glücksgefühl?
Lorenz Dangel: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, Schlussstriche ziehen. Nicht in meinem Leben, sondern auf der Partitur, die ich schreibe. Schlussstriche finde ich faszinierend, weil dieses Gefühl, ein Werk fertig geschrieben zu haben, da fällt etwas von einem ab, und gleichzeitig ist man im besten Falle zufrieden. Das ist ein Moment des großen Glücks. Es ist auch toll, die Musik zum ersten Mal zu hören, zum Beispiel in der konzertanten Musikwelt, das ist spannend und nervenaufreibend, aber mit viel Glück verbunden.
Womit hadern Sie manchmal bei diesem Beruf?
Dangel: Mit Schlussstrichen. Ich glaube, hadern oder sagen wir mal zweifeln, tue ich genauso wie jeder andere Künstler oder Künstlerin während des kreativen Prozesses. Ich zweifele an dem, was man tut. Für mich gibt es immer einen Moment, man hat abends nach einem langen Arbeitstag eine Idee und notiert sich die noch schnell, damit sie nicht verloren geht. Dann ist man begeistert, geht euphorisch ins Bett und am nächsten Morgen schaut man drauf und denkt, ich überlege noch mal was Neues. Diese Momente gibt es. Aber es gibt auch andere Momente im kreativen Prozess, wo man wirklich mit viel Geschwindigkeit auf der Überholspur unterwegs ist.
Der Film "September 5" zeigt die Olympischen Wettkämpfe 1972 in München. Es sollten "heitere Spiele" werden - doch dann nimmt ein palästinensisches Terrorkommando Israelis als Geiseln. Der Film von Tim Fehlbaum erzählt die Geschichte aus der Sicht von Journalisten des amerikanischen Senders ABC: Das Team entscheidet sich gegen den Widerstand der eigenen Nachrichtenabteilung dafür, über die Geiselnahme live zu berichten. Das ist das allererste Mal in der Geschichte des Journalismus, dass so ein Attentat, so eine Katastrophe live im Fernsehen zu verfolgen war. Was war Ihre erste innerliche Reaktion auf dieses Drehbuch?
Dangel: Da gibt es natürlich zwei Reaktionen, die erste Reaktion ist natürlich die, auf das historische Ereignis selber. Das ist gerade als Deutscher ein Moment, der einen immer noch bewegt. Ich fand es immer interessant. Ich hatte ein paar Interviews in Amerika, und da wird man immer gefragt, ob ich von dem Attentat wusste. Das hat mich etwas überrascht und ich habe gedacht, wenn man hier in Deutschland aufwächst, dann kennt man dieses Attentat.
Das zweite war die Reaktion auf das Drehbuch, das im Film eine sehr besondere Position einnimmt. Das ist auch der Schlüssel für die Qualität und die Spannungen vom Körper dieses Films. Es geht gar nicht in erster Linie um das Attentat, sondern es geht um Medienarbeit. Es geht darum, wie diese Mitarbeiter dieses ABC TV-Teams mit dieser Situation umgehen und in kürzester Zeit Entscheidungen treffen. Was kann man zeigen? Was kann man nicht zeigen? Wie recherchiert man? Das ist auf eine erschreckende Art und Weise ein unglaublich aktuelles Thema geworden. Man muss sich dazu klarmachen, wir haben den Film vor dem 7. Oktober gedreht, und jetzt haben sich die Dinge noch mal verändert. Trotzdem oder gleichzeitig ist dieser Film dadurch wirklich sehr aktuell.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.