Feridun Zaimoglu: Trauer macht ihn Türkisch
Feridun Zaimoglu schreibt in "Sohn ohne Vater" über eine unvergessliche Reise, die der trauernde Sohn zum Grab seines Vaters macht. Über die Beziehung seines Vaters erzählt er im Interview.
Feridun Zaimoglu ist unermüdlich dabei zu schreiben. Unzählige Bücher, Romane, Drehbücher, Theaterstücke oder Essays hat Zaimoglu veröffentlicht, dafür wurde er vielfach mit Preisen ausgezeichnet. "Kanak Sprak" (1995) ist sein Debütroman mit dem Zaimoglu den literarischen Durchbruch schaffte. Seitdem schreibt er, selten ohne auch den gesellschaftspolitischen Diskurs auf Trab halten. Gerade frisch erschienen ist sein neuer Roman "Sohn ohne Vater". Ein Roman, der auf mitreißende Weise vom Schicksal einer Familie erzählt, und vom trauernden Sohn, der zum Grab des Vaters reist. Katja Weise spricht mit Feridun Zaimoglu in NDR Kultur à la carte über Literatur, Familienkonstellationen und Erinnerungen.
"Meine Mutter rief mich in aller Frühe an." Mit diesem Satz beginnt ihr Roman "Sohn ohne Vater". Wie war das jetzt, plötzlich mal aus der Sicht des Ich-Erzählers zu schreiben.
Feridun Zaimoglu: Ich habe die Ich-Perspektive immer wieder in anderen Büchern angenommen, und ich bin gewissermaßen in andere Leute gekrochen. Es war aber jeweils eine andere, fremde Person, die ich war. Ich bin ein großer Befürworter der kulturellen Aneignung. Wir würden verarmen, wenn wir darauf verzichteten. Insofern habe ich mit meiner Identität auf dem Papier immer wieder gebrochen. Ich war eine Frau, ein Mädchen, ich war Hitler, genauso wie Martin Luther. Ich war eine Berlinerin, und in diesem Roman "Sohn ohne Vater" bin ich gewissermaßen ich. Ich behaupte in diesem Buch ich zu sein. Ich behaupte in diesem Buch, Zaimoglu zu sein. Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, mir dies zu glauben. Ich finde, die Glaubwürdigkeit der handelnden Person oder die Glaubwürdigkeit der Person und der Personen in einem Roman ist wichtiger als die Glaubwürdigkeit des Schreibers. Ich halte viel vom Verschwinden des Schreibers in der Erzählung.
Es ist schon ein Spiel, dass Sie spielen - gerade wenn Sie sagen, das Ich ist eigentlich Ich oder vielleicht auch nicht Ich.
Zaimoglu: Es ist ein Spiel. Was bedeutet es, wenn man sagt, hoch lebe die abendländische Fabulierkunst. Ich komme in diesem Buch ins Fabulieren und ins Erzählen. Es ist eine Geschichte. Und wie erzählt man eine Geschichte? Man kann sich, der behaupteten Ich-Figur im Laufe der Geschichte entfremden. Man kann aber auch eine Geschichte vom Verlust des Vaters schreiben. Das ist eine Geschichte mit einem hohen Wiedererkennungswert, so dass es wirklich darum geht, dass die Geschichte glaubwürdig ist. Nur dann ist auch die Ich-Perspektive glaubwürdig. Es ist ein Spiel. Aber, das muss ich sagen, das Schreiben ist eine recht komplexe und komplizierte Angelegenheit, sodass man sich an bestimmte Regeln und Gesetze halten muss. Man ist nicht ganz der Schwerkraft enthoben.
Ihr Vater ist fast auf jeder Seite Ihres Romans präsent. Sie erzählen viele Geschichten. Das sind Geschichten, bei denen man sich fragen kann, inwieweit das jetzt der "Wahrheit" entspricht. Sie sind durch die Wahrnehmung des Kindes geprägt, dass sie damals waren, als der Vater möglicherweise ein Held war. Dann gibt es auch die Phasen, in denen man die Eltern vielleicht kritischer sieht. Was war Ihr Vater für ein Mensch? Wie würden Sie ihn beschreiben?
Zaimoglu: Meine Mutter sagt, und das stimmt, er war einer der schönsten und gut aussehendsten Männer, den sie kannte. Sie sagte, eine Frau sollte nie einen gut aussehenden Mann heiraten. Denn, er wurde auch von anderen Frauen geliebt. Es herrschte immer Windstille, das weiß ich noch. Auch, als ich mit meinem Vater ein Restaurant betrat, da herrschte plötzliche Windstille. Er sah wirklich sehr gut aus. Er lebte für die Familie, er opferte sich auf, wie meine Mutter. Er liebte Deutschland, und Gott sei Dank hat er diese Liebe auch an meine Schwester und mich weitergegeben. Es fiel ihm und vor allem meiner Mutter nicht ein, dort zu bleiben, wo sie sind, sondern sie wollten weiterkommen. In einem freien Land wie Deutschland ist es lächerlich, wenn ein Mensch auf die Idee kommt, zu sagen, mir sind die Wege versperrt. Das fiel ihnen damals nicht ein. Er und meine Mutter haben zu meiner Schwester und mir gesagt, als wir Kinder waren: 'Ihr seid kommende Deutsche, die ihre eigene Muttersprache noch erlernen müssen.' So etwas zu sagen, zeugt von einem Verständnis für die Gegenwart, aber auch einem Verständnis für die kommenden Tage. Mein Vater war jemand, der angepackt hat und er war ein sehr melancholischer Mensch.
Ihre Eltern haben gesagt, Sie müssen Ihre Muttersprache noch lernen, um in diesem Land weitergehen zu können oder ankommen zu können. Sie schreiben in dem Roman "Sohn ohne Vater", die Trauer macht mich Türkisch.
Zaimoglu: Ich mag Sentimentalität nicht. Ich mag dieses südländisch Aufschwingende nicht, ich mag das Laute und Lärmende nicht. Das klingt jetzt, als würde ich Klischees bemühen. Wenn man sich in den Szenen der wirklichen Wirklichkeit da draußen bewegt, sieht man das und entkommt dem vielleicht. All das drohte plötzlich aufzubrechen. Es ist gut, Tränen zu vergießen, aber ich habe tatsächlich auch die strenge Erziehung meines Vaters und meiner Mutter gespürt. Die Toten sind die Toten, aber wir müssen weiterleben. Die Trauer machte mich türkisch, bei dem Ausdruck wird es Leute geben, die sich fragen, was ich da erzähle. Das Türkische ist doch nicht nur Schmerz und Lust. Aber weil ich daher komme, kann man mir, glaube ich, nicht unterstellen, dass ich kulturalisiere. Ich hatte wirklich meine liebe Mühe, mich davon zu befreien. Man kann sagen, es ist menschlich, dass man trauert, aber nicht extrem. Es ist menschlich, und es ist gut, dass man Tränen vergießt, aber irgendwann ist Schluss. Es ist gut an den Menschen, der den Mann verloren hat zu denken. Es ist gut, Geschichten aufzuschreiben, aber irgendwann ist die letzte Seite ausgeschrieben und dann gibt es ein Ende.
Das Gespräch führte Katja Weise.
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