Der Schriftsteller Saša Stanišić steht neben einem Globus. © picture alliance Foto: Robert B. Fishman
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Der Schriftsteller Saša Stanišić steht neben einem Globus. © picture alliance Foto: Robert B. Fishman
AUDIO: Migration als emotionales Erbe: "Herkunft" in der Literatur (4 Min)

Migration als emotionales Erbe: Herkunft in der Literatur

Stand: 04.06.2024 10:51 Uhr

2019 gewann Saša Stanišić für seinen Roman "Herkunft" den Deutschen Buchpreis. Das Thema Herkunft treibt auch viele andere Autorinnen und Autoren um. Hier ein kleiner Überblick.

von Maren Ahring

Gefängnis, Folter und schließlich Flucht aus dem Irak- der Schriftsteller Abbas Khider hat viel erlebt. Seit über zwanzig Jahren lebt er in Deutschland und schreibt - besondere Aufmerksamkeit bekam 2016 sein vierter Roman "Ohrfeige". "In diesem Roman spricht ein Flüchtling, ein Asylbewerber, der selbst redet", sagt Khider. "Die Deutschen kommen nicht zu Wort, da haben sie nichts zu sagen. Er erzählt und sie müssen zuhören." Und so erfahren Leserinnen und Leser literarisch bearbeitet von der Trostlosigkeit eines Asylbewerberheims, von der Angst abgeschoben zu werden, von Hoffnungslosigkeit. Abbas Khiders eigene dramatische Geschichte spiegelt sich in seinen Büchern.

Migrationsgeschichte als Bereicherung

Die Wurzeln vieler deutschsprachiger Autorinnen und Autoren reichen in andere Kulturräume. Wer als Kind oder Teenager nach Deutschland kam - ohne Deutsch zu sprechen - hatte es schwer. "Es ist nicht so traurig oder dramatisch, aber ich glaube, dass es vielen Migrantenkindern so geht, gerade wenn sie nicht mehr so ganz kleine Kinder waren, wenn sie aus dem Ausland gekommen waren", erzählt die Schriftstellerin Alina Bronsky. "Man gehört nie so richtig der Mehrheit an. Also man ist immer schon so ein bisschen fremd und ein bisschen anders. Ich habe das aber immer als Bereicherung empfunden", sagt Bronsky über ihre Schulzeit. In der ehemaligen Sowjetunion geboren, kam sie als Zwölfjährige nach Deutschland.

Kampf mit Vorurteilen

Feridun Zaimoglu, der zweisprachig mit Deutsch und Türkisch aufwuchs, hatte in der Schule mit Vorurteilen zu kämpfen. "Ich habe keine traumatischen Erlebnisse einerseits. Andererseits wurde ich im Klassenraum gehänselt oder von dem einen oder anderen Lehrer darauf hingewiesen, dass meine berufliche Präferenz nicht die eines Schriftstellers sein sollte, sondern ein Kfz-Mechaniker", berichtet Zaimoglu. Erfahrungen prägen Menschen. Und manchmal wird eben Literatur daraus.

Herkunft als Grund-Sujet der Literatur

Die Frage nach der eigenen Herkunft beschäftigt Schriftstellerinnen und Schriftsteller schon seit vielen Generationen. Vielleicht ist es sogar eine Art Grund-Sujet der Literatur. Dabei verlagert sich bei jüngeren Generationen, deren Eltern nach Deutschland kamen, das Zentrum der Auseinandersetzung. So wie in Deniz Utlus im vergangenen Jahr erschienen Roman "Vaters Meer": "Der Auslöser war gar nicht so sehr zu schauen, wo kommt eigentlich meine Familie her oder so was. Und auch nicht der Frage nachzugehen, wo gehören die hin", sagt Utlu. Der Vater in seinem Roman fühle sich in Hannover beheimatet oder nirgendwo mehr. Denn wichtig sei ihm zu schauen, was ihn zu dem gemacht hat, der er am Ende wurde.

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Das emotionale Erbe von Migration

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Lin Hierse, deren Mutter aus China stammt, schreibt in ihrem Debütroman über das Gefühl, nirgends wirklich zu Hause zu sein.

Die in Hildesheim geborene Autorin Lin Hierse geht in ihrem Debütroman "Wovon wir träumen" noch einen Schritt weiter. "Was erben wir eigentlich von unseren Eltern - mal losgelöst vom Materiellen. Also was für Emotionen, was für Erinnerungen und was vielleicht auch für Lasten", fragt Hierse. "In diesem Fall: Was ist eigentlich das Erbe von Migration, auch emotional gesehen?"

Das versuchen viele Autorinnen und Autoren zu ergründen: Necati Öziri, Shida Bazyar, Dincer Güyceter oder Khue Pham - um nur einige zu nennen. Und sie haben Erfolg: Ihre Bücher werden gelesen, stehen auf den Bestsellerlisten und gewinnen Literaturpreise. Saša Stanišić wird in diesem Zusammenhang oft als Vorzeige-Beispiel genannt. Doch als er mit "Vor dem Fest" einen Roman schrieb, der in der Uckermark spielte, wurde er genau dafür von seinem Kollegen Maxim Biller kritisiert. Stanišić reagierte empört: "Und jetzt jemanden nur auf seine Biographie zu beschränken und zu sagen, er soll sich mal wieder lieber Bosnien zuwenden, das ist für mich derart engstirnig, unvorsichtig und tut der Literatur als Ganzes nicht gut."

"Herkunft" ist sensibles Thema

Geschadet hat diese Kritik Saša Stanišić zum Glück nicht. Sie zeigt aber, dass das Thema "Herkunft" ein sensibles Thema ist und bleibt. Ein Thema, das berührende, nachdenklich-machende und lustige Geschichten hervorbringt, den Erfahrungshorizont der Lesenden erweitert und die deutsche Literaturlandschaft absolut bereichert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 01.06.2024 | 07:20 Uhr

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