Tanja Maljartschuk: Symposium an sich ist ein Privileg
Zwei Tage lang diskutierte ein Dutzend der besten europäischen Schriftsteller*inen im Hamburger Literaturhaus. Die Ukrainerin Tanja Maljartschuk sprach von einem fragilen Privileg der Literatur im Westen.
"Europa 24 - was ist Literatur?" war das Symposium überschrieben. Nach den Arbeitsgesprächen der Autoren unter sich fanden jeweils abendliche Gespräche vor Publikum statt. Am Donnerstagabend saß Sasha Marianna Salzmann neben dem schwedischen Autor Aris Fioretos und dem Slowenen Drago Jančar auf dem Podium, danach die Ukrainerin Tanja Maljartschuk neben dem Niederländer Arnon Grünberg und der ungarischen Autorin Sofia Bán.
Während dieser zwei Tage ging es um die großen wie auch kleinen Fragen: Macht und die Ohnmacht ihrer Kunst und um die Verantwortung, die man als Schriftstellerin hat. Sasha Marianna Salzmann, aufgewachsen in Moskau, vielgereist und vielsprachig und vielfach preisgekrönt, zeigte sich allergisch gegen das Bild von politisch engagierter Literatur. Nein, als mit erhobener Faust kämpfende Autorin wolle sie nicht gesehen werden. Sondern als genaue Beobachterin, die hinguckt und es aufschreibt: "Wir sind Autoren, da ist es wichtiger zu sehen als zu handeln", meint sie. Mehr noch: Sasha Marianna Salzmann, die eine der lautesten Stimmen für queeres Leben und Gendergerechtigkeit ist, benutzt lieber das Wort "involved" - beteiligt.
Diskussionen über das Schreiben vor Publikum
Auf Augenhöhe hatten sie und die Kolleginnen aus Schweden, Slowenien, Italien oder Österreich zwei Tage lang einander erzählt, wie sie zum Schreiben gefunden haben, oder wie anders ihre Texte durch das Übersetzen werden. Das war fürs Publikum von außergewöhnlichem Reiz. "Ich war sehr erleichtert darüber, dass von der Literatur nicht erwartet wurde, dass sie engagiert zu sein habe, sondern ihr eigenes Recht habe und selbstverständlich von politisch interessierten Leuten geschrieben und gelesen wird", erklärte ein Zuhörer.
Tanja Maljartschuk: Frage des Überlebens wichtiger als Literatur
Dass diese intellektuelle Debatte da landete wo es weht tut, war Tanja Maljartschuk zu danken. Die Ukrainerin lebt in Wien, schreibt auf Deutsch und hat 2018 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Spät am Abend, nachdem über das Schreiben und Nicht-mehr-Schreiben-Können gesprochen wurde, nach dem 7. Oktober, nach den Greueln von Hamas und Gaza, nach Auschwitz sogar, schien sie ihre Kolleginnen und Mitautoren zur Ordnung rufen zu wollen. "Für mich ist jetzt viel wichtiger die Frage des Überlebens der Menschheit. Ich glaube, wenn wir überleben, dann überlebt auch die Literatur", so Maljartschuk.
Maljartschuk lenkt Blick auf Privileg der freien Diskussion
Tanja Maljartschuk, die zwischen Wien und Kiew pendelt, versuchte, mit brüchig werdender Stimme, einiges gerade zu rücken. "Wichtig ist, das Leben zu erhalten. Nicht die Literatur selbst. Ich glaube, die Literatur und die Literaten im Westen, die sind ziemlich privilegiert. Sie können sich viele Dinge erlauben. Ich glaube, dass man das irgendwie wahrnehmen und immer im Kopf behalten soll, dass das, was es in diesem Moment in diesem Literaturhaus gibt, das ist ein großes Privileg, das ist ein Luxus. Und das ist aber auch sehr fragil."
Fragil. Zerbrechlich, sagte Tanja Maljartschuk, die gerade erst in Bremerhaven bei einer Preisverleihung sagte, dass sie an der Kraft der Wörter zweifle. Sie schreibt zwar unentwegt Artikel und Essays, im literarischen Schreiben sehe sie aber keinen Sinn mehr. "Ich kenne allein 20 Schriftsteller, die sind an der Front. Und drei sind tot. Es tut mir leid, ich kann nicht immer solche Gespräche führen. Ich bin viel zu sensibel geworden. Viele Sachen sind in diesen Jahren einfach nicht mehr wichtig", erklärte Maljartschuk.