Cover: Feridun Zaimoglu, "Sohn ohne Vater“ © Kiepenheuer & Witsch

Zaimoglus "Sohn ohne Vater": Schmerzensbuch und flirrendes Roadmovie

Stand: 13.02.2025 06:00 Uhr

"Sohn ohne Vater" des in Kiel lebenden Autors Feridun Zaimoglu ist ein Schmerzensbuch und ein flirrendes Roadmovie, das sich zum Krimi mit surrealen Momenten wandelt. Das Chaos im Kopf des Ich-Erzählers überträgt sich auf den Ton.

von Katja Weise

In viele Rollen ist der seit Jahrzehnten in Kiel lebende Schriftsteller Feridun Zaimoglu geschlüpft - zuletzt hat er sich in "Bewältigung" intensiv mit Adolf Hitler auseinandergesetzt. Nun erscheint mit "Sohn ohne Vater" ein Roman, der aus einer überraschend anderen Perspektive erzählt ist. Katja Weise hat mit Zaimoglu über den Roman gesprochen.

"Ich behaupte, in diesem Buch 'ich' zu sein, ich behaupte in diesem Buch, Zaimoglu zu sein". Zaimoglu, der Schriftsteller, der, so beginnt der Roman, von seiner Mutter erfährt, dass sein Vater in der Türkei gestorben ist, er nun also ein "Sohn ohne Vater" ist.

Ich rufe meine Schwester an (….) Wir weinen, als wollten wir unsere Gesichter erbrechen. Wir haben keinen Vater mehr in diesem Leben. Wir wollen ihn wiederhaben. Zitat aus "Sohn ohne Vater"

Feridun Zaimoglu: "Die Trauer macht mich türkisch"

"Die Trauer macht mich türkisch", heißt es Seiten später, mit Macht bricht sie über den Erzähler herein, der sich zunächst nur durch Gehen zu helfen weiß. Stundenlang streift er durch Kiel, Papier und Stift dabei immer in der Tasche. Der Autor sagt: "Ich hatte keine guten Tage, ich empfand mein Verhalten auch als furchtbar. Es entstanden binnen weniger Wochen Dutzende Zettel … Und im nämlichen Moment, da ich plötzlich mich sah in einem Abteil in einem Zug in die Türkei und diesen Stoß an Zetteln, wusste ich, das wird eine Geschichte."

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Geschichte von Trauer und Aufbruch

Eine Geschichte, die von Trauer und Aufbruch erzählt, denn dieser Roman ist beides: Schmerzensbuch und flirrendes Roadmovie. Um sich von seinem Vater zu verabschieden und der Mutter beizustehen, muss der Sohn in die Türkei reisen. Da er unter extremer Flugangst leidet und trotz Führerscheins nicht selbst Auto fährt, gestaltet sich das überraschend kompliziert. Schließlich organisieren Freunde die Fahrt mit einem Wohnmobil, einer setzt sich hinters Steuer, Zaimoglu daneben.

Wir fahren die Route Österreich, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Türkei. Wobei es besser sei, ohne Übernachtung durch Serbien und Bulgarien zu fahren: Tausend Kilometer, kurze Pausen, kein schweres Essen, Konzentration, machbar. Zitat aus "Sohn ohne Vater"

Trauernder Erzähler trifft nachts seltsame Gestalten 

Am Anfang geht alles glatt, doch mehr und mehr wird der Roman zum Krimi: Der trauernde Erzähler begegnet des nachts seltsamen Gestalten, wird von einer Kinderbande brutal ausgeraubt und kann zunächst nicht in die Türkei einreisen, weil die Fahrzeugpapiere nicht in Ordnung sind. Hilflos ist er dem Geschehen ausgeliefert, lebt er doch - übermannt von Erinnerungen an den Vater - quasi zwischen den Zeiten. "Es war alles fremd, die Welt war fremd. Ich war noch nie mit dem Wohnwagen unterwegs gewesen. Ich konnte so die Nähe von Menschen meiden, ich war bei mir, aber nicht ganz allein, sonst wäre ich verrückt geworden. Ich konnte mit dem Fahrer sprechen und gleichzeitig habe ich mich in dieser Zeit erinnert, an meinen Vater", so Zaimoglu.

Der so gut aussah, dass, wenn er mit dem Sohn ein Lokal betrat, alle die Luft anhielten. Der in schwierigen Situationen oft vermittelnd eingriff, der seinen Kindern von Anfang an klarmachte, dass Deutschland ihre Heimat sein würde. "Er und meine Mutter haben zu meiner Schwester und mir gesagt, damals, als wir Kinder waren: Ihr seid kommende Deutsche, die ihre Muttersprache noch erlernen müssen. Also so etwas zu sagen, zeugt ja von einem Verständnis für die Gegenwart, aber auch von einem Verständnis für die kommenden Tage."

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Persönlicher Roman voller surrealer Momente 

"Sohn ohne Vater" ist ein zutiefst persönlicher Roman über Verlust, Liebe, Aufbruch und Ankommen - in einem neuen Lebensabschnitt, in einer neuen Heimat. Die Nähe zu seinem Verfasser Feridun Zaimoglu ist deutlich zu spüren, doch bleibt die Antwort auf die Frage, was wirklich geschehen ist, offen. Vieles mutet beinahe surreal an, das Chaos im Kopf des Erzählers überträgt sich auf den Ton, und so werden auch die Leserinnen und Leser förmlich vorwärtsgetrieben. Lustvoll spielt Zaimoglu mit der eigenen Perspektive und lässt sich dennoch nicht festlegen. "Ich halte viel vom Verschwinden des Schreibers in der Erzählung." Und so ist auch dieser Roman ein Spiel mit der Perspektive. Nur anders. 

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Sohn ohne Vater

von Feridun  Zaimoglu
Seitenzahl:
288 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
Bestellnummer:
978-3-7530-0103-6
Preis:
24 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 13.02.2025 | 12:40 Uhr

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