"Reinhard Mey kann man nicht kopieren, da macht man sich lächerlich"
Reinhard Mey hat gerade seinen 80. Geburtstag gefeiert. Viele Menschen begleitet er schon seit Jahrzehnten - mit seiner Stimme, seinen musikalischen Geschichten, seinen klugen Gedanken und seinem schlauen Witz.
Auch die junge Songwriterin Anna Depenbusch ist von Meys einzigartiger Stimme begeistert. Ein Gespräch.
Wie ist Reinhard Mey in Dein Leben getreten?
Anna Depenbusch: Das weiß ich ziemlich genau: Ich bin mal als Kind für einen Schüleraustausch alleine geflogen und hatte ein bisschen Angst davor. Also haben wir uns zusammen "Über den Wolken" angehört. Ich saß in diesem Flugzeugsessel und man wird sehr hart in den Sitz gepresst. Da dachte ich mir: Das ist nicht so "friedlich" und ich hatte auch ein bisschen Flugangst. Dann sticht man durch diese Wolkendecke, und dann erschließt sich dieses Lied für mich: Es war sehr friedlich, und die Freiheit war wirklich grenzenlos.
Das Faszinierende bei dem Lied ist, dass er gar nicht fliegt, sondern dass er eigentlich nur unten steht und es beobachtet.
Depenbusch: Und diese Stimme ist sehr einzigartig: dieses Flirrige, sehr Warme - ein toller Künstler.
Welche Bedeutung hat Reinhard Mey für eine Liedermacherin von heute?
Depenbusch: Hinter den Kulissen eine sehr große, weil er so autark und unabhängig ist. Ich habe mich auch mit einigen Liedermacherinnen und Kolleginnen unterhalten und wir sind alle ganz ehrfürchtig. Ich hatte neulich ein Gespräch mit Bodo Wartke, der auch großer Fan von Reinhard Mey ist. Er meinte, Mey sei eine große Inspiration, der mache sein Leben lang sein Ding, er habe so eine ganz warmherzige, wohltuende Art. Und das finde ich auch. Auch rein wirtschaftlich ist er, glaube ich, sehr gut aufgestellt. Er ist sehr produktiv, spielt alleine mit seiner Gitarre, er ist autark und sehr kreativ.
Vermutlich sind bei Reinhard Meyer immer die Texte zuerst da. Wie ist es musikalisch? Bei Liedermachern ist es manchmal so, dass der Text und die Melodie im Vordergrund stehen, es aber sonst überschaubar ist, was die Arrangements über die Jahre angeht.
Depenbusch: Ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich immer stimmt, weil man es bei ihm so erwarten würde, dass er wie ein Dichter die Texte schreibt und die dann vertont. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass das nicht immer so ist, weil sich das manchmal so schön wechselseitig bedingt, dass man ein Wort hat, bei dem man mal die Musik entscheiden lässt, wie es weitergeht. Insofern wäre ich sehr neugierig, wie er es macht.
Bei Reinhard Mey hat es auch viel mit Lebenserfahrung zu tun, mit vielen Krisen und mit schweren Schicksalsschlägen, die er dann verarbeitet. Kann man wirklich alles verarbeiten? Oder ist es von Künstler zu Künstler unterschiedlich, wie viel man von den schweren Dingen reinbringt?
Depenbusch: Ich glaube, man kann alles verarbeiten mit Musik, weil es auf der Bühne dem Publikum so viel gibt. Das tröstet auch einen selbst. Reinhard Mey hat so eine Lebenserfahrung. Über sein letztes Album hat er erzählt, dass er daran ein Jahr und ein ganzes Leben lang geschrieben hat. Das ist eine tolle Botschaft. Musik tröstet, glaube ich, uns alle.
"Über den Wolken" ist Meys großer Hit - viele bringen nur den mit ihm in Verbindung. Kann so ein großer Song auch ein Fluch sein, der dann unter Umständen auch in Festzelten mitgegrölt wird?
Depenbusch: Ich weiß nicht, ich finde es immer toll, wenn man seine Karriere an einem Song aufhängen kann. Ich könnte mir vorstellen, wenn die Leute sich über den Song freuen, dann spielt er den auch gern. Aber das ist Spekulation. Für mich nutzen sich Lieder nicht ab. Dass mir ein Lied keinen Spaß mehr macht - das habe ich noch nicht erlebt.
Es gibt ja manchmal Tribute-Alben, also Coverversionen von großen deutschen Künstlern der heutigen Zeit. Wenn du gefragt werden würdest, dich mit dem Werk von Reinhard Mey zu befassen, würdest Du Dich da durchhören und vielleicht ein Stück raussuchen, das keiner erwartet? Oder ist es zu viel, sich zu intensiv damit zu befassen?
Depenbusch: Nein, ich würde auf jeden Fall eintauchen. Es wäre für mich noch Neuland. Ich kenne Reinhard Mey zwar aus der Szene und wir hatten einmal ein Konzert bei einem Liedermacherfestival zusammen, was ganz toll war und wo ich auch gemerkt haben, wie stark er wird, je reduzierter die Form ist. Aber gesanglich und musikalisch ist er mir natürlich irgendwie fremd. Es ist eine ganz andere Welt, wo er aber auch so eine Beständigkeit hat. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann würde ich das auch für mich versuchen: mir treu zu bleiben, mich trotzdem in den Themen weiterentwickeln und das Publikum erreichen. Wenn es das Tribute geben soll, bin ich auf jeden Fall dabei.
Ich weiß gar nicht, ob es so viele Cover-Version von Reinhard Mey gibt. Man möchte eigentlich ihn im Original hören.
Depenbusch: Das weiß ich auch nicht so genau, weil seine Stimme so markant ist. Das kann man auch nicht kopieren, da macht man sich lächerlich, weil dieser Sound mit ihm verknüpft ist.
Ich glaube auch nicht, dass er gegen den Begriff "Liedermacher" etwas hat. Ist das anerkannt? Würdest Du Dich auch als "Liedermacherin" bezeichnen?
Depenbusch: Ja, das würde ich auch sagen. Aber manchmal stoße ich auch auf Kritik, weil viele sagen, dass das jetzt Singer-Songwriter heißt. Aber ich mache Lieder, und ich mag dieses Handwerkliche. Ich schmiede am Klavier an meinen Liedern, ich feile und raspele daran herum. Dieses Liedermachen hat auch etwas Zeitloses, was mir sehr gut gefällt. Es gibt auch viele, die jetzt so eine neue Generation bestreiten, die sich auch Liedermacher und Liedermacherinnen nennen. Da sehe ich mich auch in der Tradition.
Du hast gesagt, dass Reinhard Meyer an einem Album ein ganzes Leben geschrieben hat. Gibt es bei Dir auch Songs, bei denen du denkst, dass einfach noch nicht die Zeit in Deinem Leben dafür ist? Dass die Idee da ist und der Songs zu Zweidritteln fertig ist, aber, dass da vielleicht noch etwas dazu kommt?
Depenbusch: Ich habe ein Lied, das heißt "Heimat", das habe ich vor langer Zeit geschrieben. Da merke ich auch, dass sich das auf der Bühne mit mir verändert. Ich sage manchmal im Konzert, dass das ein Lied sein wird, was ich womöglich mein Leben lang immer mal wieder spielen möchte, weil es sich so merkwürdig verändert - auf was für eine Welt es gerade trifft, was für eine Stimmung gerade im Saal ist. Ich finde es toll, wenn man die Möglichkeit hat, Lieder zu schreiben, die einen selbst begleiten, wie treue Freunde.
Das Interview führte Philipp Schmid.