Brailleschrift in der Musik: Noten fühlen
Der Franzose Louis Braille hat mit der von ihm erfunden Brailleschrift Blinden den selbstbestimmten Zugang zur Bildung geebnet. Die Brailleschrift kann aber nicht nur Wörter abbilden, sondern auch Musik.
Partituren über Partituren liegen auf der Anrichte von Martin Rembeck. Eine Schautafel mit magnetischen Noten steht auf dem Tisch und ein Flügel im Wohnzimmer bei ihm in Hannover. Der blinde Pianist stimmt Klaviere, gibt aber auch Unterricht für Kinder und Erwachsene, egal ob blind oder sehend: "Für sehende Schüler ist das nicht so ein großes Problem, wenn sie mal nicht so vorbereitet sind. Dann lavieren sie sich irgendwie übers Blatt. Aber wenn ich einem blinden Schüler eine Klavierstunde gegeben habe, dann muss er sich eigentlich sofort hinsetzen und das repetieren, was wir in der Stunde gemacht haben."
Blinde Menschen können nicht einfach vom Blatt spielen. Sie müssen das gesamte Stück auswendig lernen, erklärt Rembeck: "Ich lese mit der linken Hand die Noten für die rechte Hand und spiele mit der rechten Hand und umgekehrt. Abschnittweise lesen und nach musikalisch logischen Abschnitten wird dann auswendig gelernt. Je nach Schwierigkeitsgrad des Stücks und nach der Erfahrung des Auswendiglernens würde ich empfehlen: Spiel' die ersten zwei Takte rechts und die ersten zwei Takte links und bau das zusammen." So können Profis bis zu acht Takte pro Hand auf einmal auswendig lernen.
Wie eine Partitur für Blinde aufgebaut ist
Martin Rembeck holt einen dicken Wälzer aus einem Regal voller Ringbücher, schlägt eine komplett weiße Seite mit vielen Erhebungen auf und fährt mit den Fingern darüber: "Da steht dann vorne eine eins, das heißt, das ist der erste Abschnitt. Dann kommt das Zeichen für die rechte Hand, dann kommt die Notenfolge für diesen rechten Abschnitt, sagen wir acht Takte. Und dann kommt das Zeichen für die linke Hand - es ist eingerückt, so wie in einem Buchabschnitt man das auch sehen kann, wenn ein neuer Absatz passiert - und dann kommen die acht Takte für die linke Hand."
Die Brailleschrift ist eine ehemalige Militärschrift. Sie besteht aus zwei Reihen mit jeweils drei untereinander angeordneten Punkten. Je nachdem, ob ein Punkt erhaben ist und oder nicht, können damit Buchstaben, Satzzeichen und auch Noten abgebildet werden. Rembeck zeigt auf seinem Laptop die Noten c, d, g und a in Schwarzschrift: "Wenn man unten drunter in die Punktschriftdarstellung schaut, kann man beim genaueren Hinsehen erkennen, dass aus den oberen vier Punkten der Notenname gebildet wird, der ist nämlich bei den Achteln, Vierteln, den halben und ganzen Noten immer gleich - aber aus den unteren Punkten, da werden die Notenwerte gemacht."
Sehende Klavierlehrer können blinde Schüler unterrichten
Die Blindennotenschriftkommission gleicht seither die Partituren an, damit sie auch über Ländergrenzen hinweg alle Musiker lesen können: "Wenn wir Beethovensonaten übertragen, dann nicht mehr, damit wir jetzt bitte schön auch mal einen Band Beethoven-Sonaten haben, sondern wir nehmen das schon sehr genau und sagen: Wiener Urtext oder Henle!"
Auch Martin Rembeck hat eine eigene Klavierschule entworfen, weil ihm das selbstbestimmte Lernen von blinden Menschen am Herzen liegt. Mit seinem Werk können sehende Klavierlehrer seit zehn Jahren blinde Schülerinnen und Schüler unterrichten, denn die Passagen sind in Schwarz- und Brailleschrift abgedruckt.