Kein Theaterzelt Greifswald: Hat das Theater noch eine Zukunft?
Im November hat die Stadt Greifswald das geplante Theaterzelt überraschend abgesagt. Es sollte als Ausweichquartier während der Sanierung des Haupthauses dienen. Wie geht es nun weiter in Greifswald?
Das Greifswald Theater muss saniert werden: Beim mehr als 100 Jahre alte Großen Haus stehen umfangreiche Umbau- und Abrissarbeiten an. Seit dem Sommer spielt das Theater in provisorischen Spielstätten wie dem Greifswalder Rubenowsaal. Es ist Weihnachtsmärchenzeit. Die Kinder sitzen auf großen Kissen am Bühnenrand, weil die Plätze nicht reichen.
Der Schauspieler Lutz Jesse spielt den exzentrischen Kammersänger Luitpold Löwenhaupt und dessen Sohn Peter mit pflasterverklebter Brille. "Weil wir keine Spielstätte mehr in Greifswald haben, hat man sich entschieden, in einer ganz kleinen Form hier im Rubenowsaal zu spielen, damit überhaupt etwas für die Kinder stattfindet. Wir haben diese kleine Produktion mit der 'Weihnachtsgans Auguste' gemacht, damit die Kinder auch etwas geboten bekommen", so Jesse.
Geplantes Theaterzelt Ende November abgesagt
Alles sollte ein bisschen provisorisch weitergehen in Greifswald, bis das Theaterzelt endlich kommen würde. Ende November aber wurde es abgesagt. Intendant Ralf Dörnen konnte es nicht glauben. "Ich habe nicht begriffen, dass eine Bürgerschaft das drei Mal beschlossen hat, das letzte Mal im Juni, wo immer nochmal nachgefragt wurde: Wollt ihr das wirklich? Und die haben immer mit überwältigender Mehrheit gesagt: ja. Deswegen hat es uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass wir schon die gesamte Spielzeit mit Zelt geplant hatten", so Dörnen.
Kein Theaterzelt wegen steigender Energiekosten
Offensichtlich hatte die Bürgerschaft im Juni den Ernst der Lage um die steigenden Energiekosten nicht erkennen können. Oberbürgermeister Stefan Fassbinder erklärt die Entscheidung gegen das Theaterzelt so: "Wir haben angesichts der explodierenden Kosten Rechnungen angestellt und uns angeschaut, was steht gegeneinander - da sind natürlich einerseits Ausgaben, andererseits der Einnahmenverlust. Das haben wir versucht abzuschätzen und sind danach zusammen mit den Fraktionen zu der Erkenntnis gekommen, das große Theaterzelt nicht aufzubauen - so schmerzhaft es ist."
Zur Höhe der Kosten, die jetzt wegen des Vertragsbruchs an die Zeltbaufirma gezahlt werden müssen, möchte der Oberbürgermeister sich nicht äußern. Natürlich wäre ein undämmbares Theaterzelt ökologischer und ökonomischer Irrsinn, in dieser Zeit, das weiß auch Ralf Dörnen. Aber wo sollen sie hin, in den nächsten vier bis fünf Jahren?
"Wir müssen eine Ausweichspielstätte für uns gestalten, wo wir den Leuten mit allen Sparten zeigen können: Das Theater ist für euch auch weiterhin da. Wir machen ja nicht für uns selber Theater. Wenn wir das in Greifswald über mehrere Jahre nicht mehr können, dann sehe ich tatsächlich die Kultur in dieser Stadt sehr hochgradig gefährdet", stellt Dörnen den Ernst der Lage dar.
Nur 200 statt 400 Plätze im Kaisersaal
Jetzt geht es um den Kaisersaal als neue Spielstätte. Mit nur 200 statt 400 Plätzen ist dieser Spielort viel kleiner als das geplante Zelt. Zudem gibt es dort keine Nebenräume, keine Nebenbühne, keinen eisernen Vorhang. Das sei kein Problem, sagt die Stadt. "Die Stadthalle hat mehrere Räumlichkeiten, die zur Verfügung stehen könnten. Man muss gucken, dass man da Lösungen findet, die auch die akuten Bedürfnisse wie Umkleide, Maske und Ähnliches befriedet. Ich bin mir sicher, dass das Theater auch mit seinen erfahrenen Handwerkern gute Lösungen finden wird", gibt sich Oberbürgermeister Fassbinder optimistisch.
Stillstand bei Theatersanierung
Das Theater soll also selbst die Ärmel hochkrempeln, obwohl die eingesparten Mittel durch die Absage des Zeltes zur Verfügung stehen könnten. Im Theater ist derweil das Licht aus - von Bauarbeiten keine Spur. Schauspieler Lutz Jesse ist auch Mitglied der Greifswalder Bürgerschaft für die Fraktion der CDU. "Es hat noch nichts begonnen. Man muss erst warten, wann die Fördermittel frei werden. Dann gibt es grünes Licht für den Haushalt, der noch nicht einmal durch die Bürgerschaft ist. Schwerin muss das auch absegnen. Vor Juli nächsten Jahres wird da voraussichtlich nichts passieren und dann können die Ausschreibungen erfolgen."
Dörnen sieht Fortbestand des Theaters Vorpommern in Gefahr
Für Ralf Dörnen geht es um mehr als nur Verzögerungen und Planänderungen, die schon seit Jahren diese Sanierung behindern. Als Intendant des Theaters Vorpommern habe er die Aufgabe, die Standorte Greifswald, Stralsund und Putbus ausgewogen mit Theater zu versorgen, juristisch gesprochen. "Ich bin gerade völlig ratlos. Ich denke, die Entscheidung, die jetzt getroffen werden muss, entscheidet über das Fortbestehen der Gesellschaft Theater Vorpommern mbH. Ich glaube, es ist an dem Punkt, wo man sagen kann: Ihr müsst jetzt sagen, ob ihr ein Theater wollt oder nicht. Ich glaube, an dem Punkt sind wir wirklich gerade", sagt ein frustrierter Intendant.
Seit Juni sind die Gewerke und die Theaterleitung an verschiedenen Standorten über die Stadt verteilt. Für die Mitarbeiter ist auch das ein Problem, wenn das fünf Jahre so bleiben soll. Theater in Greifswald ist gerade so etwas wie eine große Gestikulation ins Leere.