"Wir müssen unseren Kulturkonsum ändern" - pro oder contra?
Wie verhalten wir uns richtig, wenn es um den Klimawandel geht? Unser Kommentator fordert, dass wir Entscheidungen abwägen, über Alternativen nachdenken und neue Wege des Kulturkonsums ausprobieren. Ein Kommentar.
Wir alle, jede und jeder von uns, müssen etwas gegen den Klimawandel tun. Wir müssen unser gewohntes Verhalten hinterfragen und überlegen, ob es nicht auch weniger oder gar nicht klimaschädlich geht. Gilt das nun auch für Kulturgenuss? Für ein Konzert, ein Festival, einen Ausstellungsbesuch? Müssen wir also alle unseren Kulturkonsum ändern?
Die Antwort ist nicht Schwarzweiß - es braucht ein Abwägen
Mir fällt es schwer, mich hier auf eine Seite zu stellen, pro oder contra. Denn ich finde, ja oder nein ist bei dieser Frage eine viel zu simple Antwort. Gleich möchte ich zurückfragen: wie weit denn ändern? Klar müssen wir etwas ändern, in der Kultur ebenso wie in der Ernährung, im Verkehr und beim Heizen. Selbst der überzeugteste Klimaschützer wird seine Heizung trotzdem nicht für immer auf Null stellen und alle Wege nur noch mit dem Fahrrad zurücklegen. Also: wie weit und wie oft tut’s das Fahrrad? Bei welchem Wetter reicht ein warmer Pullover im Haus statt der warmen Heizung? Darüber sollten wir alle nachdenken. Es ist immer eine Frage des Abwägens, finde ich. Und das gilt auch für die Kultur.
Es geht nicht um Verzicht, sondern um neue Wege zum Ziel
Mal eben zu einem Konzert der Lieblingsmusiker mit dem Flugzeug nach Wien? Zur gefeierten Ausstellung nach Paris fliegen und mit vielen tollen Eindrücken am nächsten Tag wieder heim? Davon würde ich abraten. Und es doch übertrieben finden, wenn jemand so einen Kulturtrip von jemand anderem verteufelt, wenn es denn einmal dazu kommt. Schon besser wäre der gleiche Trip mit dem Zug. Einmal ernsthaft über ökologische Verkehrsmittel nachzudenken, dabei zu merken: anders geht es ja auch!, ist schonmal ein richtiger Schritt.
Das Angebot hält viele Alternativen bereit
Vielleicht spielen die Musiker ja demnächst irgendwo in der Nähe, ist die Ausstellung auch noch woanders zu sehen? Das würde die Anreise verkürzen. Auch schon wieder besser. Doch dann fragt jemand: was ist denn gewonnen, wenn du nicht nach Wien reist, um die Pianistin zu hören, dafür aber quer übers Land nach Ulrichshusen fährst? Nicht zum Hellfest nach Clisson, aber dafür nach Wacken? Dann liegt das Ziel zwar recht nah am eigenen Wohnort in Norddeutschland, und trotzdem kommen reichlich Leute mit dem Auto, haben eine gute Festival-Zeit und brausen mit heißem Auspuff zurück.
Stimmt, das ist ein Problem. Aber ist dann die Lösung, alle dezentralen Festivals abzuschaffen? Schluss mit Konzerten in Dorfkirchen, mit Kunst im ländlichen Raum? Das hieße, dass nur Großstädter ein Recht auf Hochkultur hätten. Die Alternative "alles bleibt so" oder "Kultur auf dem Lande verbieten" belässt es immer bei einem Übel: belastetes Klima in der Natur - oder belastetes Klima in der Gesellschaft. Wie wär’s, über den Anfahrtsweg nachzudenken? Den Nahverkehr nutzen, so weit es geht. Festivals könnten Shuttle-Service von Bahnhöfen aus anbieten. Besucher könnten Fahrgemeinschaften bilden: im Netz gibt’s viele Angebote, einige ganz speziell für Festivals!
Bewusste Entscheidungen treffen
Alle diese Ideen haben eines gemeinsam: Man hat zuvor nachgedacht. Handelt nicht einfach so wie immer, aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit. Womöglich handelt man am Ende sogar besser?! Sogar wer nirgends hinfährt, dafür im Wohnzimmer Musik und Serien von Streaming-Diensten abruft, lässt die Server in Rechenzentren heiß laufen, die brauchen Energie für Kühlmittel, der Stromverbrauch steigt - und das jedes einzelne Mal. Da wäre ein Download schon besser. Oder doch zurück zur CD, zur Vinyl-Schallplatte? Auch wenn sie beide Erdöl enthalten?
Also wie nun: dafür oder dagegen, dass wir alle unseren Kulturkonsum ändern? Ich bin dafür, nachzudenken und so oft es geht andere Wege einzuschlagen. Ich bin dagegen, schwarz-weiß-Lösungen anzubieten. So blöd Filme "Gut gegen Böse" sind, so dumm Künstler, die allein "politisch" oder "unpolitisch" agieren, so schlicht finde ich hier die Wahl "pro oder contra" - ich bin für teils-teils.