The Changency: Nachhaltigkeit im Showbusiness
Rock- und Popkonzerte stehen nicht gerade für einen sparsamen CO2-Ausstoß. Die Shows verbrauchen Unmengen von Strom, die Stars reisen in Privatjets, das Publikum hinterlässt Berge von Müll. Die Agentur "The Changency" will die Musikindustrie nachhaltiger machen.
Sarah Lüngen und Kathrin Wipper gründeten die Agentur 2021. Zum ersten Versuchslabor wurde die Parkbühne Wuhlheide in Berlin mit einem Konzert der Berliner Band "Seeed". Untersucht wurden verschiedene Aspekte zum Thema Nachhaltigkeit - wissenschaftlich begleitet von Thomas Sakschewski, Professor für Veranstaltungsmanagement, und Studierenden der Berliner Hochschule für Technik.
Fan-Anreise Hauptverursacher von Emissionen
"Plant a SEEED" - so der Titel der Studie - brachte unter anderem das Ergebnis, dass 88 Prozent der Emissionen durch die Anreise der Fans entstanden. "25 Prozent der weitangereisten Fans, also Leute, die mehr als 250 Kilometer zurückgelegt hatten, haben tatsächlich dreiviertel aller Anreise-Emissionen verursacht. Das war für uns eine Riesenerkenntnis, dass man Einfluss nehmen sollte auf den Booking-Prozess."
Denn deutlich umweltfreundlicher sei es, wenn die Band zu den Fans komme, betont Lüngen. Beim Festival auf der Wiese ist unter Umständen nur die Umgebung grün - sobald alle mit Autos hinfahren, schießen die Emissionen in die Höhe. Daraus folgt, bei der Planung von Anfang an auf die Infrastruktur der Orte zu schauen und zum Beispiel die ÖPNV-Nutzung ins Ticket zu integrieren.
Klimabilanz und nachhaltiges Konzert-Management
In diesem Jahr hat "The Changency" die Tour von AnnenMayKantereit begleitet und auf der Grundlage der Ergebnisse der Studie "Plant a SEEED" den Faktor Mobilität genauer untersucht. Zurzeit werten sie die Daten von 13 Konzerten mit insgesamt mehr als 250.000 Fans aus.
"Zum einen machen wir eine Klimabilanz für die komplette Tour, weil die Band auch selber wissen möchte, was entsteht bei ihnen - und wo können sie Einfluss nehmen. Da helfen Klimabilanzen natürlich, um das mal schwarz auf weiß zu sehen und nicht nur vom Bauchgefühl. Und dann haben wir parallel Daten erhoben für das Mobilitätsprojekt", beschreibt Lüngen die Arbeit ihrer Agentur
Es gibt auch Ideen für nachhaltigeres Konzert-Management, die sich mit weniger Aufwand umsetzen lassen: "Ein Riesenhebel ist tatsächlich auch die Kommunikation - die programmatische Nachhaltigkeit, das Thema auf die Bühne zu bringen, vielleicht auch bei Veranstaltungen NGOs, die sich für verschiedenen Themen einsetzen, vor Ort zu haben. Das sind alles Dinge, die kosten nicht mal was", sagt Lüngen.
NGO-Projekte bei den Ärzten und den Toten Hosen
Man gehe auch niemandem auf die Nerven, weil die Angebote freiwillig seien, so Lüngen weiter: "Beispielsweise bei drei Shows von den 'Ärzten' und den 'Toten Hosen' im vergangenen Sommer hatten wir die NGO 'Cradle to Cradle' vor Ort bei dem Projekt 'Labor Tempelhof', und das wurde total gut angenommen." Ziel des 2012 gegründeten Vereins "Cradle to Cradle" ist es, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft so zu vernetzen, dass eine Kreislaufwirtschaft entsteht.
Musik soll positives Narrativ für Klimaschutz schaffen
Bei allen Überlegungen zu nachhaltigerem Wirtschaften geht es "The Changency" um mehr, als nur reduzierte Emissionen. "Wir kriegen ab zu und zu gesagt, Konzerte und Festivals, die nicht stattfinden, sind die nachhaltigsten Konzerte. Da sind wir absolut dagegen, weil wir einfach glauben, die Klimakrise und das ganze Thema brauchen ein positives Narrativ", meint Lüngen.
Musik und Kultur hätten es schon immer geschafft, "den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen und einen gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Alle sprechen immer vom CO2-Fußabdruck - und was man dagegenhalten kann, ist wirklich der Handabdruck: Wie kann ich eigentlich meine Stimme nutzen, wie kann ich eine Gesellschaft inspirieren, motivieren, sich des Themas anzunehmen, und das können natürlich Musiker*innen und Kunst und Kultur ganz wunderbar."