Psychologe Gerhard Reese: "Verbote sind etwas sehr Gerechtes"
In Deutschland gibt es in repräsentativen Umfragen viel Zustimmung zu Klima und Naturschutz. Dennoch verhalten wir uns als Individuum und Gesellschaft oft anders. Warum fällt es uns so schwer, uns den Herausforderungen des Klimawandels zu stellen?
Warum stoßen Verbote auf so eine heftige Gegenwehr? Was bringt der Verzicht des Einzelnen? Wo stößt er an Grenzen? NDR Kultur - Das Journal hat für die Sendung "Das Experiment: Wie klimafreundlich bist du?" mit dem Psychologen Gerhard Reese gesprochen. Er ist Professor für Umweltpsychologie an der Rheinland Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und beschäftigt sich vor allem mit Klimaschutzverhalten und sozialer Identität.
Herr Reese, beim Thema Klimawandel gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem, was wir denken und wie wir uns verhalten. Wir wissen, was wir was machen müssten, handeln aber oft ganz anders. Woran liegt das?
Gerhard Reese: Diese Lücke zwischen dem, was wir denken, und dem, was wir tun wollen, ist eine komplexe Interaktion aus individuellen Verhaltensweisen, aber auch systemischen Bedingungen. Ich kann mich in bestimmten Situationen gar nicht umweltgerecht verhalten, wenn die Option gar nicht da ist. Wenn ich irgendwo auf dem Land wohne, wo es keinen ÖPNV gibt, kann ich ohne eigenes Auto dort de facto gar nicht leben. Das heißt: Die systemischen Randbedingungen definieren viel von dem, was ich überhaupt tun kann.
Wir stoßen als Individuum ziemlich schnell auf große Hürden, wenn wir das mit dem eigenen ökologischen Fußabdruck ernst nehmen. Was macht das mit uns?
Reese: Dann passiert genau das, was eine große fossile Lobby durchaus möchte. Dass wir denken: 'Wir können doch eh nichts mehr tun'. Wenn ich das Gefühl habe, durch mein Handeln nicht zu einer Veränderung beizutragen, dann ist das total demotivierend. Deswegen finde ich diesen Fokus auf den individuellen CO2-Fußabdruck sehr gefährlich. Wenn ich mich pflanzenbasiert ernähre und seit zwei Jahren nicht mehr geflogen bin und alles mögliche mache, wird mir trotzdem suggeriert, es reiche nicht. Das ist für viele Menschen wirklich extrem demotivierend. Deswegen muss dieser Fokus viel stärker auf die systemischen Bedingungen verschoben werden. Bei den politischen Rahmenbedingungen sind die größeren Hebel. Das kann uns bestimmte umweltbewusste Verhaltensweisen auch vereinfachen.
Wir leben als Individuen in einer ständigen Interaktion mit unserem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Mein Verhalten ist eigentlich permanent eine Funktion meines Umfelds. Natürlich kann ich selber Entscheidungen treffen. Aber viele Entscheidungen, die ich treffe, sind durch das beeinflusst, was mich kulturell und sozial prägt. Wenn man irgendwo hingeht und etwas ist in Plastik verpackt und kostet die Hälfte von dem, was nicht in Plastik verpackt ist, dann kann man niemandem vorwerfen, dass er das kauft. Das sind systemische Rahmenbedingungen, wo Politik bestimmte Sachen verbieten oder verteuern könnte.
Was lösen Verbote in uns Menschen aus?
Reese: Ein Verbot ist für viele Menschen erstmal eine Freiheitsbeschränkung. Wir sind sehr freiheitsliebende und autonome Wesen. Aber letzten Endes ist unsere Gesellschaft mit Regeln und Verboten durchzogen. Es gibt viele Verbote, wo die meisten Menschen sagen würden, dass das total sinnvoll ist. Zum Beispiel das Verbot mit dem Auto bei Rot über die Ampel zu fahren. Es gibt eine gewisse Notwendigkeit solche Regeln aufzustellen. Es muss demokratisch legitimiert werden, welche das in Bezug auf das Klima sind und worauf wir uns als Mehrheitsgesellschaft oder als Gesellschaft einigen können.
Dass Verbote so viel Widerstand auslösen, liegt häufig daran, dass dann die negativen Seiten besonders geäußert werden. Man vergisst, dass ein Verbot etwas sehr Gerechtes ist. Wenn etwas verboten ist, kann ich mir das auch als besonders reicher Mensch nicht kaufen. Es ist einfach verboten. Das gilt dann für alle.
Viele Menschen sehen eher die negativen Seiten und fühlen sich durch ein Verbot bevormundet. Woran liegt das?
Reese: Menschen neigen dazu, sich bevormundet zu fühlen, wenn sie das Gefühl haben, ihnen wird etwas weggenommen. Das nennen wir Verlustaversion. Das Gefühl mögen wir nicht, das ist total unangenehm. Beim Klima ist es durch diese emotionale Aufladung noch stärker. Aus meiner Sicht haben wir keine klare Politik, die wirklich die Menschen mitnimmt und die sagt: "Wir haben hier eine Herausforderung, die wir stemmen können, und wir federn soziale Ungerechtigkeiten dabei ab." Ideen dazu gibt es ganz viele, aber das passiert nicht. Ich glaube, dass da ein politisches Kommunikationsproblem eine große Rolle spielt.
Brauchen wir als Gesellschaft eine größere Bereitschaft für Verzicht, um dem Klimawandel zu begegnen?
Reese: Ich finde den Begriff Verzicht schwierig, weil der wieder suggeriert, da wird was weggenommen. Aber nicht bei jeder Klimaschutzmaßnahme wird etwas weggenommen, es ist eine Verhaltensalternative. Wir könnten uns eher auf die Sachen fokussieren, die bestimmte Verzichte auch positiv machen.
Wir haben als reiche Gesellschaften einen gewissen Sättigungspunkt erreicht, was Wirtschaft angeht, was auch die Verfügbarkeit von Produkten angeht. Das ist an vielen Stellen gut. Aber wenn wir das Gefühl haben, wir müssen vielleicht ein bisschen zurückschrauben, wird das als Verzicht wahrgenommen. Zu der Zeit meiner Oma gab es einmal die Woche Fleisch, das war gut und da hat sich niemand beschwert. Heute ist Fleisch auf jedem Event und jeder Konferenz der Standard. Da kann man sich natürlich fragen: Ist das nicht eine Vorstellung, die man anders drehen könnte? Aber nicht als Verzicht, sondern als Besinnung auf das, was derzeit wirklich wichtig ist. Gerade bei Ernährung kann man auch sehr viel über Sinnhaftigkeit und Genuss erreichen. Vegetarisch essen heißt nicht, irgendeine Gemüsepampe zu sich zu nehmen, sondern auch da gibt es Essensmöglichkeiten, die Fleisch kulinarisch in nichts nachstehen.
Wie kommt es, dass Menschen trotz der Einigkeit der Wissenschaftler daran zweifeln, der Klimawandel wäre menschengemacht?
Reese: Wahrscheinlich hat das viele Gründe. Bei manchen Menschen ist es sicherlich ein grundlegendes Misstrauen in Politik und auch Wissenschaft. Das beobachten wir immer wieder. Ein anderer Grund ist vermutlich die Angst davor, einen Status quo zu verlieren. Dass es für bestimmte Personengruppen zu starken Veränderungen kommen wird, wenn es wieder um diese Verzichtsdebatte geht. Diese Verzichtserzählung kommt vor allem aus der Richtung, die an dem Status quo festhalten will. Es gibt an vielen Stellen eine sehr starke fossile Lobby, die natürlich möchte, dass alles so weitergeht wie bisher. Es wird viel Geld damit verdient. Das sind Quellen, die Menschen dann verunsichern.
Aber es ist nicht so, dass Klimawandelleugnung eine Mehrheitsmeinung ist. Wir haben in Deutschland, in Europa und auch weltweit in repräsentativen Umfragen extrem viel Zustimmung zu Klima und Naturschutz. Wir haben hier eher eine Minderheit, die sich sehr laut äußert und in bestimmten Machtpositionen ist, um das stärker nach außen tragen zu können.
Die Fragen stellte Stefan Mühlenhoff für die Sendung "Das Experiment: Wie klimafreundlich bist du?".