VIDEO: Das Ahrensburger Rathaus - vom Betonbau zum Denkmal (6 Min)

Rathaus Ahrensburg: Was Brutalismus-Bauten schützenswert macht

Stand: 12.01.2025 05:00 Uhr

Das Rathaus in Ahrensburg ist ein Paradebeispiel für den Beton-Brutalismus, einen Baustil der Moderne. Unerwartet wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Abriss kam nicht infrage, also ging es an die Sanierung.

von Corinna Below

Es gibt Gebäude, denen sieht man nicht unbedingt an, dass sie denkmalwürdig sind. Zum Beispiel die, die man dem sogenannten Beton-Brutalismus zurechnet. Doch manche dieser Gebäude aus den späten 1960er oder 1970er-Jahren stellt das Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein nach und nach unter Schutz. Sanierung statt Abriss ist dann geboten.

Schön oder hässlich? Um Geschmack geht es bei den Entscheidungen nie. Auch wenn Gebäude wie das Ahrensburger Beton-Rathaus (Kreis Stormarn) vielleicht nicht jedem gefallen, seit 2014 steht es unter Denkmalschutz und die Sanierung hat sich für die Stadt finanziell sogar gerechnet.

Verwaltungsgebäude als "Fluidum der Urbanität"

1968: Aufbruchstimmung in Ahrensburg. Grundsteinlegung für das neue Rathaus im Stil der Zeit, dem Beton-Brutalismus. Klingt brutal, kommt aber aus dem Fanzösischen "béton brut" und heißt: gebaut aus rohem, sichtbarem Beton - modern, offen, lichtdurchflutet.

Stadtarchivarin Angela Behrens hat sich intensiv mit der Geschichte des Hauses beschäftigt. Sie sagt, das neue Verwaltungsgebäude sei für die Stadtpolitiker ein regelrechter Sehnsuchtsort gewesen. "Die sprachen 1967 vom 'Fluidum der Urbanität'." Zum Rathaus sollte ein großzügiger Marktplatz gehören, mit Geschäften und Cafés. Eine richtige City eben.

Betonbrutalismus steht für die Moderne

Eine Schwarzweißaufnahme des Alten marktes in Kiel © Friedrich Magnussen Foto: Friedrich Magnussen
Pavillons am Alten Markt in Kiel 1974.

Diese Aufbruchstimmung, gut 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, fand sich überall in den Städten und Kommunen des Landes wieder, erklärt Ulrike Ley vom Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein. Auf dem Alten Markt in Kiel zum Beispiel. Hier baute die Landeshauptstadt 1967 Pavillons aus Glas und Beton, "architektonisch und historisch bedeutsam und beispielhaft für die moderne Architektur der 1960er-Jahre", so Ley.

Nicht alle unter Denkmalschutz stehenden Gebäude dieser Zeit werden dem Brutalismus zugeordnet. Für Denkmalpflegerin Ley ist das aber auch nicht das entscheidende Merkmal.

Eine Schwarzweißbildaufnahme des Kreishauses in Heide © Gemeinschaftsarchiv des Kreises Dithmarschen und des Amtes Mitteldithmarschen Foto: Gemeinschaftsarchiv des Kreises Dithmarschen und des Amtes Mitteldithmarschen
Das Kreishaus in Heide gilt beispielhafter Vertreter der skandinavischen Moderne in Schleswig-Holstein

Das Kreishaus von Dithmarschen in Heide von 1974 gehört streng genommen nicht dazu. Das Amt hat es 2011 trotzdem unter Schutz gestellt. Gebaut von dem finnischen Architekten Into Pyykkö stehe es für den skandinavischen Modernismus der 1970er-Jahre - für innovative Architektur, eine funktionale Gestaltung und die harmonische Integration in die die Landschaft. Besonders ist die kreis-, oder genauer ringförmige Bauweise, passend zur politischen Idee, die dahinter steht: als Symbol für die Fusion der kleinen Kreise Süder- und Norderdithmarschen zu einem einzigen großen Kreis.

Auch das Rathaus in Ahrensburg soll, so die Idee Ende der 1960er-Jahre, die vielen kleineren Verwaltungsgebäude durch ein einziges ersetzen. Der Entwurf des Architekten Karl-Heinz Scheuermann begeistert Stadtpolitiker aller Parteien. Historikerin Behrens: "Dieses Flexible, dieses Moderne, dieses Klare, dieses Helle - das hat alle angefixt."

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Das Rathaus in Ahrensburg: Total heruntergekommen

1970 eröffnen die Ahrensburger das Rathaus feierlich. Viele Jahre später - genau genommen im Jahr 2006 - geht der heutige Stadtarchitekt Achim Kaizer zum Vorstellungsgespräch und ist entsetzt: "Ich bin auf den Eingang zugegangen und fand die Fassade sehr heruntergekommen." Er erinnert sich daran, dass Fenster und Türen kaputt waren. "Es machte einen abstoßenden Eindruck."

Die große Frage: Sanieren oder abreißen?

Schönheitsreparaturen oder Abriss? Das musste jetzt diskutiert werden. 2013 taucht dann, ganz unerwartet, die damalige Denkmalpflegerin vom Landesamt Astrid Hansen auf und beschließt: Das Ahrensburger Rathaus ist historisch bedeutsam. Im Grunde sei es eine "gebaute Skulptur". Vor allem die architektonischen Details überzeugen sie. "Das Foyer zum Beispiel. Die Kontraste mit weißem Marmor und schwarzen Wänden neben aufwendigen Leuchten. Ein typisches Design für diese Epoche", sagt sie der NDR Reporterin damals im Interview.

Nach dem Besuch der Denkmalpflegerin bricht ein Streit los

Daraufhin bricht ein Streit los. "Die Politik hat sich damit lange und intensiv auseinandergesetzt, es gab Gutachten und Gegengutachten", so die Stadtarchivarin. Am Ende einigt man sich darauf, das Rathaus unter Denkmalschutz stellen zu lassen. "Das war eine demokratische Entscheidung, wie auch der Bau des Rathauses schon eine demokratische Entscheidung war.“

Ein Gebäude aus einem Guss

Eine Schwarzweißaufnahme von Willy Brandt © NDR Foto: NDR Screenshot
Willy Brandt beim Besuch in Ahrensburg in den 1970er Jahren.

Achim Kaizer bekommt nun den Auftrag, das Haus zu sanieren - so, dass möglichst viel erhalten bleibt. Er beginnt sich mit dem Gebäude auseinandersetzen, sich alle Details genau anschauen. Zum Beispiel das mit Palisanderholz verkleidete Magistratszimmer, in dem schon Willy Brandt Zigarre geraucht hat. Kaizer stellt selbstkritisch fest, "dass Scheuermann hier ein Gebäude aus einem Guss konzeptioniert und geplant hat." Heute ist er begeistert.

"Wir Demalschützer sind Archivare"

Denkmalpflegerin Ley beschäftigt sich zunehmend mit Bauten aus dem 1960er-, 70er- und mittlerweile sogar 80er-Jahren: "Gebäude sind ja Zeitzeugnisse und quasi wie ein historisches Buch, in dem man lesen kann. Und wir als Denkmalschützer sind so etwas wie Archivare."

Gebrauchsspuren sollten erhalten bleiben

2019: Die Sanierung beginnt. Der Architekt und sein Planungsteam müssen Schadstoffe entfernen, das Haus technisch auf den neuesten Stand bringen und den Brandschutz berücksichtigen. Aber sie achten auch darauf, die Gebrauchsspuren zu belassen: alte Lichtschalter, Leitsysteme, das lackierte Treppengeländer oder Aschenbecher auf den Toiletten - auch wenn hier längst Rauchverbot gilt. Judith Ley hat das sehr überzeugt: "Dass das Gebäude bis ins Detail so gut erhalten worden ist, liegt an der Wertschätzung, die die Architekten und Planer bei der Instandsetzung hatten, und insofern ist das hier auch eine vorbildliche Arbeit, die Schule machen sollte für Schleswig-Holstein."

Die Kosten für die Sanierung: rund 14 Millionen Euro, finanziert von Stadt, Land und Bund. Ein Neubau hätte etwa das Vierfache gekostet.

Die Täfelung aus Palisander: "Ganz schlimm"

Als die Sanierung beschlossen wurde, war Eckard Böge (SPD) noch gar nicht Bürgermeister. 2022 ist er ins Rathaus eingezogen. Da ging die Sanierung ins dritte Jahr. Damals fand er das Palisanderholz in seinem Büro schlimm, erzählt er. Das hat sich längst geändert. "Ich bin mittlerweile großer Fan des ganzen Gebäudes," sagt er. Wenn man das alles einmal erklärt bekommt, "dann versteht man, warum es ein Denkmal ist".

Ein Rathaus für die Ewigkeit

Seit der Sanierung ist klar: Das Gebäude ist hochwertige Architektur. Die mit Marmorkieseln bestückten Betonplatten lassen sich ganz einfach mit Wasser und Hochdruck reinigen. Und wenn es gut gepflegt wird, kann dieses Brutalismus-Baudenkmal noch ewig stehen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 12.01.2025 | 19:30 Uhr

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