Brutalismus-Gebäude: Bausünden oder erhaltenswert?
Sie sind einschüchternd groß, eckig, klotzig und ziemlich raumgreifend. Die Bauten des Architekturstils Brutalismus entstanden vor allem in den 1960er- und -70er-Jahren und wirken bis heute faszinierend radikal.
Erst recht, weil inzwischen der Zahn der Zeit an ihnen nagt. Die jahrzehntelang als Bausünde geschmähte Betonarchitektur, die ihren Namen der französischen Bezeichnung "béton brut" - "roher Beton" - verdankt, erlebt ein Comeback. Doch die Freude daran wird nicht lange währen. Denn vielen Brutalismus-Bauten weltweit - auch in Norddeutschland - droht der Abriss.
Roher Beton, nichts wird versteckt
Roher Beton ist das Hauptbaumaterial des Brutalismus. Der Architekturstil kam 1954 weltweit auf. Grundriss, Konstruktion und Baumaterial sind so transparent wie möglich. Nichts wird versteckt. Die Kirche Maria Regina Martyrum in Berlin, das Institut für Hygiene der Charité und die sogenannte Post-Pyramide in Hamburg sind Beispiele dieses Stils.
Rettung der Post-Pyramide gescheitert
Letztere versteckte den Beton hinter einem Hauch Farbe. Und wartete lange einsam und verlassen auf den Abriss. Der begann 2017, ist inzwischen längst vollzogen. Auf dem Areal in der Hamburger City sind bereits neue Gebäude entstanden.
Brutalismus-Fans wie Marco Alexander Hosemann hatten versucht, die norddeutsche Beton-Ikone zu retten. "Allgemein wirken die Bauten des Brutalismus ein bisschen unnahbar", sagt er dem NDR 2017. "Und natürlich tun sich durch den rohen Beton auch gewisse Assoziationen im Kopf auf. Man denkt da vielleicht gleich an Bunker und solche Geschichten." Was viele ablehnen, findet Hosemann schön. Er gehört zur wachsenden Fangemeinde des Brutalismus.
Wachsende Szene von Brutalismus-Fans
Vor allem im Internet hat sich eine lebendige Szene entwickelt. Sie dokumentiert Gebäude weltweit. Sobald ein Abriss droht, können Bürger gegensteuern. Bei der Post-Pyramide in Hamburg hat alles nichts genützt. Die Eigentümer haben sich durchgesetzt und ließen sie abreißen: Die Pyramide sei unrentabel und nicht energieffizient. "Man muss dem Gebäude in gewisser Weise auch ein Stück weit zuhören und es lesen. Und auch verstehen, welche Gedanken eigentlich dahinterstecken", hält Hosemann dagegen.
Die meisten Brutalismus-Bauten seien nämlich wohldurchdacht. Die Funktion bestimmt die Form, aber das schützt nicht immer vor einem Abriss. Gleich neben der Post-Pyramide stand bis 2014 eine Brutalismus-Ikone der 1970er-Jahre, das BP-Gebäude. 2015 wurde es abgerissen - trotz Denkmalschutzes.
Sollen Brutalismus-Bauten erhalten werden?
Mitte der 70er wurde mit großen Hoffnungen das Ihme-Zentrum in Hannover eröffnet. Seine ehemals perfekt brutalistische Betonfassade hat es schon vor langer Zeit eingebüßt. "Hübscher" sollte es werden. Doch heute liegt die Anlage in weiten Teilen brach und harrt einer Sanierung, die immer wieder verschoben wird.
Erhalt einer "Klorolle"
Eine Sanierung kann aber auch gelingen - erst recht, wenn es ein ästhetisches Bewusstsein für die Gebäude des Brutalismus gibt. Wie bei der ehemaligen St. Maximilian Kolbe-Kirche in Hamburg. Spitzname: "Klorolle". Der Abriss konnte Dank engagierter Bürger abgewendet werden. Aus dem Gebäude wurde eine soziale Begegnungsstätte.
Manch anderes Erbe des Brutalismus hätte es womöglich auch verdient, erhalten zu werden. Ein anderer Blick auf die alten Betonmonster lohnt sich auf jeden Fall.