Mode in der DDR: Wie der Osten sich gekleidet hat
Wer in der DDR schick gekleidet sein wollte, brauchte eine Nähmaschine sowie Strick- und Häkelnadeln. Denn was es zu kaufen gab, erfüllte nur selten die Ansprüche an Geschmack und Qualität.
Schnittmusterbogen und modische Tipps dafür boten zum Beispiel die Zeitschriften "Pramo", "Sibylle" und "Saison". Zwar gab es in der DDR seit 1952 ein Institut für Bekleidungsindustrie und später ein Modeinstitut - für mehr Konsum beziehungsweise mehr Chic im staatlich geführten Einzelhandelsunternehmen HO sorgten indes beide nicht. Das scheiterte nicht an mangelnder Kreativität, sondern an den ökonomischen Zwängen der textilen Massenfertigung. Wo nur möglich, mussten Steppnähte, Knöpfe und Verzierungen eingespart werden.
Auch Bormans Image leidet mit der Verstaatlichung
Die Modegestalterinnen sollen teilweise geweint haben, wenn sie das nach ihren Entwürfen gefertigte Kleid zu Gesicht bekamen. Doch es gab auch Ausnahmen. Eine war das Magdeburger Modehaus Bormann, wo sich bis 1972 nicht nur die Prominenten des Landes die Klinke in die Hand gaben. Bormanns Modelle fanden auch internationale Beachtung. Das war vorbei, als der bis dahin halbstaatliche Betrieb "freiwillig" dem Staat überlassen werden musste. Fortan regierte auch bei Bormann - nun unter anderem Namen - die Eintönigkeit.
Mode als Ausdruck politischer Gesinnung
Lederersatz Lederol, "Präsent 20", Dederon, Wolpryla und Grisuten waren Versuche der Textilindustrie, mit neuen preiswerten Fasern mehr Farbe und Qualität in den Handel zu bringen. Den von den Käufern erwarteten West-Chic aber lieferten die Modehäuser nicht. Mode in der DDR hatte auch eine politische Dimension. Wer in den 50er- und 60er-Jahren in Jeans gekleidet zur Schule kam, musste sich die Frage gefallen lassen, wie es denn mit seinem Klassenstandpunkt aussehe. Später wurde es lockerer gesehen. Die DDR erfand mit "Wisent" und "Boxer" eigene Jeans-Marken.
Anregung zum Nachschneidern aus der Zeitschrift
Die 1956 gegründete Modezeitschrift "Sibylle" war sehr begehrt. Die in dieser Zeitschrift präsentierte Mode sollte realistisch sein, schön und schlicht. Modegestalter und Fotografen der "Sybille" waren davon überzeugt, dass Mode durch den Gebrauchswert bestimmt wird und nicht durch den saisonalen Wechsel. Dennoch verkauften die Modegestalter, Fotografen und Redakteure auf Hochglanzpapier Träume und Anregungen, denn die in U-Bahnhöfen, in Fabriken und auf Baustellen abgelichtete Mode gab es nirgendwo zu kaufen. Sie konnte lediglich als Anregung zum Nachschneidern verstanden werden und sollte ein spezifisches Lebensgefühl vermitteln.
"Sybille-Fotos" nach ideologischen Kriterien überprüft
Das Ideal dieses Lebensgefühls war die freie Frau, berufstätig, unabhängig und selbstbewusst. Die Frau in der DDR sollte sich damit klar von dem "westlichen Frauenverständnis" abheben. Von der Frauenkommission des ZK der SED wurde in den 70er- und 80er-Jahren fast jedes Foto, das in der "Sibylle" erschien, nach ideologischen Kriterien überprüft. Die DDR hatte die Emanzipation der Frau schließlich offiziell ausgerufen und gesetzliche Regelungen für die Gleichstellung von Mann und Frau geschaffen. Das apostrophierte Frauenbild wurde jedoch von der Realität widerlegt.
Attraktive Mode ging in den Export
Die Träume zerplatzten wie Seifenblasen angesichts des Konfektionsangebots im Einzelhandel. Das Angebot zeichnete sich meist durch minderwertige Stoffe, billige Verarbeitung und einfallslose Gestaltung aus, und das, obwohl die DDR auf dem Gebiet des Textilmaschinenbaus führend war. Hochwertige Textilmaschinen und attraktive Kollektionen wurden jedoch ausschließlich für den Export produziert, sodass circa 80 Prozent der Bekleidungsproduktion ins Ausland verkauft wurden.
Eine Modernisierung der Bekleidungs- und Textilindustrie gelang aus wirtschaftlichen Gründen nicht - und auch, weil den zuständigen Ministerien die nötige Einsicht in die marktwirtschaftliche Umsetzung von Trends fehlte. Wenn in die Modernisierung der Produktionsanlagen investiert wurde, dann wurden die so geschaffenen Kapazitäten meist nur für den Export genutzt. Für die DDR-Konfektion zählten in erster Linie Menge und Planvorgaben, nicht aber die entsprechende Qualität.
Mode nach Plan erzieht zum Verzicht
Die "Mode nach Plan" konnte weder auf Bedürfnisse noch auf Wünsche und Ansprüche ihrer Käufer eingehen, sie erzog zum Verzicht. Das Produkt der Planwirtschaft verstaubte in den ohnehin karg gehaltenen Schaufenstern und türmte sich in Lagern. Selbst die Mitarbeiter sowjetischer Handelsunternehmen waren nicht bereit, die ungeliebte Ware abzunehmen.
Die Arbeit des Modeinstituts der DDR, die an den Produkten der Konfektionsindustrie gemessen wurde, geriet aus diesen Gründen bei der Bevölkerung in Misskredit. Das Institut entwickelte Musterkollektionen, die der Industrie als Anregung und Anleitung dienen und den Stil der gesamten DDR-Mode prägen sollten. Die Ideen der Mode- und Textilgestalter waren nach der Umsetzung durch die verkrustete Textilindustrie und nach oft mehr als zehn Entscheidungsebenen meist nicht wiederzuerkennen und hatten nichts mehr mit den Bedürfnissen der Käufer zu tun.
Sonderkonditionen für "Exquisit“-Produktion
Eine Lösung dieses Problems sollte das 1970 gegründete Volkseigene Produktions- und Handelsunternehmen "Exquisit" bringen, das die Bevölkerung "mit Bekleidungserzeugnissen mit hohem Gebrauchswert und moderner Gestaltung im oberen Preisgenre" versorgen sollte. Das Handelsunternehmen wurde dazu mit Sonderkonditionen ausgestattet. Es wurden Devisen bereitgestellt für Importe von Stoffen, Maschinen, selbst Ladeneinrichtungen. Anregungen konnten die Modegestalter aus Berichten der wenigen Mitarbeiter ziehen, die zu den großen Modenschauen nach Paris, Mailand oder Düsseldorf fahren durften. Meist noch ergiebiger an Anregungen und Informationen war die internationale Zeitschriftenbibliothek. Internationale Modeideen wurden jedoch nicht ungefiltert übernommen, sondern auf ihre Verwendbarkeit für die meist berufstätige Frau hin überprüft.
Anfänglich gab es von einem Entwurf nicht mehr als 30 bis 50 Modelle, in den 80er-Jahren wurden jedoch häufig 500 bis 1.000 Modelle produziert. Dabei verlor die Kollektion an Qualität und Exklusivität. Auch die Preise stiegen. Dem Ministerium für Handel und Versorgung, dem "Exquisit" unterstellt war, lag viel daran, das angesparte Geld, dem kein entsprechendes Warenangebot gegenüberstand, "abzuschöpfen". Dennoch konnten sich meist nur Personen der oberen Einkommensklassen und Schwarzmarkthändler die überdurchschnittlich teuren Bekleidungsartikel leisten (eine Hose kostete zwischen 170 und 200 Mark, das Durchschnittsbruttoeinkommen in der DDR lag dagegen 1982 bei circa 1.000 Mark).
"Präsent 20" - Sinnbild wirtschaftlicher Unabhängigkeit
Für den kleineren Geldbeutel wurde 1969/70 "anlässlich des 20. Jahrestages der DDR" ein Produkt geschaffen, das die "konsumbedürftige" Bevölkerung befriedigen sollte: die Stoffneuentwicklung "Präsent 20". Die neue Textilie wurde nach dem Großrundstrickverfahren hergestellt und verkörpert wie kein anderes Produkt den Traum der DDR nach wirtschaftlicher Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Überlegenheit. Das anfangs wegen seinen Pflegeeigenschaften beliebte Rundstrick aus 100 Prozent Polyester geriet aber bald schon in die Kritik der Verbraucher.
Das Straßenbild der DDR war geprägt durch die dunkelblauen und dunkelbraunen Kostüme und Anzüge "aus dem Stoff, aus dem die Alpträume sind", wie manch Unzufriedener monierte. Zudem standen die Kleidungsstücke immer etwas steif ab und trugen durch ihre erhöhte Wärmeentwicklung zu unangenehmen Gerüchen bei. Die Kleidung neigte zu elektrischer Aufladung, was besonders bei langen Röcken problematisch war: Der Stoff blieb am Bein haften.
Dennoch wurde das im VEB Textilkombinat Cottbus 1969 erstmals hergestellte Produkt in der Betriebschronik wegen der neuen Herstellungstechnik, der Geschwindigkeit der Produktion und der Qualität des Erzeugnisses als "Weltspitzenerzeugnis" gefeiert. Was in der Chronik verschwiegen wurde und öffentlich nicht bekannt werden durfte: Die Großrundstrickmaschinen waren aus der Bundesrepublik importiert worden.
Selbst ist die Frau
Der Mangel an Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und Individualität in der käuflichen DDR-Mode konnte nur über Eigeninitiative ausgeglichen werden. So waren in der vierteljährlich erscheinenden DDR-Zeitschrift "Guter Rat" immer wieder Anleitungen zum "Stoffreste-Verwerten, Färben und Wenden" zu finden. Die Nähmaschine gehörte schließlich zum Inventar eines jeden DDR-Haushalts. Mangels hochwertiger Stoffe griff man oftmals zu (frischen) Baumwollwindeln und Bettlaken und nähte sich Kleider oder Hosen nach, auf die man in Zeitschriften oder Filmen aufmerksam geworden war. Schließlich entstanden in den 80er-Jahren Wochenmärkte, auf denen Laiengestalter unaufwendig genähte Kleidung verkauften.
Quelle: www.mdr.de/damals