DDR-Mode: Foto-Jagd auf Schätze aus dem Schrank
Es war ein kleiner Aufruf in der "Bützower Zeitung" mit großer Wirkung: "DDR-Kleidung für Fotoserie gesucht." Dutzende Menschen durchforsteten ihre Schränke und Dachböden und meldeten sich. Das Ergebnis: Kleiderständer und Waschkörbe voll mit Röcken, Kleidern, Schürzen. Und Erinnerungen.
Das Lämpchen am Anrufbeantworter in Hamburg hört gar nicht mehr auf zu blinken. Aus ganz Mecklenburg-Vorpommern rufen Leute an. "Ich hätte nie gedacht, dass der Aufruf diese Wirkung hat", freut sich Hannes Wichmann. Eine große Leidenschaft für Mode hat der gebürtige Bützower schon lange. Neu ist das Interesse an der Alltagsgeschichte seines Heimatlandes. Der 27-Jährige ist ein Jahr nach dem Mauerfall geboren, hat die DDR selbst nie erlebt. "Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass wir im Kindergarten mit NVA-Spielsoldaten gespielt haben", erzählt er. Und so wird die Kleider-Tour durchs Land auch eine Reise zu den eigenen Wurzeln.
Ein halbes Monatsgehalt für eine Bluse
Die 83-jährige Helga hat bereits eine petrolfarbene Bluse rausgelegt, als Hannes Wichmann klingelt. Fast ein halbes Monatsgehalt habe sie 1986 dafür bezahlt. Knapp 200 DDR-Mark. Japanische Seide, so die Verkäuferin damals. Die Bluse war für einen besonderen Anlass bestimmt: eine Reise auf dem DDR-Kreuzfahrtschiff "Arkona". "Mein Mann und ich hatten ewig darauf gespart, es war einmalig". Auch heute trägt sie ihre über 30 Jahre alte Bluse noch. "Ich werde immer wieder darauf angesprochen, keiner kann glauben, dass sie so alt ist."
Hochwertige Stoffe, moderne Schnitte - Mangelware in der DDR
Gute Stoffe, moderne Schnitte waren im Sozialismus Mangelware. Zwar unternahm der Staat im Laufe der Jahre immer mehr Anstrengungen, die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Mit dem Lederersatzstoff Lederol zum Beispiel oder den eigenen Jeansmarken "Wisent" oder "Boxer". Bei vielen jungen Leuten ging aber dennoch nichts über eine West-Jeans.
Streit wegen West-Jeans
So auch bei Monika Thiem aus Groß Grabow. Ihre Schwester hatte über Westkontakte eine Jeans besorgt. Für 50 DDR-Mark. Der Vater war sauer und schimpfte, davon hätte er sich drei Hosen kaufen können. "Zur Strafe musste ich die Jeans auftragen, irgendwann konnte ich sie nicht mehr sehen", erzählt Monika Thiem, während sie Hannes Wichmann einen Waschkorb voller buntgemusterter Kleider, Röcke und Schürzen hinstellt.
DDR-Modefotografie als Inspiration
Für sein Projekt fotografiert Hannes Wichmann die Besitzerinnen mit einem ihrer Lieblingsteile. Bei Monika Thiem ist es ein bodenlanges orangefarbenes Kleid - noch mit Original-Verkaufsschild. Für das Frühjahr plant er dann mit den Kleidern ein Modeshooting an DDR-Schauplätzen. Zur Inspiration studiert der angehende Kameramann alte Ausgaben der DDR-Modezeitschrift "Sibylle" - die "Vogue" der DDR, damals Pflichtlektüre bei allen modebewussten DDR-Bürgerinnen. "Die Fotos sind auch heute noch modern", stellt Wichmann fest.
Verlobungsdress nach "Sibylle"-Vorlage
Ein magenta-blauer Zweiteiler ist nur eines von vielen Kleidungsstücken, das Christlinde Schuldt auf ihrem Tisch im Wintergarten ausbreitet. Den Stoff dafür hatte ein Freund ihres Vaters aus dem Westen besorgt. Geschneidert wurde nach einer Vorlage der "Sibylle". Eigentlich war der Zweiteiler für ihre Verlobung gedacht. Doch das Wetter machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung: "Wir steckten im Zug zum Hotel fest, nachts um vier verlor mein Mann schließlich die Geduld und hielt um meine Hand an", erzählt sie lachend. Dem jungen Glück hat das kein Pech gebracht, die Ehe hält bis heute.
Ausstellung als Liebeserklärung an Bützow
Mehr als 80 Kleider, Schürzen, Röcke, Bademäntel, Handschuhe, Hüte und Pumps hat Hannes Wichmann bei seiner Tour durch Mecklenburg-Vorpommern eingesammelt.
Wenn er alles fotografiert hat, würde er die Bilder gerne in Bützow ausstellen. "Als kleine Liebeserklärung an meine Heimatstadt". Die Besitzer und Besitzerinnen der Kleidungsstücke will er dazu natürlich einladen.