Jamel rockt den Förster: Das Festival gegen Rechtsextremismus
Das Open-Air-Festival mit vielen namhaften Bands findet seit 2007 in dem kleinen Ort Jamel unweit der Ostsee statt. Es soll ein Zeichen gegen Rechtsextremismus sein. Jetzt gibt es eine neue ARD-Doku darüber.
Jamel ist ein Ortsteil der Gemeinde Gägelow im Landkreis Nordwestmecklenburg. Grevesmühlen und Wismar sind jeweils nur etwas mehr als zehn Kilometer entfernt. Die Gegend ist geprägt von Feldern, Wiesen, Wäldern und der Nähe zur Ostsee. Idylle pur - könnte man meinen. Doch Jamel hat sich seit den 1990er-Jahren zu einem Dorf entwickelt, in das immer mehr Personen und Familien aus der rechtsextremen Szene gezogen sind. Neonazis mit völkischen Gedanken sind dort in der Überzahl - ein regelrechtes Nazi-Dorf.
Daran hat sich das Künstlerpaar Horst und Birgit Lohmeyer gestört. Die beiden waren 2004 in den ehemaligen Forsthof nach Jamel gezogen und wollten nicht tatenlos zusehen, wie sich noch mehr Rechtsextreme im Ort und der Region ansiedeln.
Vom kleinen Sommerfest zum großen Projekt
2007 begannen die Lohmeyers, mit öffentlichen Veranstaltungen gegen die Abschottung ihres Dorfes und dessen Vereinnahmung von Rechtsradikalen vorzugehen. In dem Jahr öffneten sie erstmals die Pforten ihres Hofes für die Öffentlichkeit - die Geburtsstunde von Jamel rockt den Förster. "Was als kleines, feines Sommerfest für Freund*innen, Verwandte und Kolleg*innen begann, entwickelte sich - beinahe zwangsläufig - zu einem ambitionierten gesellschaftspolitischen Projekt", heißt es auf der Website zu dem Festival. Die Veranstaltung ist ehrenamtlich organisiert und überwiegend durch Spenden von Sponsoren finanziert.
Schirmherrin des Open-Air-Festivals ist seit 2016 Manuela Schwesig, heutige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Schirmherrin bis zu ihrem Tod 2019 war Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider. Anschließend übernahm Amtsnachfolgerin Birgit Hesse die zweite Schirmherrschaft.
Polizei muss Festival schützen
Das Engagement gegen Rechtsextremismus und für eine demokratische, offene Gesellschaft stieß von Anfang an - nicht überraschend - auf wenig Akzeptanz in der rechten Szene. In den vergangenen Jahren hätten sie und ihr Mann viele Demütigungen erfahren müssen, so Birgit Lohmeyer in einem NDR Interview. Es habe Diebstähle, Sachbeschädigungen und Beleidigungen gegeben, außerdem seien Anzeigen gegen sie bei Behörden eingegangen. Aber: Der Kampf gegen rechts sei "unsere Lebensaufgabe".
Es gab zudem mehrere Versuche, das Festival zu stören. Am 13. August 2015 - kurz vor dem Beginn des Open Air - wurde die Scheune des Hofs von Unbekannten angezündet. 2016 wurden an Autos von Festivalbesuchern Reifen zerstochen. Um Sachbeschädigungen und Ausschreitungen zu verhindern, rückt die Polizei jedes Jahr mit einem großen Aufgebot an.
2015: Reporter Abdollahi versucht, ins Gespräch zu kommen
2015 hat sich der NDR Reporter Michel Abdollahi in Jamel umgesehen und versucht, mit den rechtsgesinnten Menschen in Kontakt zu kommen - mit überschaubarem Erfolg. "Die meisten sind durchaus freundlich, wollen sich aber nicht filmen lassen", so Abdollahi. Mit "Dorf-Chef" Sven Krüger kann sich der Reporter ein wenig über politische Ansichten und Demokratie austauschen. Bizarr: Einige der Bewohner sind laut Krüger Fans der Toten Hosen um Sänger Campino - ausgerechnet einer Band, die sich erwiesenermaßen gegen Rechtsextremismus einsetzt und in dem Jahr in Jamel auftritt.
Aussagekräftig auch: NPD-Politiker Udo Pastörs bezeichnet in einem Interview einen Wegweiser in Jamel nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, als "Geschmackssache".
Immer mehr Bands und Künstler mit großem Namen
Das Festival gegen Rechtsextremismus ist im Laufe der Jahre immer beliebter geworden, auch bei den teilnehmenden Musikern. Während in den Anfangsjahren kleine, damals eher wenig bekannte Bands auf der Bühne in Jamel auftraten, kamen später namhafte Bands und Musiker hinzu. So spielten zum Beispiel Alphaville im Jahr 2014. Spätestens seit dem ziemlich spontanen Auftritt der Toten Hosen 2015 hat das Festival auch überregional einen Namen. Zur Tradition geworden ist auch der Umgang mit dem Line-up: Welche Bands und welche Musiker kommen, bleibt seit 2017 immer bis kurz vor dem jeweiligen Auftritt geheim. Grund: Die Veranstalter möchten, dass die Fans besonders an der politischen Aussage des Festivals interessiert sind und ihr Kommen nicht davon abhängig machen, welcher prominente Musiker sich angesagt hat.
Promi-Musiker setzen sich gegen Rechtsextremismus ein
2024 kamen neben Element of Crime und Selig als größte Überraschung die Fantastischen Vier nach Jamel. Die Hip-Hop-Gruppe lobte das Veranstalter-Ehepaar: "Vielen Dank an die Familie Lohmeyer, dass sie Liebe verbreiten in Zeiten der Dunkelheit."
"Es geht um nichts weniger als um die persönliche Freiheit, die verloren geht. In Jamel kann man das besichtigen." Michi Beck, Fanta 4
2018 trat Herbert Grönemeyer als Überraschungsgast in Jamel auf. Schon seit Jahren setzt er sich gegen rechtsextreme Tendenzen in Deutschland und für eine freie Gesellschaft ein. Damit hat er sich zwar nicht nur Freunde gemacht, das hält ihn aber nicht davon ab, weiter zu mahnen.
Weitere bekannte Künstler, die in Jamel auf der Bühne standen, sind unter anderem: Sebastian Krumbiegel von den Prinzen, Die Ärzte, Bela B., Fettes Brot, Sportfreunde Stiller, Deichkind, Madsen, Danger Dan, Turbostaat, Beatsteaks, Juli, Bosse, Kettcar, Die Sterne, Blumfeld, Fury in the Slaughterhouse, Casper, Marteria, Kraftklub, Fehlfarben, Slime, Donots, Feine Sahne Fischfilet, Max Herre, Samy Deluxe, Mia und Grossstadtgeflüster. Nicht zu vergessen ist die "Hausband" Tequila & the Sunrise Gang aus Kiel, die schon seit Jahren für Stimmung sorgt.
"Rechts geht nicht, wir wollen es nicht!" Herbert Grönemeyer 2018 in Jamel
Zahl der Besucher stets angestiegen
Dementsprechend ist auch der Besucherzuspruch mit den Jahren stets gestiegen. Während das Festival anfangs eine reine Musikveranstaltung war, gibt es inzwischen auch ein gesellschaftspolitisches Informations- und Workshop-Programm. Während 2012 und 2013 noch jeweils rund 400 Besucher gezählt wurden, waren es 2014 bereits 650. Einen deutlichen Sprung gab es 2015 sicher nicht zuletzt wegen der Toten Hosen, als an den zwei Festivaltagen 1.200 Besucher kamen. 2023 waren es rund 3.000 Fans - 2024 sogar rund 3.500..
Anfang 2024 gab es eine kommunalpolitische Auseinandersetzung um das Festival. Ein Gemeindevertreter hatte die Lohmeyers wegen vermeintlicher Umweltvergehen angezeigt. Die Schweriner Staatsanwaltschaft sah wegen fehlenden Tatverdachts aber von Ermittlungen ab. Im März wurde dann entschieden, einen Nutzungsvertrag für die dringend benötigte Wiesenfläche mit den Festivalveranstaltern abzuschließen.
Medieninteresse ist groß
Jamel rockt den Förster ist jedes Jahr wieder Anlass für viele Medien, über das Festival und den Grundgedanken dahinter zu berichten. Auch im Ausland hat man Notiz von dem Neonazi-Dorf und dem Kampf gegen Rechtsextremismus genommen.
"Wir sind zwar 363 Tage im Jahr relativ allein mit diesen Rechtsextremen, aber zumindest sind im Geiste ganz viele Menschen bei uns." Horst Lohmeyer im NDR Interview 2022
Ehrungen für die Lohmeyers - Demokratiepreis für junge Leute
Für ihr gesellschaftliches Engagement sind die Lohmeyers mehrfach ausgezeichnet worden. 2011 bekamen sie den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrats der Juden sowie den Bürgerpreis der Zeitungen. 2015 wurde ihnen der Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt verliehen. 2018 folgten der Preis für Popkultur für Gelebte Popkultur und der Sonderpreis der "1Live-Krone". 2022 erhielt das Paar den Regine-Hildebrandt-Preis der deutschen Sozialdemokratie. 2023 bekamen die beiden den Humanismus-Preis für Menschenrechte. Die Juroren würdigten den Mut und die Entschlossenheit der Lohmeyers als herausragende Verteidiger der Demokratie.
"Sie sind Vorbilder und Wegbereiter für eine Gesellschaft, die sich gegen jede Form von Extremismus zur Wehr setzen muss. Ihr Engagement ist zugleich ein Aufruf zum Handeln und ein lebendiges Zeugnis dafür, dass der Einsatz für die Demokratie auch unter schwierigen Bedingungen möglich ist." Humanistischer Verband 2023
2023 wurde in Jamel erstmals ein mit 1.000 Euro dotierter Demokratiepreis an junge Menschen verliehen, die sich gegen Diskriminierung aussprechen. Dieser Preis soll nun jedes Jahr an ein Projekt vergeben werden, das demokratiefördernd wirkt beziehungsweise dem Gemeinwohl dient.