Stand: 07.01.2016 17:09 Uhr

Neue Heimat im Nazidorf: Allein unter Rechten

von Michel Abdollahi, David Hohndorf & Janina Kalle

Ein Flüchtlingskind malt mit Fingerfarben ein Herz an die Wand, ein anderes eine Blume. Und ganz am Ende schreibt ein Junge: "Danke Deutschland." Das alles spielt sich in einer Holzhütte ab, die zuvor an einem Ort stand, der als "Nazidorf" bekannt geworden ist: das kleine Jamel in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Hütte ist "umgezogen", weg von den Nazis, hin zu den Flüchtlingen - mitten in der Schweriner Plattenbausiedlung "Großer Dreesch" wurde sie wieder aufgebaut. Das Häuschen soll eine Begegnungsstätte für Kinder und Jugendliche werden und Integration fördern. Es ist das schöne Ende einer langen Reportage über den Alltag von Rechtsextremen.

VIDEO: Neue Heimat im Nazidorf: Allein unter Rechten (29 Min)

Einen Monat allein unter Nazis

Einen Monat lang lebte der Deutsch-Iraner Michel Abdollahi in dieser Holzhütte. Er hatte sie in Jamel aufgebaut, jenem Ort, der Nazidorf genannt wird und als "national-befreite Zone" weltweit Aufmerksamkeit erregt hat. Das Dorf empfiehlt sich mit völkischen Wandgemälden und Propagandasprüchen. Mal fand die Polizei bei einem Bewohner eine Maschinenpistole und scharfe Munition, mal wurden auf dem Dorfplatz HJ-Lieder gesungen. Ein Wegweiser zeigt nach Braunau am Inn - der Geburtsort Adolf Hitlers. Und überall sind Nazikürzel verstreut, die auf Adolf Hitler oder den Ku Klux Clan hinweisen.

Michel Abdollahi hat einen Sommer lang hier gelebt. Mitten auf der Dorfwiese hat er ein Häuschen samt Sanitärcontainer aufgebaut, um der Nachbar der Nazis zu werden. Viele Journalisten aus aller Welt waren zuvor angereist, um über den seltsamen Ort zu berichten. Aber wirklich gesprochen hatte mit den Nazibewohnern noch keiner.

Die freundlich-lockere Nazi-Erlebniswelt

Michel Abdollahi (re.) mit Sven Krüger (2.v.R.) und einem anderen Dorfbewohner in Jamel.
Lockerer Plausch: Michel Abdollahi (re.) mit Sven Krüger (2.v.R.) und einem anderen Dorfbewohner in Jamel.

Während seiner Dreharbeiten hat Michel Abdollahi eine bizarre Welt kennengelernt und Begegnungen zwischen Volkszorn und Freundlichkeit erlebt. Vor allem der "Dorfchef" Sven Krüger, ein einschlägig bekannter Neonazi, hat sich nach Tagen des Abwartens auf Interviews eingelassen. Es sind zunächst Gespräche des Beschwichtigens und Abwiegelns.

Der Nazi gibt sich als jovialer Mann von nebenan. Doch Krüger ist vorbestraft und auf Bewährung aus der Haft entlassen worden - allein deshalb muss er jedes Wort abwägen. Und es gehört offensichtlich auch zum Nazimarketing, die Ideologie so zu verpacken, dass sie gerade noch legal ist. Der Hinweis auf Hitlers Geburtsort - eine Kleinigkeit. Das Rassistenkürzel "White Power" - nicht verboten. Eine arische Familie als Wandbild - völlig legal. "Also nichts, was hier ist, ist irgendwie in Frage gestellt oder ist ein Fragezeichen hinter. Es ist einfach wie es ist", sagt Krüger. Alles locker bei den Nazis.

Doch zwischendurch blitzen auch überraschende Erkenntnisse auf. Als Abdollahi Krüger zu den Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte befragt, zuckt der Nazi zuerst zwar mit den Schultern und spricht von "Volkszorn". Doch als der Reporter konkret wird und Krüger vorschlägt, Flüchtlinge kennenzulernen, räumt dieser ein: "Das Problem ist, wenn man sie kennt, kann man sie nicht mehr hassen." Ein verblüffend offenherziges Bekenntnis eines Nazis.

Bilder und Gegenbilder

Ein Gebäude im nordwestmecklenburgischen Jamel ist mit den Worten "Dorfgemeinschaft Jamel: frei, national, sozial" und Bildern bemalt. © ndr.de Foto: Silke Hasselmann
Die völkisch-nationale Idealfamilie.

Berühmt geworden ist Jamel vor allem auch durch sein Wandbild - eine arische Familie mit dem Spruch "frei - sozial - national". Das Arrangement hat Symbolkraft für die rechte Szene. Offenbar stellt man sich genau so völkisches Leben vor. Abdollahi hat dem Dorf am Ende seines Aufenthalts ein neues Wandgemälde geschenkt - mit einer ganz normalen Familie der Gegenwart, die ein dunkelhäutiges Kind hat.

Dazu ließ er sein Demokratiebekenntnis aufmalen: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Nazis haben das Wandgemälde stehen lassen, doch akzeptiert haben sie es offenbar nicht. Vor allem der dunkelhäutige Junge wurde immer wieder zugestellt: Von einem Strauch, einem Tapeziertisch oder zwei Mülltonnen. Es ist offenbar jene Aggression, die unter der Jovialität der Nazifreundlichkeit lauert.

Am Ende hat Abdollahi sein Holzhäuschen wieder abgebaut - und einem guten Zweck gespendet. Jetzt spielen Kinder darin. Von Nazis und "national-befreiten Zonen" wissen sie noch nichts. Sie freuen sich nur, dass sie einen friedlichen Ort der Integration gefunden haben.

Weitere Informationen
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Der Panorama-Beitrag vom 7.Januar 2016 als PDF-Dokument zum Download. Download (276 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 07.01.2016 | 21:55 Uhr

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