Die Initiatoren des Festivals "Jamel rockt den Förster", Birgit und Horst Lohmeyer, auf der Bühne vor dem jubelnden Publikum © ARD Kultur/SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Die Initiatoren des Festivals "Jamel rockt den Förster", Birgit und Horst Lohmeyer, auf der Bühne vor dem jubelnden Publikum © ARD Kultur/SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Die Initiatoren des Festivals "Jamel rockt den Förster", Birgit und Horst Lohmeyer, auf der Bühne vor dem jubelnden Publikum © ARD Kultur/SWR/Labo M/Andreas Hornoff
AUDIO: ARD-Doku: "Jamel - lauter Widerstand" (3 Min)

Allein unter Neonazis: Ein Künstlerpaar und ihr Festival in Jamel

Stand: 20.11.2024 08:24 Uhr

Jamel ist ein 38-Seelendorf in Mecklenburg-Vorpommern - und eine Hochburg für Neonazis. Die ARD-Doku "Jamel - lauter Widerstand" begleitet ein Paar, das dort mutig und vereint mit der deutschen Musikszene für Toleranz kämpft.

von Anja Caspary

Alljährlich im August wird im kleinen Jamel die Demokratie verteidigt. Alle Musikerinnen und Musiker treten ehrenamtlich auf. Sie kommen auf Einladung von Birgit und Horst Lohmeyer, auf deren Wiese 3.500 Leute passen. Zwei Tage lang setzen alle dort gemeinsam ein Zeichen gegen rechts und dann fahren sie wieder weg.

Vor 20 Jahren zog das Paar in das Neonazidorf

Einer von ihnen war und ist Martin Groß: "Für mich war immer dieser Moment des Fahrens der seltsamste. Jetzt fahren wir alle wieder und was passiert hier eigentlich den Rest des Jahres. Das wollte ich mir mal genauer angucken." Groß ist Filmemacher und hat das Ehepaar Lohmeyer, das vor 20 Jahren von Hamburg aufs Land zog, für seine Doku "Jamel - lauter Widerstand" im Alltag begleitet.

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Das Plakat zu der ARD-Dokumentation "Jamel - lauter Widerstand", auf dem die Initiatoren Horst und Birgit Lohmeyer, sowie die Musiker Smudo und Olli Schulz zu sehen sind. © ARD Kultur/SWR/Labo M/Andreas Hornoff

ARD-Doku: "Jamel - lauter Widerstand"

Die Dokumentation begleitet das Künstlerpaar, dass sich in dem winzigen Dorf gegen die rechtsextremen Bürger stemmt - mit Unterstützung der deutschen Musikszene. extern

Man sieht ihren renovierten denkmalgeschützten Forst-Gutshof aus dem 19. Jahrhundert, das Anwesen, der Garten -  ein Idyll, aber ein trügerisches. Ihr Nachbar heißt Sven Krüger. Der Straftäter mit Gefängnisvergangenheit ist bekennender Neonazi, ehemaliges NPD-Mitglied und  Vorsitzender des Gemeinderats.   

"Tja, wir haben mit Jamel, tief, tief in die Scheiße gegriffen, was die Nachbarschaft anbelangt", sagt Birgit Lohmeyer. Gemeinsam mit ihrem Mann Horst sinnt sie auf Gegenwehr. "Wir haben von Anfang an begriffen, dass uns die Öffentlichkeit nur schützen kann", sagt sie weiter.

Die Musiker zollen den Lohmeyers ihren ganzen Respekt

Birgit und Horst Lohmeyer, die Initiatoren des Festivals "Jamel rockt den Forster" im Gespräch mit dem Sänger der Fantastischen Vier © SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Mit ihrem Engagement beweisen Horst und Birgit Lohmeyer viel Mut, wie auch der Rapper Smudo anerkennend sagt.

Ein Musikfestival, das Tausende Besucher aus ganz Deutschland ins Dörfchen spült, ist für Öffentlichkeit natürlich gut geeignet, besonders wenn große Namen wie die Toten Hosen kommen. "Erstaunlich wie hier eine Enklave geschaffen wurde, mit einer Stecknadel, die weh tut, die Lohmeyers eben", sagt der Tote-Hosen-Frontmann Campino. "Die hätten sich nicht vertreiben lassen. "Diese Courage, dieses Durchhaltevermögen, das ist unglaublich und deswegen sind wir hier, um das zu unterstützen und um unsere Anerkennung auszusprechen." "Jamel rockt den Förster" heißt das zweitägige Festival.

Es sind bewegende Momente, wenn Campino die richtigen Worte findet, die Ärzte für nur ein Lied anreisen oder Smudo von den Fantastischen 4 die Reste der Scheune sieht, die einem Brandanschlag zum Opfer fiel: "Also alleine schon, wenn hier meine Scheune angezündet würde, würde ich in Angst und Schrecken leben", sagt Smudo. Bei kleinsten Geräusch in der Nacht würde er denken: Oh, ist hier zum Jahrestag von Rudolf Heß ein großes Feuer angesagt und zünden die schon wieder meine Hütte an. "Da würde ich Schiss kriegen. Ich könnt’s nicht. Ich wäre schon lange abgehauen", sagt Smudo anerkennend.

Zufällig eingefangene Szene lassen erschaudern

Der Regisseur der ARD-Doku "Jamel - lauter Widerstand" Martin Groß © ARD Kultur/SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Der Regisseur Martin Groß hat ganz beiläufig Szenen eingefangen, die viel über die Menschen in Jamel erzählen.

Die Lohmeyers sind geblieben, aber isoliert. Keiner in Jamel redet mit ihnen. Kommunikation findet nicht statt, auch nicht mit dem Filmteam. Umso "krasser" sind einige Szene, die Regisseur Groß fast beiläufig eingefangen hat. "Die Frau am Gartenzaun mit der Reichsflagge, die offensichtlich gar kein Verständnis dafür hat, dass das problematisch sein könnte. Das ist so eine Szenen, die mir immer auch so einen Schauder über den Rücken laufen lässt", erklärt der Filmemacher.

"Jamel - lauter Widerstand" von Martin Groß ist ein mitreißender Film über Zivilcourage allerdings ohne Happy End, der ab sofort in der ARD Mediathek abrufbar ist. Wenn die 3.500 Besucher wieder abgereist sind, wird es still in Jamel. Laut wird es erst wieder im kommenden Jahr am 22. und 23. August beim nächsten "Jamel rockt den Förster".

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Zusatzinfo:
ab sofort in der ARD Mediathek
Regie:
Martin Groß
Länge:
98 Minuten

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 20.11.2024 | 17:46 Uhr

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