Will Quadflieg: Grandseigneur der Sprache und des Theaters
Will Quadflieg galt als Protagonist des klassischen Theaters. Umstritten war seine Rolle in der NS-Zeit, als er auch Propagandafilme drehte. Später setzte er sich kritisch damit auseinander.
Ob Shakespeares "Hamlet", Schillers Carlos, von Hoffmannsthals "Jedermann" und natürlich Goethes "Faust": Will Quadflieg hat die großen Klassiker auf den renommierten Theaterbühnen der Republik gespielt. Darüber hinaus setzt er sich zeitlebens für die Pflege der deutschen Sprache ein. Und wenn andere längst ihren Ruhestand genießen, dreht Quadflieg nochmal richtig auf: Mit fast 80 Jahren steht er für den TV-Vierteiler "Der große Bellheim" von Dieter Wedel vor der Kamera. Und sein Unruhestand hält an, erst 1999 - mit 85 Jahren - gibt er das Theaterspielen gänzlich auf. Bis zu seinem Tod im Jahr 2023 bleibt Quadflieg ein engagierter und streitbarer Geist, dessen Interessen weit über das Theater hinausgehen.
Quadflieg verbringt Kindheit zwischen Hochöfen im Pott
Am 15. September 1914 in Oberhausen als Friedrich Wilhelm Quadflieg geboren, wächst der junge "Willi" mit zwei jüngeren Geschwistern im Ruhrpott inmitten von Hochöfen auf. Dort, "wo der Himmel immer schwarz ist und die Erde von Erschütterungen bebt". So beschreibt Will Quadflieg 1984 seine Kindheit in einem ZDF-Interview. Sein Vater Franz ist Werkdirektor der Gutehoffnungshütte, die Familie seiner Mutter Maria, eine geborene Schütz, betreibt einen Kolonialwarenladen. Die Familie Quadflieg gehört zum kleinbürgerlichen Mittelstand, ohne großes Interesse an Kultur. Quadflieg beschreibt sich als schüchternes Kind, aus der lauten Welt des Potts flüchtet er sich in die Welt der leisen Verse der "Insel-Bücherei". Darin entdeckt er die Sprache und deren Klang für sich. Als Gymnasiast schnuppert er dann erstmals Bühnenluft.
30er-Jahre: Erste Engagements in der Provinz
Nach dem Abitur nimmt Quadflieg privaten Schauspielunterricht und reist mit dem Rucksack durch Italien. Es ist eine unbeschwerte Zeit. Zurück in Oberhausen absolviert er 1933 ein unbezahltes Volontariat am dortigen Stadttheater, scheitert dort an seiner ersten Schauspielprüfung. Der Grund: Quadflieg versucht sich an eher martialischen Figuren wie dem "Jedermann" und Schillers Karl Mohr, die er als schmaler Jüngling einfach noch nicht ausfüllen kann. Ein halbes Jahr später wiederholt er die Prüfung - und besteht mit Rollen, die besser zu ihm passen, wie der Romeo. Es folgen weitere Stationen: Das Theater in Gießen engagiert Quadflieg, sein erstes Gehalt: 180 Mark im Monat, für sein Zimmer bezahlt er 30 Mark. Danach geht er nach Ulm und Gera, wo er erstmals in die Rolle des "Don Carlos" schlüpft. In der Provinz erlebt eine innere Entwicklung - er lernt, die innere Vision einer Figur zu erfassen. Demaskierung nennt Quadflieg diesen schauspielerischen Prozess. 1937 wagt er den Schritt in die Hauptstadt und geht an die Berliner Volksbühne. In der schauspielerischen Kameradschaft mit Gustav Knuth und Rene Deltgen spielt sich frei, wie er in seinen Erinnerungen schreibt.
Karriere im Krieg - Politisches wird ausgeblendet
1940 ist sowohl privat als auch beruflich ein bewegtes Jahr: Quadflieg heiratet die Schwedin Benita von Vegesack. Er hatte sie als 19-Jähriger am Strand von Capri kennengelernt. Im selben Jahr kommt Tochter Isolde zur Welt und Heinrich George holt Quadflieg ans Schiller-Theater und fördert dessen Talent weiter. Quadflieg wird eingezogen, er leistet drei Monate Militärdienst und wird schließlich freigestellt, weil er seitens seines Arbeitgebers als unabkömmlich gilt. Anders als viele andere Kulturschaffende verlässt Quadflieg Deutschland im Zweiten Weltkrieg nicht, er verfolgt zwar die politischen Geschehnisse, zieht aber keine Schlüsse für sein privates Leben. Er lebt so intensiv in seinem Beruf, nimmt die Situation nicht wirklich wahr und dreht sogar Propagandafilme wie "Schicksal". Trotzdem geht der Krieg nicht spurlos an ihm vorbei: Quadflieg ist Luftschutzwart eines Mehrfamilienhauses und in der Truppenbetreuung hält er Rezitationsstunden ab. Er habe so Dichtung und Poesie an die Menschen herangeführt. "Worte statt Gebrüll", wie er es im ZDF-Interview nennt. Und von Auschwitz habe er erst nach dem Krieg erfahren.
Später schaut er selbstkritisch auf seine Haltung zurück: "Ich war in der Hitlerzeit ein typischer, ein beschissener Mitläufer", sagt er 1966 im Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Er habe mit beiden Augen nur auf seinen Beruf gestarrt, statt ein Auge freizuhalten und das politische Leben wirklich zu sehen.
Nach Kriegsende Neustart in Hamburg und Zürich
Seine Haltung während des Kriegs schadet Quadfliegs Karriere nicht. Der Schauspieler übernimmt nach Kriegsende ein Engagement am Schauspielhaus in Hamburg. 1946 lebt die Familie für kurze Zeit in zwei Zimmern in der Hamburger Blumenau als Untermieter des Kollegen Heini Göbel. Den harten Winter 1946/47 überlebt die Familie nur, weil Quadfliegs Vater seiner Hamburger Verwandtschaft Kohlen zum Heizen schickt. 1948 lädt Theaterdirektor Oskar Wälterlin Quadflieg ans Schauspielhaus Zürich ein. Im Ausland arbeiten zu dürfen, ist wie ein Neubeginn, allerdings bekommt nur der Schauspieler selbst ein Einreisevisum. Frau und Kinder lässt er deshalb mithilfe von Freunden über die grüne Grenze schmuggeln. Mit der Geburt von Manuel (1948) und Roswitha (1949) vergrößert sich die Familie Quadflieg weiter. Im Krieg kamen bereits die Söhne Lars (1942) und Christian (1945) zur Welt.
50er-Jahre: Legendärer "Faust" am Schauspielhaus Hamburg
Ab 1955 arbeitet Quadflieg unter Gustaf Gründgens, der schon während des Nazi-Regimes einer der bekanntesten Schauspieler und Regisseure des Landes gewesen ist, am Hamburger Schauspielhaus. Der Intendant prägt das Theater der 50er-Jahre, das unpolitisch ist und sich dem Werk verpflichtet. Quadflieg und Gründgens haben das gleiche Verständnis von Theater, für den Schauspieler beginnt eine erfolgreiche Zeit. Legendär wird die Aufführung des "Faust" 1958. Sie gilt als eine der Meilensteine in der deutschen Theatergeschichte und bringen dem Theater nationale wie internationale Beachtung - mit Gastspielen in New York und Moskau. Genauso erfolgreich ist 1960 Peter Gorskis Adaption des "Faust" fürs Kino mit Quadflieg in der Hauptrolle.
Berufliche und private Brüche in Quadfliegs Leben
Als Gründgens 1963 am Schauspielhaus aufhört, geht eine Ära zu Ende. Mit dem Siegeszug des Regietheaters beginnt damals die Neubefragung der Klassiker. Jüngere Intendanten setzen auf zeitgenössische Stücke. Quadflieg kann sich nicht damit identifizieren, er geht auf Theatertourneen und gibt Rezitationsabende. "Er gilt nun als Mann von gestern", wie der "Deutschlandfunk" 2014 feststellt. Aber er geht neue Wege, setzt auf seine markante Stimme. So nimmt er Hörbücher für die Deutsche Grammophon auf. Ein Einschnitt ist auch die Trennung von Quadflieg und Benita von Vegesack im Jahr 1963. Noch im selben Jahr heiratet der Schauspieler Margaret Jakobs. Seine Kinder sind deswegen zunächst unversöhnlich mit dem Vater.
"Meine Welt war das Theater, nicht die Familie." Will Quadflieg in seinen Erinnerungen "Wir spielen immer" (1976)
Die 1970er-Jahre sind eine Zeit des Haderns
Anfang der 70er-Jahre erlebt Quadflieg eine Renaissance, der konservative Regisseur Rudolf Noelte besetzt den Mimen immer wieder und lässt ihn überwiegend gebrochene Charaktere spielen. Es ist eine Zeit des Haderns: Denn Quadflieg ist keineswegs konservativ - er versteht sich als jemand der radikalen Mitte mit einem Ruck nach links. Er vermisst Theaterstücke mit politischem Diskurs, die die Lebenssituation der Menschen widerspiegeln, wie den Umgang mit der atomaren Bedrohung und Willy Brandts Ostpolitik. Als Ausnahme nennt er "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heinar Kipphardt. Die Menschheit sei kalt und lieblos geworden, vom Kommunismus und Christentum sei wenig übriggeblieben. Große Ideen und menschliche Möglichkeiten seien gescheitert - vom Kopf her und vom Herz her, sagt Quadflieg etwas desillusioniert im Alter von 70 Jahren im ZDF.
Jürgen Flimm holt Quadflieg ans Thalia Theater
In den 1980er-Jahren gerät Quadflieg schließlich ins Blickfeld jüngerer Regisseure: Jürgen Flimm holt den Charakterkopf im Alter von 67 ans Hamburger Thalia Theater. Flimm besetzt ihn in den 1990ern unter anderem in "König Lear" und die "Wildente". Quadflieg arbeitet unermüdlich, auch fürs Fernsehen: Mit fast 80 Jahren überzeugt er in Dieter Wedels erfolgreichem Mehrteiler "Der große Bellheim". In der Rolle des Hans Sachs gehört er zu einer Altherrenriege, die ein in Schieflage gekommenes Kaufhaus retten wollen. Erst 1999 nimmt Quadflieg im Alter von 85 Jahren Abschied von der Bühne. Seine letzten Lebensjahrzehnte verbringt der Schauspieler in seinem Haus in Heilshorn in Niedersachsen.
Quadflieg bleibt kritischer Geist bis ins hohe Alter
Quadflieg bleibt zeit seines Lebens ein wacher Geist, noch im fortgeschrittenen Alter engagiert er sich in der Friedensbewegung, bei den Grünen und in der Tierschutzpartei. Er setzt sich für die Wahl von Heide Simonis ein, der ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin. Und er bleibt einer der wenigen Künstler, die sich selbstkritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen und sich um Aufklärung und Versöhnung bemühen.
Am 27. November 2003 stirbt Quadflieg 89-jährig im Krankenhaus Osterholz-Scharmbeck an den Folgen einer Lungenembolie.