Bühne mit Tradition: Deutsches Schauspielhaus
"Nur nach den höchsten Zielen darf hier der Künstler seine Blicke heben." Mit dieser Qualitätsgarantie in seiner Rede eröffnet am 15. September 1900 der erste Intendant Alfred Freiherr von Berger das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg. Anschließend wird Beethovens "Die Weihe des Hauses" und Goethes "Iphigenie auf Tauris" gegeben. Der Stehplatz im 2. Rang kostet 75 Pfennig.
Hamburg hatte bis dahin keine künstlerisch anspruchsvolle Bühne. Und Hamburger Großbürger sind es, die die Gründung der größten Sprechbühne Deutschlands initiieren. So fordert der Verein Hamburger Bürger zu St. Georg ein "Ende des schlechten Geschmacks" und plant ein Theater nach dem Vorbild des Wiener Burgtheaters. Die 84 Teilhaber der "Aktiengesellschaft Deutsches Schauspielhaus" kaufen Aktien für eine Million Reichsmark und schaffen so das Grundkapital für den Bau.
Gebaut von Wiener Architekten Fellner und Helmer
Am 12. August 1899 findet die Grundsteinlegung statt. Für den Bau des Theaters musste eine Radfahrschule gegenüber dem geplanten "Centralbahnhof" Platz machen. Die erfahrenen Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer bauen für ein Honorar von 50.000 Reichsmark ein Theaterhaus mit einem Zuschauerraum im Neo-Barockstil. Ganz in Rot und Gold gehalten, bietet er sagenhafte 1.831 Plätze auf drei Ebenen.
Klassiker begeistern traditionsbewusste Hamburger
Unter Intendant Berger werden vorrangig die Klassiker wie Shakespeare, Goethe und Schiller, aber auch Schwänke aufgeführt. Es spielen Stella Hohenfels, Carl Wagner, Adele Doré oder Max Montor. Eine Vorstellung kann schon mal bis zu sechs Stunden dauern. Da die Bühnenbilder kompliziert und sehr aufwendig sind, kommt es zu langen Umbaupausen. Doch die traditionsbewussten Bürger sind begeistert, kaufen Abonnements. Auch der Besuch von Kaiser Wilhelm II. im Dezember 1900 sorgt dafür, dass das Renommee des Hauses bei den Hanseaten weiter steigt. Der neue Intendant Carl Hagemann spielt 1910 endlich zeitgenössische Stücke von Strindberg, Wedekind oder Schnitzler. Uraufführungen von Wilde oder Eulenberg mit stilisierten Bühnenbildern bringen ihm aber Publikumsproteste und sogar Gelächter ein. Auch wenn die Kritiker seine Inszenierungen loben, das Hamburger Publikum vermisst sein vertrautes Gesellschaftstheater.
Bankrott, Verstaatlichung in NS-Zeit und Wiederauferstehung
Mehrere Intendanten folgen in den nächsten Jahren. Doch 1928 steht das Privattheater auch wegen der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage vor dem Bankrott. Das Haus wird mit dem Thalia Theater unter der gemeinsamen Leitung von Hermann Röbbeling für vier Jahre zusammengelegt. 1934 erfolgt unter den Nationalsozialisten die Verstaatlichung und die Umbenennung in "Staatliches Schauspielhaus", jüdische Ensemblemitglieder werden entlassen. Ab September 1944 wird das Theater als Rüstungswerkstatt genutzt. Nach Kriegsende übernimmt die britische Besatzungsmacht das Haus. Albert Lippert wird 1948 Intendant, lässt Klassiker und moderne amerikanische und französische Stücke spielen, engagiert Werner Kraus und Will Quadflieg. Ab 1955 ist Gustaf Gründgens Intendant und bringt - vor allem mit seiner Faust-Inszenierung - das Schauspielhaus zu hohem internationalen Ansehen.
70er-Jahre: Zadek schockiert die Hanseaten mit seinem "Othello"
In den 70er-Jahren holt der neue Intendant Ivan Nagel Regisseure wie Claus Peymann und Peter Zadek in die Hansestadt. Shakespears "Othello" - 1976 von Zadek inszeniert mit Ulrich Wildgruber und Eva Mattes in den Hauptrollen - ist der Theaterskandal dieser Zeit, eine Absage an das Kultur-Theater alter Prägung. Wildgruber hechelt als Othello schwitzend und rasend vor Eifersucht über die Bühne, seine pechschwarze Bemalung färbt auf alles ab, was er berührt, die erwürgte Desdemona hängt er nackt über eine Wäscheleine. Nach der Premiere kommt es zu Tumulten im Zuschauerraum. Hamburg ist schockiert, Zadek findet es "sensationell". Die Kritik gibt ihm recht. "Othello" feiert später als Gastspiel europaweit Erfolge. 1985 wird Zadek Intendant am Deutschen Schauspielhaus.
Experimente bringen Ansehen in der Fachwelt
Ab Mitte der 90er-Jahre wird das Deutsche Schauspielhaus viermal (1996, 1997, 2000, 2005) von den Kritikern der Fachzeitschrift "Theater heute" zum Theater des Jahres gewählt. Denn in Hamburg wird experimentiert. 1993 kommt der Theaterwissenschaftler Frank Baumbauer als Intendant an die Kirchenallee. Er will ein Ensemble-Theater deutschsprachiger Gegenwartsautoren. Rainald Goetz' Stück "Kritik in Festung" wird im Zuschauerraum gespielt, die nur 369 Zuschauer sitzen auf der Bühne. Der Hamburger Senat muss sich anschließend mit einer kleinen Anfrage wegen der verlorenen Eintrittsgelder beschäftigen.
2000er-Jahre: Neue Spielstätten kommen hinzu
Im neuen Jahrtausend kommt Avantgardist Tom Stromberg. Er arbeitet zusammen mit Hamburger Museen, Performance- und Installations-Künstlern. 2005 übernimmt Friedrich Schirmer die Leitung des Schauspielhauses. Jetzt wird auch in der Kantine, den Deichtorhallen oder der "Hamburger Botschaft" im Schanzenviertel Theater gemacht. Doch der Hauptspielort ist und bleibt das Haus in St. Georg. Ende September 2010 endet die Ära Schirmer überraschend: Er reicht seinen Rücktritt ein. Begründung: "gravierende Unterfinanzierung" - die Mittel für das Theater waren während seiner Amtszeit immer weiter gekürzt worden.
Karin Beier übernimmt das frisch sanierte Haus
Nach Schirmers Rückzug befindet sich das Schauspielhaus in einer Übergangsphase, Jack F. Kurfess übernimmt die kommissarische Leitung. Mitte 2012 beginnt eine umfassende Sanierung des Theaters. Die Bühnentechnik wird erneuert, der Betrieb geht weiter - auf einer Ausweichbühne im Parkett. Ab Mai 2013 schließt das Haus vorübergehend - nun wird auch der Zuschauerraum saniert. Im Sommer wird die in Köln sehr erfolgreich arbeitende Karin Beier als neue Intendantin verpflichtet. Im Januar 2014 erfolgt die Wiedereröffnung des Schauspielhauses mit der ersten Inszenierung unter ihrer Leitung. Nach unruhigen Jahren lasten auf Beier hohe Erwartungen. Auch sie selbst hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt: Sie will das Deutsche Schauspielhaus wieder an die Spitze führen.