Vor 25 Jahren: Günter Grass bekommt den Literaturnobelpreis
Er war einer der bekanntesten Schriftsteller Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 10. Dezember 1999 erhielt er den Literaturnobelpreis. Günter Grass galt lange als moralische Instanz, später geriet er in die Kritik.
1959 wurde der bis dahin unbekannte Autor über Nacht mit seinem Roman "Die Blechtrommel" berühmt. Als ihn die Schwedische Akademie der Wissenschaften 40 Jahre später, am 10. Dezember 1999, mit dem Nobelpreis für Literatur für sein Lebenswerk auszeichnet, begründet das Komitee seine Entscheidung unter anderem mit dem Hinweis, Grass habe "in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet". Die Jury wagte die Vermutung, dass "Die Blechtrommel" zu den "bleibenden literarischen Werken des 20. Jahrhunderts gehören wird".
Günter Grass: Ein Kriegskind
Günter Grass erblickte am 16. Oktober 1927 in Danzig das Licht der Welt. Seine Eltern besaßen im Danziger Vorort Langfuhr ein Kolonialwarengeschäft. Grass besuchte die Volksschule und das Gymnasium Conradinum in Danzig. Als 15-Jähriger meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Er war zunächst Luftwaffenhelfer und wurde mit 17 Jahren zu einer Panzer-Division der Waffen-SS einberufen. Als Grass bei Kriegsende in Gefangenschaft geriet, gab er sich den Amerikanern auch als Angehöriger der Waffen-SS zu erkennen. Öffentlich gab er diese Mitgliedschaft allerdings erst im August 2006 zu. Zuvor hieß es in Biografien über Grass stets, er sei 1944 Flakhelfer geworden und danach als Soldat einberufen worden.
Studium der Bildhauerei
Nach Monaten der Kriegsgefangenschaft in Bayern verdiente sich der junge Grass seinen Lebensunterhalt zunächst als Landarbeiter und Arbeiter in einem Kalibergwerk bei Hildesheim. Ab 1947 arbeitete er bei einem Steinmetz in Düsseldorf. 1948 bis 1952 studierte er Grafik und Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, dann bis 1956 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Mit ersten Ausstellungen von Plastiken und Grafiken stellte sich Grass in dieser Zeit in Stuttgart und Berlin als Bildhauer vor.
"Die Blechtrommel" macht Günter Grass berühmt
Doch Grass war auch schon als Schriftsteller tätig: Erste öffentliche Anerkennung fand er 1955 bei einem Lyrikwettbewerb des Süddeutschen Rundfunks und bei der gesellschaftskritischen "Gruppe 47". Bis 1958 entstanden vor allem Kurzprosa, Gedichte und Theaterstücke, die Grass selbst dem "poetischen" oder "absurden" Theater zuordnete. An den Bühnen der Stadt Köln wurde 1958 sein Stück "Onkel, Onkel" uraufgeführt. Im selben Jahr erhielt er nach einer Lesung aus dem Manuskript "Die Blechtrommel" den Preis der Gruppe 47.
Wahlheimat von Günter Grass ist Lübeck
In erster Ehe war Günter Grass ab 1954 mit der Schweizer Tänzerin Anna Margareta Schwarz verheiratet. Mit ihr lebte er von 1956 bis 1959 in Paris, dann in Berlin. Aus dieser Ehe stammen seine Tochter Laura und seine drei Söhne: die Zwillinge Franz und Raoul und Bruno. Zudem bekam er mit zwei anderen Frauen die Töchter Helene und Nele. Seit 1979 war Grass in zweiter Ehe mit der Organistin Ute Grunert verheiratet, die zwei Söhne mit in die Ehe brachte. Ende 1995 zog Grass mit ihr nach Lübeck.
"Danziger Trilogie" begründet Ruf als leidenschaftlicher Moralist
Als einer der führenden Epiker seiner Generation etablierte sich Grass mit seiner "Danziger Trilogie". Der Entwicklungsroman "Blechtrommel", mit dem er 1959 den internationalen Durchbruch schaffte, die Novelle "Katz und Maus" (1961) und der Roman "Hundejahre" (1963) fanden mit ihrer exzessiven und provokativen Sprache eine ebenso breite wie kritische Resonanz. Sie belegten nicht nur Grass' meisterhafte Erzählkunst, sondern begründeten auch seinen Ruf als leidenschaftlicher, politischer Moralist.
Der politische Mensch
Mit seinem für einen deutschen Schriftsteller ungewohnten politischen Engagement vor allem in den 1960er-Jahren wurde Grass eine gewichtige Figur in der Bundesrepublik. Er ging 1965, 1969 und 1972 für die SPD auf Wahlkampftournee und repräsentierte den Typus des linksliberalen Intellektuellen, der sich antidemokratischen Praktiken mit großer Konsequenz verweigerte. Im Januar 1967 forderte Grass die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Er sympathisierte mit dem "Prager Frühling" und setzte seinen Dialog mit dem tschechischen Schriftsteller Pavel Kohout auch nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten nach Prag fort. Er beteiligte sich an Protestaktionen in Ost und West gegen die "Notstandsgesetze", gegen "autoritären Klerikalismus", "reaktionäre Bundespolitik" und die "Unterdrückung der Freiheit in der DDR".
Viele seiner Werke aus dieser Zeit befassen sich mit der Verantwortung der Intellektuellen und sind vom politischen Engagement des Autors geprägt - so das deutsche Trauerspiel "Die Plebejer proben den Aufstand" (1966), das Zeitstück "Davor" (1969), der Roman "örtlich betäubt" (1969) und die Erzählung "Aus dem Tagebuch einer Schnecke" (1972) .
Kämpfer für den Frieden
Nach 1972 zog sich Grass für einige Jahre aus der politischen Öffentlichkeit zurück, machte aber mit Zeichnungen, Gedichten, Grafiken und Kunstausstellungen weiterhin von sich reden. Seinen internationalen Ruhm als Epiker unterstrich er mit dem 1977 erschienenen Roman "Der Butt". 1980 folgte das umstrittene Buch "Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus". In den folgenden Jahren befasste sich Grass wieder verstärkt mit Lithografie und Bildhauerei. 1986 legte er das große, auch sein Engagement in der Umwelt- und Friedensbewegung widerspiegelndes Prosawerk "Die Rättin" vor.
Mal mit der SPD, mal weg von ihr
Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition in Bonn 1982 wurde Grass SPD-Mitglied und engagierte sich verstärkt in der Friedensbewegung. Er unterzeichnete das "Heilbronner Manifest", in dem Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler 1983 wegen der Stationierung der Pershing-2-Raketen in der Bundesrepublik zur Wehrdienstverweigerung aufriefen. Grass veröffentlichte die Textsammlung "Widerstand lernen - Politische Gegenreden 1980-1983". Bei der Landtagswahl 1987 in Schleswig-Holstein unterstützte Grass, der zu der Zeit in Wewelsfleth lebte, öffentlich den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm.
Die Rolle des politischen Mahners übernahm Grass wieder, als 1990 die Wiedervereinigung die Tagespolitik bestimmte. Er wandte sich gegen eine "Ruck-zuck-Einheit über den bloßen Anschlussartikel 23 des Grundgesetzes" und warb stattdessen für eine allmählich zusammenwachsende föderalistische deutsche Kulturnation. Mit seiner Erzählung "Unkenrufe" setzte Grass 1992 das Bemühen um die schwierige Versöhnung der Deutschen mit sich und den östlichen Nachbarn fort. Im Januar 1993 trat Grass aus Protest gegen die Asylpolitik der Sozialdemokraten wieder aus der SPD aus. Doch im Bundestagswahlkampf 1998 setzte er sich in den ostdeutschen Städten Schwerin, Weimar, Jena und Erfurt für den SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und eine rot-grüne Bundespolitik ein.
Grass' Bücher: Zwischen Fiktion und Autobiografie
Heftige Debatten löste Grass mit seinem 1995 erschienenen Roman "Ein weites Feld" aus, der in der DDR zwischen dem Mauerbau und der Wiedervereinigung spielt und aus den Erinnerungen der Hauptfiguren ein Panorama deutscher Geschichte zwischen der Märzrevolution von 1848 und der Gegenwart entwirft. Vier Jahre später stellte Grass in München sein im Voraus bereits hoch gelobtes Werk "Mein Jahrhundert" vor, in dem er ein teils autobiografisches, teils fiktives Bild von Höhe- und Tiefpunkten des 20. Jahrhunderts entwarf und einen "besonderen Scharfblick für den verdummenden Enthusiasmus" zeigte.
Für politischen und publizistischen Wirbel sorgte Grass im Oktober 1997 mit seiner Laudatio auf den türkischen Schriftsteller Yasar Kemal, der den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Unter anderem kritisierte Grass die deutsche Asyl- und Türkeipolitik sowie die Abschiebepraxis der Bundesregierung, die er als "abermalige, diesmal demokratisch abgesicherte Barbarei" bezeichnete.
"Im Krebsgang" über den Untergang der "Wilhelm Gustloff"
2002 nahm Grass sich mit der Novelle "Im Krebsgang" noch einmal eines Wendepunkts der deutschen Geschichte an. In dem Buch geht es um die schwerste Schiffskatastrophe aller Zeiten: den Untergang des "Kraft-durch-Freude"-Kreuzschiffs "Wilhelm Gustloff" am 30. Januar 1945 in der Ostsee mit 10.000 Flüchtlingen an Bord. Kritiker würdigten nicht nur die packende Schilderung, sondern auch die Tatsache, dass sich Grass eines von der deutschen Literatur lange gemiedenen Stoffes angenommen hatte: der deutschen Vertreibung aus dem Osten.
Das Waffen-SS-Geständnis
Am 12. August 2006 - kurz vor Erscheinen der Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" - räumte Grass in einem Zeitungsinterview erstmals ein, als 17-Jähriger zur Waffen-SS einberufen worden zu sein und 1944 seinen Dienst als Panzerschütze angetreten zu haben. An Kriegsverbrechen sei er aber nicht beteiligt gewesen. Das späte Eingeständnis führte zu einer heftigen Debatte in deutschen und internationalen Medien. Es wurden Stimmen laut, die forderten, Grass solle die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Danzig zurückgeben. "Es waren aufregende Tage. Seither ist es etwas ruhiger geworden", sagte Grass ein Jahr danach bei einer Lesung in Berlin.
"Dummer August" und "Grimms Wörter"
Grass wütete später gegen den "Vernichtungsversuch" von "Scharfrichtern" und "Schnellgerichten". Ekel ergreife ihn, sobald er die Zeitungen aufschlage, sagt er. Nach Meinung von Kritikern begab er sich beleidigt und beleidigend im Sprachgebrauch auf eine Ebene mit den Politikern, die in den 60er-Jahren über "Ratten und Schmeißfliegen" schimpften und damals Schriftsteller wie Grass meinten. Sein Buch "Dummer August", veröffentlicht im März 2007 mit Gedichten, Lithografien und Zeichnungen, bearbeitet die öffentliche Empörung über sein "zu langes Schweigen".
Sein folgendes Werk gab sich wieder versöhnlicher: "Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung" widmet sich der Lebensgeschichte der Brüder Grimm und erzählt von ihren Leistungen um die deutsche Sprache. Zugleich ist das Buch das, was der Untertitel bereits besagt: Eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache, die eigentliche Heimat des Autors Günther Grass.
Ein Gedicht sorgt für Aufregung
Im Frühjahr 2012 löste Grass mit einem Gedicht eine Welle der Empörung und des Unverständnisses aus. Unter dem Titel "Was gesagt werden muss" kritisierte er massiv die Politik Israels und deutsche Waffenlieferungen an das Land. Die Mehrzahl der Kommentatoren und viele Politiker sahen Grass mit seiner Position auf dem Irrweg. Wochenlang beherrschte die Diskussion die Schlagzeilen. Der Schriftsteller selbst fühlte sich missverstanden. Er sprach von einer Kampagne, die seinen Ruf schädigen solle.
Doch seine Meinung vertrat er auch weiterhin. Mit seinen Äußerungen im November 2014 auf einer Gala der Schriftstellervereinigung PEN zur Flüchtlingssituation sorgte er bundesweit für Aufregung. "Ich bin überzeugt, dass in der Breite der Bevölkerung die Bereitschaft für Flüchtlinge, die hier Zuflucht suchen, weit größer ist, als in den Medien dargestellt wird. Und wenn die Angst der Politiker, dieses Thema aufzugreifen, und das heißt auch, Forderungen zu stellen, Wohnraum zu besorgen, Asyl wirklich umzusetzen, nicht es beim Wort zu belassen, ist in der Bevölkerung viel breiter, nur wird diese Forderung nicht gestellt", so Grass damals.
Am 13. April 2015 starb Günter Grass im Alter von 87 Jahren in Lübeck. Posthum erschien kurz darauf sein Band "Vonne Endlichkait".