Sendedatum: 28.08.2008 07:53 Uhr

Die Box. Dunkelkammergeschichten

von Heide Soltau

"Die Box", heißt der Roman von Günter Grass - im Untertitel "Dunkelkammergeschichten". Grass hat das Buch mit zehn Zeichnungen illustriert. Es ist die Fortsetzung seiner Autobiografie, die 2006 unter dem Titel "Beim Häuten der Zwiebel" herauskam und für heftige Diskussionen sorgte. Nach 61 Jahren des Schweigens hatte sich Grass darin bekannt, als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Ob das neue Buch auch mit Enthüllungen aufwartet?

Es ist ein harmloses Buch, kein Stoff für Streit oder gar politische Debatten. Kontroversen auslösen wird es trotzdem, wie alles, was Günter Grass publiziert. Damit müssen Schriftsteller seines Formats leben. Ihre Werke werden kritischer begutachtet als die weniger bekannter Autoren. Die Box beginnt wie ein Märchen.

"Es war einmal ein Vater, der rief, weil alt geworden, seine Söhne und Töchter zusammen, vier, fünf, sechs, acht an der Zahl, bis sie sich nach längerem Zögern seinem Wunsch fügten. Um einen Tisch sitzen sie nun und beginnen sogleich zu plaudern."

Perspektive der Kinder

Onkelhaft ist der Ton. Für die Zeit vom Erscheinen der Blechtrommel 1959 bis zum Nobelpreis 1999 wählt Günter Grass die Perspektive seiner Kinder, vier aus erster Ehe, zwei, die zwischendurch entstanden, und zwei weitere, die Ehefrau Nummer zwei mit brachte. Sie lässt er erzählen, lebhaft und sich gegenseitig unterbrechend, "ohne ihn, bei aller Liebe, schonen zu wollen", wie er betont. So recht glauben mag man das nicht. Gewiss, da klingen Enttäuschungen an.

'Das Väterchen', wie sich Grass verniedlichend nennen lässt, oder 'Vatti', was glaubhafter klingt,  war viel unterwegs. Arbeit, Reisen, Wahlkampf für die SPD und ein Spielvater war er auch nicht, und phasenweise herrschte ein heilloses Beziehungs-"Kuddelmuddel" im Hause Grass. Wie das halt so ist in modernen Familien. Aber die erwachsenen Kinder geben sich allesamt sehr verständnisvoll - jedenfalls in der Box. Und Günter Grass zeigt sich so, wie man ihn längst kennt. Als selbstgefälligen, egozentrischen Patriarchen. Ruhender Pol in der Familie ist das Mariechen aus Masuren, die Familienfreundin und Fotografin, die eine wundersame Kamera, eine altmodische Agfa-Box, besitzt.

"Meine Box macht Bilder, die gibt's nicht. Und Sachen sieht die, die vorher nicht da waren. Oder zeigt Dinge, die möchten euch nicht im Traum einfallen. Ist allsichtig - meine Box. Muss ihr beim Brand passiert sein. Spielt verrückt seitdem... Nie wussten wir genau, wer nicht mehr richtig tickt. Sie oder die Box oder alle beide."

Wer sich erinnert, belässt vieles im Dunkeln

Mit diesem Wunderinstrument in der Hand der alten Marie fängt Günter Grass die Vergangenheit ein. So entstehen die sogenannten Dunkelkammergeschichten, wie das Buch auch im Untertitel heißt. Eine schöne Idee. Der vieldeutige Titel verweist auf seine Sicht autobiografischen Schreibens. Wer sich erinnert, belässt vieles im Dunkeln und dichtet manches hinzu. Günter Grass bewegt sich also mit seiner Box im Spannungsfeld zwischen Dichtung und Wahrheit, wie Goethe es nannte. In den Bildern, die Mariechen mit ihrer Box knipst, erkennen nur jene die tollsten Geschichten, für die sie die Fotos gemacht hat. Außerhalb des magischen Raums der Dunkelkammer haben sie keinen Bestand. Es sei denn, sie werden zu Literatur.

Ein harmloses Familien-Märchen

Die Box enthält durchaus hübsche Geschichten. So etwa schwatzt Tochter Lara ihrem Vater ein Dutzend Autogramme ab, um sie gegen eines von Heintje zu tauschen, den Mamatschi-Schnulzensänger. Aber das reicht nicht für ein ganzes Buch. Günter Grass erzählt darin allzu viele Belanglosigkeiten. So ist die Die Box nur ein harmloses Familien-Märchen.

Die Box. Dunkelkammergeschichten

von Grass, Günter
Seitenzahl:
216 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Steidl
Bestellnummer:
3.865.217.907
Preis:
32,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Buchtipp | 28.08.2008 | 07:53 Uhr

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