Peter Rühmkorf bei einer Lesung 1976. © picture-alliance / dpa | Keystone Press

Peter Rühmkorf: Lyriker und linker Essayist

Stand: 25.10.2024 00:00 Uhr

Der Büchner-Preisträger Peter Rühmkorf zählt zu den wichtigsten Autoren der Nachkriegszeit. Politisches Engagement und grotesker Humor zeichneten ihn aus. Der Schriftsteller wurde am 25. Oktober 1929 geboren.

Kritiker bezeichnen seine oft zynischen Gedichte als frech, aber virtuos. Er zitierte, persiflierte und variierte Bestehendes. Im Gedicht sah er eine "Interessenvertretung des Ich" und glaubte, dass die Poesie "zu unserem menschlichen Hausvorrat" gehört. Peter Rühmkorf gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren. Er schrieb Lyrik, Essays, Theaterstücke und Märchen. Bekannt wurde er unter anderem durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher ("Tabu I" und "Tabu II") und sein Bekenntnisbuch "Die Jahre, die Ihr kennt". Rühmkorf erhielt zahlreichen Auszeichnungen, darunter der "Georg-Büchner-Preis".

Rühmkorf: "Das Dichten bei meiner Mutter gelernt"

Der Schriftsteller Peter Rühmkorf steht am 15.04.2005 in der Glockengießerstraße in Lübeck. © picture-alliance / dpa
Literarisch vielseitig, politisch eindeutig: Peter Rühmkorf gehörte zum linken Spektrum.

Geboren wird Rühmkorf am 25. Oktober 1929 in Dortmund. Seine Mutter ist Lehrerin, sein Vater, den er nie kennenlernt, reisender Puppenspieler. Er wächst in Hemmoor-Warstade bei Stade in Niedersachsen auf. Schon als kleiner Junge ist er fasziniert davon, was man mit der Magie der Wörter alles erreichen kann. "Ich habe das Dichten eigentlich bei meiner Mutter gelernt", sagt er später. "Meine Mutter war Lehrerin auf dem Dorf und hat zu allen möglichen Anlässen Gedichte gemacht, gereimte Gedichte, und diese Gedichte fanden jedes Mal öffentlichen Anklang." Ab 1940 besucht Rühmkorf das Gymnasium in Stade, das er 1950 mit dem Abitur verlässt. Anschließend beginnt er in Hamburg ein Studium - zunächst Pädagogik und Kunstgeschichte, später Germanistik und Psychologie. Im Wintersemester 1956/57 bricht er ohne Abschluss ab.

Abneigung gegen falsche Autoritäten

Als Jahrgang 1929 wird Rühmkorf im Zweiten Weltkrieg nur noch zur "Wehrertüchtigung" und zum Ausheben von Schützengräben herangezogen. Es sei ein "ziemliches aasiges Herummalochen" gewesen, so Rühmkorf. Die Erfahrung prägt ihn fürs Leben - zeitlebens hegt er eine intensive Abneigung gegen falsche Autoritäten.

So steht Rühmkorf in den 50er-Jahren neben seinen Gedichten auch für politisches Engagement. Als Autor diverser gesellschaftskritischer und meist linker Zeitschriften greift er schon damals viele Themen der späteren Studentenbewegung auf.

Anfänge als Schriftsteller: Von der Schülerzeitung zu "konkret"

Bereits zu Schulzeiten gibt Rühmkorf die Schülerzeitung "Die Pestbeule" heraus, 1951 gemeinsam mit dem Lyriker Werner Riegel die Literaturzeitschrift "Zwischen den Kriegen", in der er unter mehreren Pseudonymen Beiträge veröffentlicht. Ab 1953 schreibt er, erneut unter anderem Namen, für den "Studentenkurier" (ab 1958 in "konkret" umbenannt) die Kolumne "Lyrikschlachthof", in der er moderne Dichtkunst scharfsinnig kritisiert. Während seiner Studienzeit ist Rühmkorf außerdem Mitbegründer der "Neuen Studentenbühne". Mit seinem Freund Klaus Rainer Röhl, dem späteren "konkret"-Herausgeber und Ehemann von Ulrike Meinhof, ruft er das Studentenkabarett "Die Pestbeule" ins Leben. Rühmkorf und Röhl betreiben auch den Jazz- und Lyrikkeller "Die Anarche".

Peter Rühmkorf: Atomkraft-Gegner, 68er, Literaturkritiker

Von 1958 bis 1964 arbeitet Rühmkorf als Lektor im Rowohlt-Verlag. Dort publiziert er auch seine ersten Gedichtbände "Irdisches Vergnügen in g" (1959) und "Kunststücke" (1962). Danach macht er sich als freier Schriftsteller selbstständig. Ende der 60er-Jahre engagiert sich Rühmkorf gegen Atomkraft und gehört zum Umfeld der 68er-Studentenbewegung. Für die Zeitschrift "konkret" schreibt er weiterhin literaturkritische Beiträge. Seine Tätigkeit als Poet und "nüchterner Prosaaufklärer" bezeichnet Rühmkorf einmal als "Schizographie". Als Gastdozent lehrt der "Berufshamburger", wie er sich damals selbst gern nennt, an zahlreichen deutschen, britischen und US-amerikanischen Universitäten.

Rühmkorfs Abrechnung mit Reich-Ranicki

Marcel Reich-Ranicki mit erhobenem Zeigefinger. © picture-alliance/ dpa Foto: Oliver Berg
Mit dem Literatur-Kritiker Marcel Reich-Ranicki lag Rühmkorf im Streit.

Große öffentliche Aufmerksamkeit erregt Rühmkorfs 1995 erschienener Band "Tabu I. Tagebücher 1989-1991". In dem Buch rechnet er mit dem Kritiker-Papst Marcel Reich-Ranicki ab und kündigt ihm die Freundschaft auf, weil dieser den Grass-Roman "Ein weites Feld" verrissen hat. Später parodiert er Reich-Ranickis Bereitschaft zur Versöhnung: "Ich habe noch nie eine Hand abgewiesen, der ich mal ein paar Finger abgeschlagen habe."

Der zweite Band seiner Tagebücher, "Tabu II. Tagebücher 1971-1972", erscheint 2004. Im Klappentext wird das Werk beschrieben als eine "private Lebensbilanz" und zugleich als "gesellschaftskritischer Exkurs, in dem sich die Stimmungen, Nervositäten und unheilige Heilsvorstellungen einer bewegten Revolutionsepoche wie in einem Narrenspiegel aufgefangen sehen".

Letzte Auszeichnung nach dem Tod

Peter Rühmkorf mit Ehefrau Eva © picture-alliance / dpa
Von 1964 bis 2008 ein Ehepaar: Eva und Peter Rühmkorf.

Etliche Jahre lebt Rühmkorf mit seiner Ehefrau Eva, einer Diplom-Psychologin, die von 1988 bis 1992 Ministerin in der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist, im Hamburger Stadtteil Övelgönne. Als er an Krebs erkrankt, verlässt das Paar sein Haus am Hamburger Elbufer und zieht in eine Bauernkate im Lauenburgischen in Schleswig-Holstein.

Rühmkorfs letztes Werk: "Paradiesvogelschiß"

Zuletzt veröffentlicht Rühmkorf im Frühjahr 2008, bereits sterbenskrank, den Gedichtband "Paradiesvogelschiß". Am 8. Juni stirbt er im Alter von 78 Jahren im schleswig-holsteinischen Roseburg an seiner Krankheit. Sein einstiger Antagonist Reich-Ranicki hat damals eher zwiespältige Lobesworte für den Lyriker: "Er war ein feinsinniger Ästhet, ein raffinierter Schöngeist, ein exquisiter Ironiker. Nur war er zugleich ein plebejischer Poet, ein handfester Spaßmacher, ein Verwalter des literarischen Untergrunds, ein Dichter der Gasse und der Masse, einer, der die Lyrik auf den Markt gebracht hat."

2009 erhält Rühmkorf für sein Werk posthum den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 21.08.2019 | 07:20 Uhr

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