Monica Bleibtreu: Früh berufen, spät gewürdigt
Monica Bleibtreu gehörte als eigenwillige Charakterdarstellerin zu den gefragtesten TV- und Kinoschauspielerinnen Deutschlands. Schon mit 19 Jahren stand sie erstmals auf einer großen Bühne. Am 13. Mai 2009 starb sie in Hamburg.
Bleibtreu hat an den wichtigsten deutschsprachigen Bühnen gearbeitet: beim Wiener Burgtheater, bei den Münchner Kammerspielen, der Berliner Schaubühne und vor allem am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. In der Hansestadt lebte sie auch mit ihrem - in München geborenen - Sohn Moritz, den sie nach der Trennung von Hans Brenner alleine im Stadtteil St. Georg aufzog und der als erfolgreicher Film- und Fernsehdarsteller die große Schauspiel-Tradition der Familie Bleibtreu fortsetzt.
Schon als Kind hat die am 4. Mai 1944 geborene Monica Bleibtreu genug Gelegenheit, Theaterluft zu schnuppern: Ihr Vater ist Theaterdirektor in Mödling bei Wien, ihre Mutter arbeitet tagsüber im Büro des Theaters und verkauft abends die Eintrittskarten. Großtante Hedwig Bleibtreu ist eine der großen Tragödinnen am Burgtheater, ihre Großmutter Maximiliane feiert Theatererfolge in Dresden.
Das väterliche Theater geht 1958 bankrott, Monica Bleibtreu verlässt die Schule mit 16 Jahren ohne Abschluss und geht nach Hamburg, wo sie bei Verwandten wohnen kann. Dort nimmt sie erstmals Schauspielunterricht ("Mein Vater wollte das sehr."), später studiert sie am Max Reinhardt Seminar in Wien. Mit 19 steht sie erstmals in Bonn auf einer großen Bühne. Für die Schauspielerei als Beruf entscheidet sie sich nach eigener Erzählung allerdings erst mit Mitte 30, als sie einen neuen Reisepass beantragen muss und dort unter Beruf "Hilfsarbeiterin" steht: "Das sah so scheiße aus", erklärt sie ihr endgültige Jobwahl.
Erste TV-Rollen in den Siebzigern
In der Schauspielerei geht Monica Bleibtreu auf: Schon für ihre erste Fernsehrolle 1972 in der TV-Krimiserie "Der Kommissar" erhält sie eine Goldene Kamera. Es folgen zahlreiche Auftritte in Kriminalfilmen oder -serien wie "Tatort", "Der Fahnder" oder "Der Alte". Aber sie bleibt dabei dennoch eine Unauffällige.
Daran ist sie nicht unschuldig. Mitte der Achtzigerjahre, in denen sie auch einige Jahre mit dem Hamburger Schauspieler Hans Peter Korff verheiratet war, nimmt sie bewusst eine Auszeit von Film und Fernsehen und widmet sich wieder mehr der Bühne: Von 1993 bis 1998 arbeitet sie als Professorin für Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Monica Bleibtreu besitzt eine große Selbstdistanz und kann sich gut einschätzen. Zudem strebt sie Ruhm überhaupt nicht an: "Erfolg muss man wollen", sagt sie einmal in einem ihrer raren Interviews. "Ich habe lange Zeit keinen gewollt. Erst als mein Sohn mit 'Knockin' on Heaven's Door' den Senkrechtstart hatte und ich so richtig stolz auf ihn war, dachte ich mir, so schlimm ist das eigentlich gar nicht, wenn man Erfolg hat."
"Optisch zieh' ich nicht die Wurscht vom Teller." Monica Bleibtreu über ihr Aussehen
Von der "Mutter von Moritz" zum späten Ruhm
Und obwohl sie zu jener Zeit schon auf eine über 30-jährige Bühnenpräsenz zurückblicken kann, ist sie für die meisten erst mal nur "die Mutter von Moritz". Erst als dieser 1998 mit "Lola rennt" seinen zweiten großen Film drehte, erinnert sich man ihrer: Mit dem Kurzauftritt als blinde Frau beginnt ihr später Film- und Fernsehruhm.
Mit Mitte 50 ist sie zurück im Rampenlicht, und das nachdrücklicher als je zuvor: Nach "Lola rennt" häufen sich die attraktiven Angebote, die es ihr ermöglichen, sich als eigenwillige Charakterdarstellerin zu zeigen.
So spielt sie die Katia Mann im Fernsehmehrteiler "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" (2002) und krebskranke Bäuerin Maria in "Marias letzte Reise" (2005). Für beide Rollen erhält sie jeweils den Grimme-Preis in Gold.
Und für das Gefängnisdrama "Vier Minuten", in dem sie eine verhärmte, uralte Klavierlehrerin spielt, bekommt sie sogar den Deutschen Filmpreis "Lola".
Wandlungsfähig, echt und überzeugend
Ferner wirkt sie in so unterschiedlichen Produktionen mit wie der Filmbiografie "Marlene" (2000), dem Kinderfilm "Bibi Blocksberg" (2002), im Dreiteiler "Jokehnen" nach dem Roman von Arno Surminski oder in der Fernsehkomödie "Muttis Liebling" (2007). Auch als Sprecherin von Hörbüchern ist Bleibtreu überaus gefragt.
Die Schauspielerin beeindruckt in ihren Rollen: Ob warm, humorvoll oder lebensklug, ob energisch oder bärbeißig, ob streng, eiskalt oder verbittert - immer wirkt sie echt und überzeugend. Sie sei "eine Art introvertierte Rampensau", die "keinerlei Mühe habe", das Stück zu tragen, die Bühne zu füllen", heißt es in einer Kritik der "Süddeutschen Zeitung" zum Stück "Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank" am Hamburger St. Pauli Theater.
"Pflegeleichte Schauspieler bringen oft nur pflegeleichte Resultate." Monica Bleibtreu
Als Künstlerin gilt sie als kollegial, professionell, uneitel und couragiert. "Klar, bescheiden, präzise, meinungsfreudig und sehr tolerant" nennt sie Regisseur Horst Königstein ("Die Manns"). Für Axel Schneider, Intendant der Hamburger Kammerspiele, ist sie ein "verlässlicher Schauspielertyp der alten Schule".
Dabei ist die Arbeit mit den Regisseuren wohl nicht immer einfach, wie Sohn Moritz es formuliert: "Meine Mutter war ein Mensch, der Herausforderungen liebte, kein Problem damit hatte anzuecken und Mut zur Konfrontation besaß. In ihrem Leben und in ihren Rollen."
Alter und Erfolg schließen sich nicht aus
Dass sie für diese Wandlungsfähigkeit plötzlich so gelobt wird, und endlich auch Hauptrollen bekommt, sieht sie ein wenig mit Erstaunen: "Ich mache den Beruf jetzt seit über 40 Jahren, und plötzlich tun alle so, als wäre ich vom Himmel gefallen", sagt Bleibtreu einmal in einem Interview.
Nebenbei widerlegt sie mit ihren späten Erfolgen auch das gängige Klischee, dass es Schauspielerinnen bis spätestens Mitte 30 geschafft haben müssten - sonst würde es nichts mehr mit der Karriere werden, weil ab 40 die Rollen rar würden.
Theaterpreis nach Bleibtreu benannt
Selbst kurz vor ihrem Tod dreht Monica Bleibtreu noch mehrere Filme ab, die dann postum in die Kinos beziehungsweise ins Fernsehen kommen, und abermals ihr großes Spektrum zeigen: In "Hilde", der Filmbiografie über Hildegard Knef, spielt sie Knefs Schauspiellehrerin Else Bongers, in der düsteren Krimi-Verfilmung "Tannöd" die Dorfbewohnerin Traudl Krieger und in "Soul Kitchen" von Fatih Akın in einem Kurzauftritt noch einmal an der Seite ihres Sohnes Moritz.
Monica Bleibtreu stirbt kurz nach ihrem 65. Geburtstag in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2009 nach zweieinhalbjähriger Lungenkrebserkrankung in Hamburg. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf. Seit 2012 wird ihr zu Ehren im Rahmen der Privattheatertage der Monica-Bleibtreu-Preis für Privattheater vergeben.