Arno Surminski: Für Versöhnung, gegen das Vergessen
Arno Surminski feierte am 20. August 90. Geburtstag. Er gilt als "Ostpreußen-Chronist", hat aber mehr zu bieten als Vertriebenen-Thematik. Es geht ihm vor allem um Versöhnung und Völkerverständigung. Kurz vor seinem 90. Geburtstag hat er noch einmal einen neuen Roman rausgebracht.
"Von den Wäldern. Roman einer Heimkehr" heißt Arno Surminskis neuestes Buch, das pünktlich zu seinem Geburtstag erschienen ist. Darin imaginiert der Autor die Rückkehr des Kriegsgefangenen Gerd Wolters. Gerd erfährt, dass seine Frau bei einem Bombenangriff gestorben ist, sein Sohn Siegfried ist verschollen. Er macht sich auf die Suche. An seiner Seite ist Linda, die von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt wurde. Beide fahren zusammen nach Kanada, wo sich die Spuren des Sohnes verlieren. Im Wald kommen sie zu sich.
"Als die Musik verstummt war, sprach Linda über Bäume: Sie sind die friedlichsten aller Lebewesen, sie schießen nicht, sie schlagen nicht, sie schlagen nicht, sie vergewaltigen nicht, sie stehen schweigend im Wald." Leseprobe
Der Wald als Schutzort für den Entwurzelten. In Kanada hat Arno Surminski einige Jahre als Holzfäller gearbeitet, bevor er 1960 nach Deutschland zurückkehrte und seine Frau kennenlernte.
Mit seiner Frau Traut hat Surminski ein Sommerhäuschen in Wacken. Dort, wo Jahr für Jahr im August Zehntausende Fans das größte Heavy-Metal-Fest der Welt feiern. Viel länger schon, als es das "Wacken Open Air" gibt. Erworben hat er es 1975, ein knappes Jahr nach seinem literarischen Durchbruch mit "Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland". Sein zweites großes Buch, "Kudenow oder An fremden Wassern weinen", ist fast ausschließlich in Wacken entstanden.
Jugend in Trittau, Holzfäller in Kanada
Die beiden Werke sind mittlerweile zwei literarische Denkmale, die bis heute für das Schicksal vieler Millionen Flüchtlinge stehen, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur aus Ostpreußen kamen, um in Westdeutschland wieder Fuß zu fassen. Sie sind auch stark autobiografisch gefärbt, denn Surminski hat genau das erlebt: Als Elfjähriger flüchtete er 1945 ohne seine Eltern, die in die Sowjetunion deportiert wurden, aus dem ostpreußischen Jäglack (heute Jeglawki) und landete in Trittau bei Hamburg. Nach einer Lehre in einem Anwaltsbüro wanderte er aus, lebte drei Jahre in Kanada.
Schreiben über Flucht und Vertreibung
Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitete er in der Rechtsabteilung einer Hamburger Versicherungsgesellschaft, ehe er sich der Schriftstellerei widmete. Er bewarb sich 1974 mit seinem "Jokehnen"-Manuskript unter anderem beim renommierten Hamburger Verlag Hoffmann & Campe, doch der wollte seinem Autor Siegfried Lenz, ebenfalls gebürtiger Ostpreuße, keine Konkurrenz ins Haus holen. So griff ein Stuttgarter Verlag zu.
Mit dem großen Erfolg von "Jokehnen" habe er nicht gerechnet, sagte Surminski in einem dpa-Interview vor zehn Jahren zu seinem 80. Geburtstag. Der Roman wurde 1987 mit Armin Müller-Stahl verfilmt. "Ich führe es darauf zurück, dass es eine neue Form des Schreibens über Krieg und Nachkriegszeit war - eben aus der Sicht der Kinder." Das Thema Ostpreußen sei damals von Vertriebenenverbänden besetzt worden - samt Vorwürfen und Forderungen.
Bundesverdienstkreuz 2016
Es ging Surminski in seinen Werken eben nicht um Revanchismus, sondern neben der Wiederbelebung der verlorenen Welt Ostpreußens auch immer wieder um Völkerverständigung und Versöhnung. Dafür gab es 2016 in Hamburg das Bundesverdienstkreuz.
Die damalige Sozialsenatorin der Hansestadt, Melanie Leonhard (SPD), würdigte in ihrer Laudatio, dass Surminski von Flucht und Elend ohne Schuldzuweisungen schreibe. Der Autor sei zu einem Sprachrohr für die Kriegsopfer geworden - in Surminskis Büchern gehe es darum, "eine neue Identität zu finden, ohne die eigenen Wurzeln zu vergessen".
Arno Surminski: "Ich habe mehrere Heimaten"
Seine Wurzeln hat Surminski - inzwischen achtfacher Großvater - nicht vergessen. Auch wenn er mehrere Orte als seine Heimaten bezeichnet. "Meine Kindheit ist natürlich Ostpreußen, an Hamburg hänge ich auch sehr, ebenso an Trittau", sagte er mal in einem NDR Interview.
"Aber da bei mir das Heimatgefühl mehr vom Menschen kommt und nicht vom Boden, kann ich Heimat überall haben, wo man mit der Familie und mit Freunden und Bekannten lebt." Arno Surminski
Jäglack, der Ort seiner Kindheit, sei nicht mehr so sehr Heimat. Am Ende sei dort alles zerstört oder abgebrannt, die Menschen geflohen, die Eltern verschleppt: "Damit erlosch das heimatliche Gefühl", erzählte er im "Hamburger Abendblatt". Ein neues habe sich dann für Trittau entwickelt: "Als ich nach Kanada ging und dort als Holzfäller arbeitete, hatte ich manchmal Heimweh - und zwar nach Trittau, nach den Menschen dort."
Nicht nur Ostpreußen als Thema
Dass er oft als Ostpreußen-Schriftsteller bezeichnet wird, ärgert ihn nicht, auch wenn es ihn nach eigenen Worten "etwas einschränkt". Schließlich hat Arno Surminski zahlreiche Bücher über andere Themen geschrieben.
So verarbeitete er in "Fremdes Land oder Als die Freiheit noch zu haben war" (1980) sein "Aussteiger"-Leben in Kanada. "Kein schöner Land" (1993) handelt von der deutschen Wiedervereinigung. In "Amanda oder Ein amerikanischer Frühling" (2009) reisen ein Student und eine extravagante ältere Dame gemeinsam durch die USA. Der Erzählband "Im Garten des Schönen" (2013) vereint heitere und besinnliche Geschichten aus dem Norden, zum Beispiel über die Dorfbewohner in Wacken. Eine Autobiografie werde er aber nie verfassen, "weil", wie er mal gesagt hat, "meine Bücher schon ein Stück autobiografisch sind". Da sei das Wichtigste gesagt worden, was man über sein Leben wissen möchte.
Große Sorge vor den Kriegen unserer Zeit
Der Schriftsteller und Journalist hat in seinem neuen Roman auch über Russen und Ukrainer geschrieben - zu Russen hatte er bis zu Putins Angriffskrieg immer engen Kontakt, das ist gerade vorbei: "Sie schreiben nicht, denn es ist anscheinend verboten worden, oder sie haben Angst". Die Kriege unserer Zeit sieht er mit großer Sorge. Er, der fast ein Jahrhundert überblicken kann. Sein Rat? "Das beste Mittel ist Singen. Im Chor singen, russische Lieder, ukrainische Lieder, Volksfeste."
Mit einer Beinahe-Umarmung seiner beiden Romanfiguren Linda und Gerd zur Jahrtausendwende endet sein neues Buch:
"Es wird Frost geben, sagte der Wirt, als er hinter ihnen die Tür schloss. Also ein frostiges Jahrhundert, bemerkte Linda. Gehen wir zu dir oder zu mir, fragte Gerd, als sie allein auf der Straße standen. Sie wussten es nicht." Leseprobe