Mendelssohn Bartholdy: Der "Mozart" aus Hamburg
Wohl jeder kennt Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy - vielleicht ohne es zu wissen: Der "Hochzeitsmarsch" aus seiner Schauspielmusik zur Shakespeare-Komödie "Ein Sommernachtstraum" untermalt allein in mehr als 100 Filmen den Weg des Brautpaars zum Altar. Die Wiege dieses Komponisten stand in Hamburg. Mendelssohn kam am 3. Februar 1809 in unmittelbarer Nachbarschaft von Elbe und Michel auf die Welt, in der Großen Michaelisstraße Nr. 14 (heute Michaelisstraße/Ecke Erste Brunnenstraße). Schon zwei Jahre später verließen seine Eltern aber wegen der napoleonischen Besatzung die Stadt und zogen mit den Kindern Fanny, Felix und Rebecca nach Berlin.
Verwischte Spuren in der Geburtsstadt
Im Vergleich zum Musikerkollegen Johannes Brahms, der rund ein Vierteljahrhundert später geboren wurde, sind Mendelssohns Spuren in Hamburg rar. Sein Geburtshaus fiel Weltkriegsbomben zum Opfer, heute wälzt sich hier auf sechs Spuren der Verkehr. Immerhin weist eine schlichte Gedenktafel der Patriotischen Gesellschaft auf den großen Komponisten hin. Ein Stückchen weiter stehen seit 1997 zwei mannshohe schwarze Steinblöcke als Denkmal für Felix und seine ebenso musikalisch tätige Schwester Fanny.
Mendelssohn Bartholdy war ein Enkel des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, wurde aber christlich erzogen und galt als Mittler zwischen den Religionen. Seit 2002 hängt eine Tafel im Hamburger Michel: "Seine Psalmkompositionen für den evangelischen Gottesdienst verbinden jüdische Tradition mit christlichem Bekenntnis", heißt es da. "Wir gedenken seiner an dieser Stelle als des Wiederentdeckers von Johann Sebastian Bachs 'Matthäuspassion' und Georg Friedrich Händels Oratorien."
Doch er was weitaus mehr als Wegbereiter der Bach-Renaissance: Das Musikleben hierzulande bereicherte Felix Mendelssohn maßgeblich als Begründer der ersten deutschen Musikhochschule (des Leipziger Conservatoriums) und vor allem als begnadeter Komponist, Dirigent, Pianist und Musikorganisator.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Weit gereistes Wunderkind
Bis zu seinem frühen Tod mit nur 38 Jahren infolge eines Schlaganfalls schuf Mendelssohn ein Œuvre von mehr als 400 Werken. Mit neun Jahren begann er zu komponieren, seine erste Sinfonie für Streicher schrieb er mit zwölf. Der greise Goethe, dem der Knabe 1821 vorspielte, war vom Talent Mendelssohns hingerissen und sah in ihm ein Wunderkind.
Fünf Jahre später schuf Mendelssohn mit der "Sommernachtstraum-Ouvertüre" eines seiner bekanntesten Stücke. Mit 20 organisierte er die denkwürdige erste Wiederaufführung der "Matthäuspassion" seit dem Tod Johann Sebastian Bachs. Anschließend trat er seine Wanderjahre an: Er gab zahlreiche Konzerte in England, bereiste Schottland, Italien und die Schweiz. Viele seiner Werke sind auf Reisen durch die deutschen und europäischen Länder entstanden und von den Eindrücken aus der Fremde inspiriert.
Mendelssohn führt Gewandhausorchester Leipzigs zu Ruhm
Seine erste feste Anstellung nahm Mendelssohn 1833 auf, und zwar als Generalmusikdirektor in Düsseldorf - bevor er mit 26 Jahren nach Leipzig berufen wurde. Hier feierte Mendelssohn ab 1835 als Kapellmeister seine größten Triumphe, das Gewandhausorchester führte er zu Weltruhm. Bis zu seinem frühen Tod am 4. November 1847 war er Leipzig verbunden, obgleich er weiterhin oft über den Ärmelkanal reiste. Königin Victoria zählte zu seinen größten Fans, lud ihn zu Privatkonzerten und sang seine Lieder selbst auf Deutsch.
Maler, Humorist und Familienvater
Fast nimmt es wunder, dass der Komponist neben seinen vielen Engagements und dem überbordenden Schaffensdrang überhaupt Zeit für ein Privatleben fand - doch das verlief bei Mendelssohn überaus glücklich. Mit 28 Jahren heiratete er Cécile Jeanrenaud, "eine jener süßen weiblichen Erscheinungen, deren stiller und kindlicher Sinn, deren bloße Nähe auf jeden Mann wohltuend und beruhigend wirken musste", wie ein Freund von der Sing-Akademie die Braut beschrieb. Das Paar hatte fünf Kinder. Mendelssohn erstaunte neben seinem musikalischen Genie auch durch beachtliches Mal-Talent, seine reiche Korrespondenz illustrierte er gelegentlich mit einigen Skizzen. Er verfasste sage und schreibe 7.000 Briefe und wusste sich dabei auf Deutsch wie auf Englisch mit Witz auszudrücken.
Lob und antisemitische Anfeindungen
Zu Lebzeiten war Felix Mendelssohn Bartholdy nach heutigen Begriffen ein internationaler Star. Robert Schumann hielt seinen gleichaltrigen Zeitgenossen für den "Mozart des 19. Jahrhunderts" und fand, er sei "der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut". Auch Wagner schätzte seine Musik - und doch schmähte er seinen Kollegen aufs Übelste. In seinem unter Pseudonym veröffentlichten Pamphlet "Das Judenthum in der Musik" erklärte er, die Musik Mendelssohns sei von perfektionistischer Kälte und leerer Formenhaftigkeit erfüllt.
Antisemitischen Vorbehalten begegnete Felix Mendelssohn Bartholdy immer wieder: Sie sollen im Spiel gewesen sein, als er mit 23 Jahren in Berlin bei der Wahl zum neuen Direktor der Sing-Akademie unterlag, und sie wurden von einer Leipziger Zeitung gegen ihn als Kapellmeister geschürt. Die antisemitische Ächtung gipfelte im Nationalsozialismus, als Mendelssohns Denkmal vor dem Leipziger Gewandhaus bei Nacht und Nebel verschwand und seine Musik verboten war.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Salonmusiker der leichten Muse?
Auch abseits antisemitischer Motive bezeichneten manche Kritiker Mendelssohns Werke als "zu glatt", als "elegante Salonmusik". Zweifellos war der Künstler ein Perfektionist: Zahlreiche seiner Werke überarbeitete er mehrfach.
Seine lyrische und melodienfreudige Musik entsprach nach seinem Tod, im Deutschland der Sturm-und-Drang-Phase, nicht dem Zeitgeist. Anders als in Großbritannien war Mendelssohn hier rund 100 Jahre lang weithin vergessen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erwuchs langsam wieder das Bewusstsein für die Bedeutung des Komponisten. Von Leipzig aus betrieb Kurt Masur seine Wiederentdeckung, und in den verschiedenen Städten seines Wirkens bildeten sich Mendelssohn-Gesellschaften.