9. November 1989: Der Tag, an dem die Mauer fällt
Mit Montagsdemos und Massenfluchten zwingen die DDR-Bürger Ende der 1980er-Jahre ein Regime in die Knie. Am 9. November 1989 öffnen sich mit dem Fall der Berliner Mauer die Grenzen, 327 Tage später ist Deutschland wiedervereinigt.
"Nach meiner Kenntnis ist das ... sofort, unverzüglich" - mit diesen Worten zur neuen DDR-Reiseregelung läutet Politbüro-Sprecher Günter Schabowski am 9. November 1989 um 18.53 Uhr unfreiwillig das Ende der deutschen Teilung ein.
Schabowskis Versprecher schreibt Geschichte
Die Reiseregelung soll sowohl ständige Ausreisen als auch private Urlaubsreisen von DDR-Bürgern in den Westen ermöglichen - nach Antrag bei der Behörde und erst ab dem 10. November. Doch Schabowski ist unvorbereitet, verhaspelt sich, erklärt die Grenze für geöffnet, "ab sofort". Eine Nachricht, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Kurz darauf versammeln sich bereits Tausende DDR-Bürger an den Berliner Grenzübergängen. Die überraschten Grenzer, die keine klaren Anweisungen haben, wie sie sich verhalten sollen, geben dem Druck der Massen schließlich nach und öffnen die Tore. Die Menschen stürmen in den Westen, Ost- und Westdeutsche liegen sich in den Armen, singen und feiern gemeinsam. Mauer und innerdeutsche Grenze sind gefallen.
Massenexodus: Ein Volk verlässt sein Land
Auch wenn die Grenzöffnung die Menschen in Ost und West an diesem historischen Abend gleichermaßen überrascht, ist sie eine logische Konsequenz der Ereignisse in den Wochen zuvor. Sie haben deutlich gemacht, dass das DDR-Regime politisch am Boden liegt. Ab August flüchten Tausende DDR-Bürger über die ungarische Grenze in den Westen, andere versammeln sich in den bundesdeutschen Botschaften von Prag und Warschau. Die DDR-Führung sieht sich schließlich gezwungen, die Botschaftsflüchtlinge in den Westen ausreisen zu lassen. Rund 4.000 Menschen sind es allein am 1. Oktober, doch schon wenige Tage später befinden sich in der Prager Botschaft erneut rund 7.000 Menschen.
"Wir sind das Volk!" - Hunderttausende gehen auf die Straße
Andere entscheiden sich bewusst dafür, in der DDR zu bleiben. Sie wollen das Land verändern. Sie schließen sich in Bürgerrechtsbewegungen wie dem Neuen Forum zusammen, fordern demokratische Reformen und Reisefreiheit. Jeden Montag versammeln sich die Menschen, um gemeinsam zu demonstrieren, zuerst in Leipzig, dann im ganzen Land. Schon bald sind es Tausende, dann Hunderttausende, die bei den sogenannten Montagsdemonstrationen auf die Straße gehen, sie rufen "Keine Gewalt!" und "Wir sind das Volk!"
7. Oktober: Ein maroder Staat feiert sich selbst
Am 7. Oktober 1989 feiert die DDR ihren 40. Jahrestag. Während die SED im Palast der Republik mit der versammelten Politprominenz des Ostblocks, darunter auch Michail Gorbatschow, auf die Errungenschaften des Arbeiter- und Bauernstaates anstößt, versammeln sich draußen auf der Straße die Menschen. In Berlin rufen sie "Gorbi, hilf uns!" und "Freiheit!", in Rostock veranstalten sie einen Schweigemarsch - und bleiben der verordneten Jubelfeier mit Flottenparade fern.
Politische Wende? Krenz-Versprechen greift nicht mehr
Die SED versucht, die Reißleine zu ziehen, drängt den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker aus dem Amt. Nach Honeckers Rücktritt am 18. Oktober kündigt sein Nachfolger, Egon Krenz, eine "politische Wende" an. Doch die Menschen in der DDR lassen sich nicht mehr mit Versprechungen abspeisen. Zehntausende reisen ab dem 1. November über die wieder geöffnete Grenze zur Tschechoslowakei in den Westen aus. In der DDR selbst trauen sich immer mehr unzufriedene Menschen auf die Straße. Allein am 4. November versammeln sich eine halbe Million Demonstranten am Berliner Alexanderplatz - die größte Demonstration in der Geschichte der DDR. Vier Tage später tritt das SED-Politbüro geschlossen zurück.
Die Nacht des Mauerfalls: "Es war Glück pur"
Als Schabowski am Abend des 9. November die neue Reiseregelung ankündigt, ist die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten. Nach den Übergängen in Berlin werden um kurz nach Mitternacht auch die anderen Grenzübergänge zwischen DDR und Bundesrepublik geöffnet. NDR 2 Reporter Andreas Hilmer, der die Grenzöffnung am Übergang Marienborn bei Helmstedt verfolgt, erinnert sich: "Es war Glück pur. Die Leute haben geweint. Man merkte, hier passiert etwas Historisches. Wir haben nicht dran gedacht zu schlafen, wir wollten nicht schlafen, wir konnten nicht schlafen, die DDR-Bürger konnten es ja auch nicht."
Begrüßungsgeld schnell weg
Ähnliche Bilder bieten sich an den anderen Grenzübergängen im Norden: In Lübeck-Schlutup, Salzwedel und Lauenburg bilden sich kilometerlange Schlangen von Trabis, Ladas und Wartburgs. Überall liegen sich die Menschen in den Armen und feiern gemeinsam. Die nächsten Tage reißt der Besucherstrom nicht ab. Die Reichsbahn setzt spontan Sonderzüge ein, viele Geschäfte in Helmstedt und anderswo öffnen rund um die Uhr. Jeder Besucher aus der DDR erhält 100 Mark Begrüßungsgeld. Doch bald ist kein Geld mehr vorrätig, die Norddeutsche Landesbank muss neues heranschaffen.
Aus dem Ruf nach Freiheit wird der Ruf nach Einheit
Auch politisch überschlagen sich nach der Grenzöffnung die Ereignisse. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Hans Modrow wird eine neue Regierung gebildet, die umfassende Reformen ankündigt. Ein Runder Tisch, der die Regierung mit der Opposition zusammenbringt, wird eingerichtet. Zugleich wird bei den Menschen die Forderung nach der Wiedervereinigung immer lauter. Auf den Montagsdemonstrationen heißt es jetzt "Wir sind ein Volk!" und "Deutschland einig Vaterland". Bundeskanzler Helmut Kohl ergreift die historische Chance und legt ein Zehn-Punkte-Programm zur deutschen Wiedervereinigung vor.
3. Oktober 1990: Deutschland ist wiedervereinigt
Wie schnell es dann gehen würde, ahnt zu dieser Zeit wohl niemand. Kohl erreicht die Zustimmung der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zur Wiedervereinigung. Die erste und letzte freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 ist bestimmt vom Wunsch der Mehrheit der Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung. Am 1. Juli tritt der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion beider deutscher Staaten in Kraft. Damit wird die D-Mark alleiniges Zahlungsmittel in der DDR. Am 3. Oktober tritt die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. 327 Tage nach dem Mauerfall ist Deutschland wiedervereinigt.