Cover des Kriminalhörspiels "Rabenkinder". © NDR/Andreas Rehmann/Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau Foto: Andreas Rehmann

"Rabenkinder" – Krimi-Hörspiel mit Runa Greiner und Ingraban von Stolzmann

Sendedatum: 27.10.2024 19:00 Uhr

Wendekrimi aus dem einzigen "geschlossenen" DDR-Jugendwerkhof in Torgau. Zum 35. Jahrestag des Mauerfalls hat der NDR Grit Poppes Roman "Rabenkinder" als Hörspiel umgesetzt.

Cover des Kriminalhörspiels "Rabenkinder". © NDR/Andreas Rehmann/Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau Foto: Andreas Rehmann
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von Susanne Birkner

Eine halbe Million Kinder und Jugendliche waren in der DDR in Heimen untergebracht. Laut einer Studie unter Federführung der Universität Leipzig, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, hat fast die Hälfte von ihnen im Heim physische Gewalt erfahren, 41 Prozent der Befragten sprechen von sexualisierter Gewalt. Darum geht es auch in Grit Poppes erstem Krimi "Rabenkinder". Er spielt im einzigen "geschlossenen" Jugendwerkhof im sächsischen Torgau, der mit seinen hohen Mauern, den Wachtürmen, den Diensthunden und den vergitterten Fenstern schon äußerlich einem Gefängnis glich. Hier sollten Jugendliche unter haftähnlichen Bedingungen zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umerzogen werden.

Das Hörspiel finden sie ab 23. Oktober in der ARD Audiothek.

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Mord im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau

Es ist der 10. November 1989, die Mauer ist gerade gefallen, da wird der Direktor des Jugendwerkhofs tot aufgefunden. Angeblich ein Selbstmord – aber die Kommissarin, gespielt von Nina Gummich, hat Zweifel.

Beate: Keine Zeichen von Fremdeinwirkung?
Dr. Rehling: Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen...
Lehmann: In Anbetracht der Umstände scheint die Sache klar zu sein.
Dr. Rehling:
(stimmt zu) Tja...
Beate: Wie meinen Sie das?
Lehmann: Das liegt doch auf der Hand. Die Regierung der DDR tritt zurück. Von ganz oben kommt im letzten Moment der Befehl, diese Einrichtung zu schließen. Von heute auf morgen. Dann wird auch noch die Grenze aufgemacht. Was denken Sie, was als Nächstes passiert...mit Leuten wie ihm?!
Beate:
(fassungslos) Die Grenze...ist offen?   Ausschnitt Hörspiel "Rabenkinder"

Drei Jugendliche sind noch in Torgau eingesperrt, alle anderen Insassen wurden bereits verlegt. Kurz nach der Befragung durch die Leipziger Mordkommission gelingt den dreien die Flucht.

Maik: Dalli, dalli, schlaft nicht ein, ihr lahmen Enten. Na los!
Tanja: Andreas komm, du brauchst dein Bett nicht mehr zu bauen, Kante auf Kante ist vorbei.
Kommissarin: Wie konnte er überhaupt aus dem Gruppenraum entkommen?Erzieherin: Es muss ihn jemand rausgelassen haben. Jemand, der einen Schlüssel für alle Räume hat. Sowas hat es noch nie gegeben. Alles läuft aus dem Ruder.
Ausschnitt Hörspiel "Rabenkinder"

Haben die drei etwas mit dem Tod des Direktors zu tun – oder jemanden in der Tatnacht erkannt? Der Kommissarin geht das Schicksal der jungen Menschen zu Herzen, doch dann übernimmt ein Kollege aus dem Westen den Fall, der keine Ahnung von den DDR-Gegebenheiten hat. Mit ihm muss sie sich zusammenraufen, denn der 14-jährige Andreas ist in Gefahr.

Geschichte in persönlichen Geschichten

Porträt der Regisseurin Anne Osterloh. © Oliver Betke Foto: Oliver Betke
Anne Osterloh inszenierte das Hörspiel in Hamburg.

Für Regisseurin Anne Osterloh ist das Interessante an diesem Hörspiel:
"Es erzählt Geschichte in persönlichen Geschichten, und sowas mag ich immer, wenn so etwas Großes wie Wende, Jugendwerkhof, Osten in der persönlichen Geschichte der Jugendlichen erzählt wird."
Gespielt werden die drei von Ingraban von Stolzmann, Oscar Hoppe und Runa Greiner. Alle drei sind zwar schon Ende 20, Anne Osterloh, die selbst auch Schauspielerin ist, hat sich aber bewusst für ausgebildete Schauspielerinnen und Schauspieler für diese jungen Rollen entschieden.
"Das ist kompliziert zu spielen, da geht es um starke Themen wie Missbrauch. Klar, könnte man auch jugendliche Schauspielerinnen und Schauspieler nehmen, aber dann mit mehr Zeit im Vorfeld. Oder vielleicht irgendwo andocken, mit Leuten zusammenarbeiten, die die Jugendlichen unterstützen. Jetzt einfach so zu casten, das wäre ein bisschen verantwortungslos. Ich glaube, ich habe eine ganz junge Stimme von Natur aus."
Sagt Runa Greiner, bekannt aus Filmen wie Fack ju Göhte.
"Ich kann natürlich viel tiefer sprechen, und dann kling ich viel erwachsener. Aber wenn ich an meine Unsicherheiten denke, dann geht meine Stimme von alleine nach oben, und dann passt das immer ganz gut."

Musik mit Zitaten aus den Zellen

Die elektronische Musik von Tommy Neuwirth, Jahrgang 1983 und geboren in Weimar, zieht die Verbindung zu den jugendlichen Protagonisten von damals. Bewusst soll sie auf der Seite der Jugendlichen stehen, erzählt Regisseurin Anne Osterloh. Die "Rabenkinder" und ihre Stimmungen vertreten. Den Erwachsenen Raum abtrotzen.

In den Titelsong hat Tommy Neuwirth Zitate von tatsächlich in Torgau eingesperrten Jugendlichen eingebaut, die sie in ihre Pritschen und die Wände ihrer Zellen geritzt haben. Sie sind heute im ehemaligen Jugendwerkhof zu sehen, der jetzt ein Museum ist.

Hochspannendes Hörspiel über das Ausgeliefertsein

Für Regisseurin Anne Osterloh ist das Entscheidende dieser Geschichte:
"Wie ist es für Menschen, ausgeliefert zu sein. Hier ist es ja so, dass es um junge Menschen geht, Teenager, die eingesperrt werden. Die Eingesperrten waren auch die, die Widerständler waren: Punks, Leute, die ausreisen wollten. Die grundlos quasi hinter Gitter kamen. Und was machst du mit dem Leben danach? Der zweite Teil endet dann ja auch so, dass es in Richtung Zukunft geht. Die Grenzen sind offen, sie müssen mit den Geschichten klarkommen, die sie erlebt haben, aber sie haben die Zukunft noch."
Irene Schuck hat Grit Poppes Roman zu einem hochspannenden Hörspiel verdichtet. "Rabenkinder" ist ein düsterer, gut recherchierter Thriller zu einem wichtigen historischen Thema. Der die Identität des Mörders erst ganz zum Schluss offenbart."Es ist auch so spannend mitzufiebern: wer ist es denn jetzt?"
findet auch die Schauspielerin Runa Greiner.
"Ich hab, als ich es gelesen hab, bis zum Ende nicht gecheckt, wer es sein könnte. Und das macht Spaß!"

Rabenkinder

Autorin
Grit Poppe
Bearbeitung
Irene Schuck
Besetzung
Anne Helm (Erzählerin), Nina Gummich (Beate Vogt), Thomas Thieme (Arno Berg), Martin Feifel (Josef Gruber), Ingraban von Stolzmann (Andreas Schwalbe), Runa Greiner (Tanja Wolter), Oscar Hoppe (Maik Kerner), Pauletta Pollmann (Flora), Gunnar Helm (Hausmeister Braun), Steffen C. Jürgens (Oberleutnant Lehmann), Michael Wittenborn (Dr. Rehling), Tilla Kratochwill (Hildegard Hellermann), Stephan Grossmann (Reinold Spieß), Jens Eulenberger (Kriminaltechniker Steffen), Lars Rudolph (Georg Bruckner), Nikolaus Kühn (Leutnant Gerdes / Neonazi 1), Luca Toboll (Neonazi 2), Carina Wiese (Frau Wolter), Marko Gebbert (Karl Wolter), Corinna Waldbauer (Frau Zobel), Michaela Winterstein (Mutter von Andreas), Hildegard Schmahl (Großmutter v. Andreas), Nils Andre Brünnig (Viktor Lüder)
Besetzung
Damgar Titz, Marc Zippel
Technische Realisation
Sebastian Ohm, Nicole Graul, Marvin Leesch
Komposition
Tommy Neuwirth
Regieassistenz
Luca Toboll
Regie
Anne Osterloh
Dramaturgie
Susanne Birkner
Produktion
Norddeutscher Rundfunk 2024

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Hörspiel | 27.10.2024 | 19:00 Uhr

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