Wie die CDU in Goslar zur Bundespartei wurde
Die Anfänge der CDU liegen direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst in regionalen Gruppen. Auf dem ersten Bundesparteitag 1950 in Goslar werden der große Zusammenschluss und ein gemeinsames Statut bestätigt.
Es ist der 20. Oktober 1950. Im großen Saal des Goslarer Odeon-Theaters läutet Musik von Ludwig van Beethoven den ersten Bundesparteitag der Christlich Demokratischen Union (CDU) ein. Als die Melodie der Egmont-Ouvertüre verklungen ist, tritt Konrad Adenauer ans Rednerpult. In seiner Eröffnungsansprache beschwört der Bundeskanzler die Delegierten, den "Weg zur Freiheit" beizubehalten. Er warnt vor der "rücksichtslosen Ausbeutung durch eine kleine Oberschicht in der Form eines totalitären Staates, Sklaverei, Konzentrationslager, Verfolgung des Christentums" durch die Sowjetunion.
Adenauer sieht die Herausforderung der Zeit im Kampf zwischen Freiheit und christlich-abendländischem Denken auf der einen sowie Sklaverei und anti-christlichem Denken jenseits des Eisernen Vorhangs auf der anderen Seite. Dementsprechend lautet das Thema seiner Rede "Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt". Der damals 73-Jährige bekennt sich zum Zusammenschluss Europas sowie zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands nach der Gründung der DDR 1949.
Motto des Parteitags: "Einigkeit und Recht und Freiheit"
Am Abend des 20. Oktober beginnt der erste Bundesparteitag der Partei, die die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland in den folgenden Jahrzehnten entscheidend prägen wird. 386 Delegierte und rund 600 Gäste - darunter Vertreter christdemokratischer Parteien aus den Nachbarländern sowie der bayerischen CSU - werden vom niedersächsischen CDU-Vorsitzenden Adolf Cillien feierlich begrüßt. Anschließend fordert er die Versammelten auf, die dritte Strophe des Deutschlandlieds zu singen, die zu dieser Zeit allerdings noch nicht Nationalhymne ist. Gleichwohl kommen die Delegierten unter dem aus dem Lied entlehnten Motto der Veranstaltung "Einigkeit und Recht und Freiheit" zusammen, um ihrer Partei endlich einen organisatorischen Überbau zu geben.
Bildung der Parteien nach 1945
Wie kommt es, dass der CDU-Politiker Adenauer zwar seit dem 15. September 1949 das Amt des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland ausübt, die CDU aber noch gar keinen Bundesvorsitzenden hat? Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernehmen die Siegermächte die Kontrolle über Deutschland. Politische und wirtschaftliche Strukturen müssen neu aufgebaut werden. Das Potsdamer Abkommen der Alliierten vom 2. August 1945 sieht die Bildung einer lokalen Selbstverwaltung nach demokratischen Strukturen in den besetzten Gebieten vor. Es sind die Sowjets, die im Sommer 1945 zuerst wieder die Gründung politischer Parteien erlauben. Briten, US-Amerikaner und Franzosen ziehen wenig später nach.
CDU vereint Katholiken und Protestanten
Viele politisch interessierte Deutsche engagieren sich in der Nachkriegszeit für den Neuaufbau der Parteien. Während SPD und KPD an alte Traditionen aus der Weimarer Republik anknüpfen können und die neu gegründete FDP die ehemaligen Links- und Rechtsliberalen vereint, sind die CDU und in Bayern die CSU gänzlich neue Parteien. Die Verbände vereinen - zunächst auf regionaler Ebene - ehemalige katholische Zentrumspolitiker, christliche Gewerkschafter, Protestanten sowie Vertreter aller Schichten. Am 26. Juni 1945 wird der Berliner Gründungsaufruf der CDU veröffentlicht, der zur Bildung einer überkonfessionellen großen Partei aufruft. Auf der Reichstagung vom 14. bis 16. Dezember 1945 in Bad Godesberg einigen sich die regionalen Gruppen auf den Namen "Christlich Demokratische Union" für die neue Partei. Die bayerische Gruppierung, die sich im Oktober 1945 gegründet hat, behält ihren Namen "Christlich Soziale Union".
Als übergeordnetes Organ der regionalen Parteiverbände entsteht zunächst 1946 der Kölner Zonenverbindungsausschuss in der britisch besetzten Zone (BBZ) sowie die Berliner Reichsleitung für die CDU in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ). Konrad Adenauer wird zur prägenden Figur im Rheinland und bald in den gesamten Westzonen. Im Osten leitet Jakob Kaiser die CDU, bevor er schließlich in den Westen geht. Dort versucht eine Arbeitsgemeinschaft mit Sitz in Frankfurt am Main, die Geschicke der selbstständigen Landesverbände zusammenzuführen. So organisiert die Arbeitsgemeinschaft den Wahlkampf für die erste Bundestagswahl im August 1949, aus der die CDU mit 31 Prozent der Stimmen als stärkste Partei hervorgeht.
Goslar: Wenig Zerstörung und Nähe zur DDR
Doch ohne ein starkes übergeordnetes Gremium wird es zunehmend schwierig, die regierende Partei zu führen. Darüber klagt nicht zuletzt der Kanzler. In Goslar soll nun im Oktober 1950 endlich ein Parteistatut, dessen Entwurf seit 1948 existiert, verabschiedet und ein Parteivorsitzender gewählt werden. Das niedersächsische Goslar wird aus verschiedenen Gründen als Austragungsort gewählt: Nach dem Krieg liegen viele deutsche Städte in Trümmern. Goslar aber ist nahezu unzerstört, so dass ein Tagungsort und genügend Hotelzimmer vorhanden sind. Zudem soll die Nähe zur Zonengrenze die Verbundenheit zur den Bürgern der DDR zeigen. Nicht zuletzt mag das gute Verhältnis Adenauers zum niedersächsischen Wirtschaftsminister Otto Fricke den Blick auf die Stadt im Harz gelenkt haben.
Gründung der CDU Niedersachsen
In Goslar bekommt nicht nur die Bundespartei eine übergeordnete Struktur. Auch auf Landesebene ist die CDU noch nicht überall zentral organisiert. Wenige Stunden vor dem offiziellen Beginn des Bundesparteitags findet am Nachmittag des 20. Oktober zunächst die Gründung der CDU Niedersachsen statt. Die drei Landesverbände Braunschweig, Hannover und Oldenburg vereinbaren ein gemeinsames Handeln in Fragen der niedersächsischen Politik. Den Vorsitz übernimmt Adolf Cillien vom Landesverband Hannover.
Quelle des Videos ist der YouTube-Kanal der Konrad Adenauer Stiftung, onlinekas.
Adenauer wird zum CDU-Vorsitzenden gewählt
Nach der feierlichen Einstimmung zur Eröffnung des Parteitags stehen am 21. Oktober die Wahlen auf dem Programm. Zunächst nehmen die Delegierten das Statut der CDU einstimmig an. Anschließend wählen sie den Parteivorsitzenden und seine Stellvertreter. Der einzige Kandidat für den Bundesvorsitz ist Konrad Adenauer. Er bekommt 302 von 368 Stimmen. Zu seinen Stellvertretern wählen die Delegierten Friedrich Holzapfel (297 Stimmen) und Jakob Kaiser (304 Stimmen).
Themen: Westbindung, Europa, Soziale Marktwirtschaft
Nach den Wahlen widmen sich die Delegierten in zahlreichen Reden den Zielen und Überzeugungen der CDU. Grundlegend ist das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie. Nach außen ist die Abgrenzung zum Kommunismus das zentrale Thema. Zudem ist sich die Partei einig, dass Deutschland aktiv an der Gestaltung Europas teilhaben soll. Innerdeutsch findet eine klare Abgrenzung zur SPD statt mit der Begründung, dass Revolution und Christentum unvereinbar seien.
Die Betonung des sozialen Auftrags der CDU ist stärker als in späteren Jahren. Auch Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, der sogenannte Vater des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Krieg, hebt die Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft hervor. In einer Zeit, in der Millionen Flüchtlinge eine neue Heimat suchen, sieht die CDU zudem die Notwendigkeit, die Belange der Vertriebenen ernst zu nehmen. Zudem äußern die Delegierten die Hoffnung, dass es den Menschen im Osten gelingen werde, sich von der kommunistischen Herrschaft zu befreien.
Fernziel Deutsche Einheit
Mit der Annahme des Parteistatuts bildet die CDU auf dem Gebiet der Bundesrepublik eine Einheit - der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Schnell entwickelt sie sich zur Volkspartei. Bei der Bundestagswahl 1957 erzielt die CDU gemeinsam mit ihrer Schwesterpartei CSU als Union 50,2 Prozent das bisher beste Ergebnis. Zudem ist sie bis zu ihrem 70. Jahrestag länger in Regierungsverantwortung als jede andere deutsche Partei seit 1949. Mit dem Parteistatut erkennt die CDU 1950 jedoch auch die - lange hinausgezögerte - Trennung von der CDU in Ostdeutschland an. Dennoch bleibt die Einigung der beiden gerade gegründeten deutschen Staaten BRD und DDR ein Ziel der CDU, die sich in ihrer Abschlusskundgebung zu "Gesamtdeutschland als Aufgabe" bekennt.
Als die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel am 20. Oktober 2000 in Goslar als Parteivorsitzende anlässlich des 50. Jahrestags der CDU spricht, ist die Wiedervereinigung bereits seit zehn Jahren vollzogen.
Ihren 70. Geburtstag feiert die aktuell krisengebeutelte Partei in Goslar Corona-bedingt mit einem Jahr Verspätung.