Wie Treffen von Waffen-SS-Veteranen Rendsburg in Verruf brachten
Treffen der "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS" fanden in den 1950er- und 60er-Jahren jährlich in Rendsburg statt. Die HIAG war gern gesehener Gast in Rendsburg
Dort, wo früher der Gasthof Schützenhof stand, steht heute ein Pflegeheim. Fritjof Wilken steht mit seinem Mitstreiter Günter Neugebauer zusammen und erzählt: "Hier standen wir mit zehn, zwölf jungen Leuten und die SS-Männer sortierten sich am Schützenhof. Das waren ja teilweise kriegsversehrte Leute, die humpelten." Dann seien die Männer von der HIAG irgendwann losmarschiert, erzählt er weiter, an ihrer kleinen Gruppe vorbei "und spuckten uns vor die Füße". Über die Hindenburgstraße seien sie dann weiter Richtung Königstraße und Paradeplatz im Gleichschritt marschiert. "So ging das Jahr für Jahr", sagt Günter Neugebauer.
Jugendliche protestieren gegen die Treffen
Die beiden erinnern sich gut an die alljährlichen Treffen der HIAG - sie sind Jahrgang 1945 und Jahrgang 1948. Wilken und Neugebauer protestieren als Jugendliche gegen diese Zusammenkünfte. Der eine bereits 1961, der andere ein paar Jahre später. Ihr jugendlicher Protest bleibt damals zunächst ohne Wirkung.
Fritjof Wilken erinnert sich: "Das waren alte Nazis - fertig! Denen konnte man nicht 'Guten Tag' oder freundlich 'Herzlich Willkommen in Rendsburg' sagen. Also musste man das Gegenteil sagen - 'Raus hier'!"
"Für uns waren die Mitglieder der SS der Inbegriff von Verbrechen in den Konzentrationslagern, und die wollten wir hier nicht haben. Günter Neugebauer
Sonderakte HIAG
Günter Neugebauer hat vor einigen Jahren beschlossen, das Thema "HIAG in Rendsburg" gründlich zu untersuchen: "Alle hatten das vergessen und ich fand, es war Zeit, das aufzuschreiben, in welcher Beziehung Rendsburg zu den ehemaligen Angehörigen der SS stand." Er findet heraus: 1954 trifft sich die HIAG zum ersten Mal in Rendsburg. Außerdem ist in den Akten dokumentiert, dass der damalige Bürgermeister Heinrich de Haan - ein ehemaliges NSDAP-Mitglied - ein Grußwort spricht. Ebenso gibt es Grußworte von Landespolitikern aller Fraktionen. Die HIAG ist gern gesehener Gast in Rendsburg. Einwände gegen ein Treffen von Waffen-SS-Veteranen gibt es nicht.
"Nazis waren in Rendsburg schnell anerkannt"
Und doch: Die ersten Protestschreiben erreichen die Stadt vor dem zweiten Treffen im Jahr 1955. Das "Norddeutsche Echo" - ein Blatt der Kommunistischen Partei Deutschlands - spricht von einer "Provokation der Öffentlichkeit". Die Kommunistische Partei Pinneberg schreibt: "Das vorgesehene faschistische Treffen in ihrer Stadt trägt nicht dazu bei, die Verständigung unter uns Deutschen herbeizuführen, da es sich hier ausgesprochen um ehemalige Faschisten, Militaristen und Revanchepolitiker handelt." Die Proteste bleiben allerdings ohne Wirkung.
Günter Neugebauer stellt nach Durchsicht aller Dokumente fest: "Die alten Nazis waren gesellschaftlich in Rendsburg sehr schnell anerkannt." Da es sich bei den Protestschreiben von 1955 um Kritik von Kommunisten handelte, habe man das abgetan: "Das sind die Kommunisten in der DDR. Mit denen haben wir sowieso nichts am Hut."
Nationalsozialisten fassen Fuß in Nachkriegsdeutschland
Professor Uwe Danker hat sich in seiner Forschung viel damit beschäftigt, inwieweit Nationalsozialisten auch nach dem Krieg in Politik, Justiz und Polizei wieder Fuß fassen konnten. Es gebe viele Beispiele, die zeigten, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen, ehemalige NS-Funktionsträger arbeiteten.
"Schleswig-Holstein hat sich in diesen 50er-Jahren den Ruf förmlich hart erarbeitet besonders tolerant mit ehemaligen NS-Eliten umzugehen. Wir würden umgangssprachlich sagen, mit hartgesottenen Nazis. Man kann die 50er-Jahre auch als Skandal-Geschichte in diesem Land beschreiben." Professor Uwe Danker, Historiker
Im Gleichschritt mit Kriegsverbrechern
In einem NDR Nordschau-Bericht vom 24. November 1964 sieht man, wie mehrere Hundert Mitglieder der HIAG durch die Stadt marschieren. Mit dabei Sepp Dietrich, verurteilter Kriegsverbrecher, und der Bundessprecher der HIAG, Kurt Meyer. Auch er war ein verurteilter Kriegsverbrecher und wurde von den treuen SS-Kameraden beim Treffen in Rendsburg bejubelt. Jahr für Jahr marschieren sie gemeinsam zu dem 1952 errichteten Mahnmal für Kriegsgefangene.
Der Auschwitz-Prozess bringt die Wende
Doch 1964 kommt die Wende. Durch den Frankfurter Auschwitz-Prozess kommen die Verbrechen der SS wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft. Mehr und mehr Briefe der Empörung erreichen die Stadt. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes organisiert eine Protestkundgebung. Die Demonstrierenden halten Plakate hoch, auf denen sie auf die Verbrechen in den Konzentrationslagern aufmerksam machen. Die Internationale Presse berichtet. "Dass sich hier ehemalige SS-Männer in Rendsburg treffen und zwar jedes Jahr, ohne dass die sich in irgendeiner Weise zu ihrer Schuld und zu ihren Verbrechen zu bekennen," das habe dann eben die Journalisten aus der halben Welt nach Rendsburg gelockt, erzählt Günter Neugebauer. Uwe Danker ergänzt: "Es ist der mediale Druck gewesen, auch der Druck, der durch die Straße in Rendsburg durch eine Minderheit erzeugt wurde, der Bewegung ins Spiel brachte." Trotzdem ist Rendsburg damals noch nicht soweit, der HIAG eine Absage zu schicken.
Nach massiven Protesten lenkt Rendsburg endlich ein
1965 tagt die HIAG wieder in Nordmarkhalle. Daraufhin gerät die Städtepartnerschaft Rendsburgs mit der französischen Stadt Vierzon ins Wanken. In der Stadt wird kontrovers diskutiert, das kann Günter Neugebauer in der "Sonderakte HIAG" nachlesen. 1966 und 1967 tagt die HIAG dann in Osterrönfeld, auf einem von der Stadt Rendsburg gepachteten Messegelände. Als die Stadtvertreter der Partnerstadt das mitbekommen, droht die Städtepartnerschaft endgültig zu scheitern und Rendsburg lenkt ein. "Die Stadtvertreter hatten Angst um das Ansehen dieser Stadt," so Günter Neugebauer. "Von sich alleine wären sie, glaube ich, nicht auf den Gedanken gekommen. Das muss man leider sagen." Damit sind die Treffen der HIAG in Rendsburg Geschichte. Aber die ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS treffen sich noch jahrelang in Husum - 1974 zum letzten Mal.