Udos Lederjacke - Legendäres Symbol mit Reliquien-Status
In den 80ern beschenken sich Udo Lindenberg und Erich Honecker mit Lederjacke und Schalmei. Doch weder trägt der eine die Kluft, noch bläst der andere in die Röhre. Deutlicher kann der symbolische Abgrund zwischen West-Rocker und SED-Chef kaum sein.
Schon auf seiner ersten erfolgreichen LP "Alles klar auf der Andrea Doria" von 1973 träumt Udo Lindenberg von einem Auftritt in der DDR. Lindenberg lebt zwar in Hamburg, ist in dieser Zeit aber oftmals "drüben" in Ostberlin, mit einem Tagesvisum. Er hat sich tatsächlich verliebt in ein "Mädchen aus Ost-Berlin", wie er den Song später nennen wird, und "dann ist es auch schon so weit, ihr spürt, dass ihr gerne zusammen seid und ihr träumt von einem Rock-Festival auf dem Alexanderplatz". Diesen Traum wird Udo noch ziemlich lange träumen müssen, bis er dann 1983 tatsächlich für 20 Minuten im Palast der Republik auftreten darf.
DDR-Konzert wird zu Lindenbergs langem Traum
So ganz unbegründet ist dieser Wunsch damals nicht gewesen, denn eigentlich stehen Anfang der 70er-Jahre die Zeichen auf Entspannung zwischen Ost und West. Egon Bahr als Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Staatssekretär Michael Kohl für die DDR handeln den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag aus und die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen stehen zu Gebote.
Drei Jahre später bringt Udo Lindenberg diesen Wunsch auf seiner LP "Sister King Kong" nochmal sehr deutlich zum Ausdruck:
"Ich würd' so gerne bei euch mal singen
meine Freunde in der DDR
'ne Panik-Tournee, die würd's echt bringen [...]
Ddoch die Funktionäre sind noch unentschlossen
diese 'westliche Müllkultur' sei nichts für die Genossen"
Udo Lindenberg, "Rock 'n' Roll Arena in Jena"
Einige Monate später wird Wolf Biermann, mit dem Udo Lindenberg gut befreundet ist, ausgebürgert aus der DDR, nach seinem Konzert in Köln. Die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Liberalisierung in der DDR ist damit beendet. Als Udo 1979 in einem Radio-Interview nochmal ausdrücklich den Wunsch äußert, für seine Fans ein Konzert in Ostberlin zu geben, bekommt er vom Kulturideologen Kurt Hager postwendend die Antwort: "Auftritt in der DDR kommt nicht in Frage."
Ost-West: Neues Wettrüsten zementiert neue Eiszeit
Es herrscht eine neue Eiszeit zwischen Ost und West. Als Antwort auf die Stationierung eines neuen Systems von Atomraketen in der Sowjetunion, der SS 20, beschließen die NATO-Staaten, neue atomare Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren. Ein neues Wettrüsten beginnt. An eine DDR-Tournee ist eigentlich überhaupt nicht mehr zu denken. Aber die starken Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss inspirieren Udo Lindenberg 1981 zu einem Song, der ihm bald schon die Türen Richtung DDR und Sowjetunion öffnen soll: "Wozu sind Kriege da". Ein Hit nicht nur bei seinen Fans im Osten, er wird auch wohlwollend von der Friedenspropaganda der DDR-Führung aufgenommen.
"Sonderzug nach Pankow" geht direkt an Honecker
Also unternimmt Lindenberg nun den ultimativen Vorstoß Richtung DDR-Tournee mit einem Song, der an seine Fans in der DDR, aber auch direkt an Erich Honecker adressiert ist: "Sonderzug nach Pankow". Die Single mit der Melodie nach einem alten Evergreen von Glenn Miller schafft es gleich auf Platz 5 der westdeutschen Charts. Der Text ist frech, witzig und ziemlich respektlos: "Ich muss da was klärn mit eurem Oberindianer. Ich bin ein Jodeltalent und will da spielen mit 'ner Band". Und genau da taucht erstmals die Lederjacke auf, die später zur Legende werden soll:
"Honey ich glaub du bist doch eigentlich auch ganz locker
Ich weiß tief in dir drin bist du doch eigentlich auch 'n Rocker
Du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an
Und schließt dich ein auf'm Klo und hörst West-Radio"
Udo Lindenberg, "Sonderzug nach Pankow"
Lederjacken-Song führt zum Auftrittsverbot
Das Lied schlägt ein wie eine Bombe und eroberte im Handumdrehen die Herzen etlicher anderer DDR-Bürger, denen der Rocker aus dem Westen bis dahin suspekt war. Eine Majestätsbeleidigung vom Feinsten. Die Staatsführung erteilt ein striktes Aufführungsverbot für den Lederjacken-Song, selbst der ursprüngliche Swing-Klassiker "Chattanooga Choo Choo" darf im Radio oder bei öffentlichen Veranstaltungen nicht gespielt werden. Zwei "Schallplatten-Unterhalter" aus dem Bezirk Cottbus werden, so meldet die Stasi schon am 4. Februar 1983, "wegen Abspielens des Titels, der eine Diffamierung des Generalsekretärs der SED sowie der Kulturpolitik der SED darstellt", zu je fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Der "Sonderzug", nicht nur von der Stasi als Spottlied wahrgenommen, ist aber erstaunlicherweise gar nicht mal böse gemeint. In einem persönlichen Brief an Honecker entschuldigt sich Lindenberg für das entstandene Missverständnis: "In jedem Fall lag es mir fern, Herr Staatsratsvorsitzender, Sie mit diesem Liedchen in irgendeiner Weise zu diskreditieren, ganz im Gegenteil ...".
Dieses Schreiben bleibt nicht ohne Wirkung.
Brief an Honecker läutet Kehrtwende ein
Erich Honecker lädt Lindenberg zum Herbst 1983 ein in den Ostberliner "Palast der Republik", zu dem Musikfestival "Rock für den Frieden". So wie es sich Udo gewünscht hatte. Veranstalter ist unter anderem die FDJ, das ganze Manöver geht damit über den Tisch des damaligen FDJ-Chefs Egon Krenz. Zusammen mit dem westdeutschen Konzertveranstalter Fritz Rau wird da hinter den Kulissen gefeilscht. Krenz will unbedingt Harry Belafonte, den strahlenden "linken" US-Filmstar, Sänger und Vietnamkriegs-Gegner auf seinem "Friedensfestival". Fritz Rau hat einen heißen Draht in die USA und stellt gleich klar, dass Belafonte nur auftritt, wenn auch Lindenberg dabei ist. Und eine DDR-Tournee des Panik-Orchesters für das Jahr 1984 springt auch noch dabei heraus.
Also fährt Udo am 25. Oktober 1983 im weißen BMW, mit Hut und Lederjacke Richtung Grenzübergang, von der "Bild"-Zeitung verhöhnt als "Zugpferd vor Ostberliner Propagandakarren". In den Rängen des Palastes sitzen fast ausschließlich FDJ-Blauhemden, während draußen vor der Tür die wahren Udo-Fans toben und rein wollen, abgeschirmt von über 1.500 Stasi-Leuten. Der Rocker fühlt sich missbraucht und vorgeführt. Die Anti-Kriegshymne "Wozu sind Kriege da" darf er singen - den "Sonderzug" natürlich nicht. Auf der Bühne spricht er kurz zum Thema Abrüstung und wird dabei sehr deutlich. Nicht nur die Pershings der Nato sollen weg, auch die SS 20 der Sowjets. Das führt zum Eklat - und die im Vorfeld versprochene DDR-Tournee wird kurzerhand "storniert", wie es in Lindenbergs Stasi-Akte steht. Seinen Song "Hallo DDR", in dem er seine Tournee euphorisch ankündigt, spielt er dann erst sieben Jahre später, bei seiner ersten DDR-Tournee nach der Wende.
Lindenberg greift noch einmal zur Lederjacke
Udo Lindenberg darf bald schon in Moskau und Leningrad auftreten, aber ein Auftritt bei seinen Fans in Ostdeutschland wird ihm nach wie vor verwehrt. Also greift er mal wieder zu Lederjacke. Mit dem Song "Der Generalsekretär" veröffentlicht er eine Fortsetzung des "Sonderzugs"":
"Und dann komm' ich ganz rasant mit einem Trabant
In die Hauptstadt eingefahr'n;
Und da hat Erich dann die Lederjacke an!
[...]
Es war einmal ein Generalsekretär
Der liebte den Rock 'n' Roll so sehr
Gitarren statt Knarren
Und locker
So wie ein Rocker.
Der Staatsratsmeister sprach zum ZK:
Nichts wird mehr so sein
Wie es mal war!
Von morgens bis abends ertönt die Schalmei"
Udo Lindenberg, "Der Generalsekretär"
Seiner Bitte an Honecker um eine Auftrittsgenehmigung in der DDR fügt Udo eine richtige Lederjacke bei, von der bis heute niemand so richtig weiß, ob sie ursprünglich vom Rockstar persönlich, seinem Leibwächter oder irgendeinem Roadie stammt. Jedenfalls ist es die Jacke, die Lindenberg in dem von ihm selbst produzierten Spielfilm "Panische Zeiten" von 1980 trägt. Bei einer Pool-Party fällt er mitsamt dem guten Stück ins Wasser.
Honecker antwortet mit einer Schalmei
Auf die Beigabe reagiert Honecker mit einem Dankesschreiben: "Wenn ich es recht verstehe, ist sie (die Jacke, Anm. d. R.) ein Symbol rockiger Musik für ein sinnvolles Leben der Jugend ohne Krieg und Kriegsgefahr, ohne Ausbildungsmisere und Arbeitslosigkeit ...". Die Jacke, "sie passt", konstatiert Honecker, stellt damit eine weitgehende politische Übereinstimmung mit dem Rockstar fest - und schickt seinerseits eine Schalmei, eine Martinstrompete, wie sie damals gern bei FDJ-Umzügen zu Arbeiterliedern geblasen wird.
Auch die E-Gitarre bringt Udo nicht in die DDR
Diese ungewohnt freundliche Antwort veranlasst den "Panikrocker" dazu, im September 1987 nach Wuppertal zu fahren, um dem SED-Chef unangemeldet persönlich zu begegnen. Diesmal im dunklen Nadelstreifenanzug und mit Krawatte. Honecker ist auf seinem ersten und einzigen Staatsbesuch in der Bundesrepublik und an diesem Tag in Wuppertal mit dem SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau. Vor dem Friedrich-Engels-Haus mischt Lindenberg sich dazu und überreicht Honecker nun seine Antwort auf die Schalmei: eine E-Gitarre mit dem Slogan "Gitarren statt Knarren".
Jugendmode Shanty ersteigert Udos Jacke für Tausende Mark
Doch trotz dieser öffentlichkeitswirksamen Tauschaktion von Lederjacke, Schalmei und Gitarre findet Lindenberg mit seiner Band keinen Einlass in die DDR. Alles bleibt so, wie es ist. Die Jacke übergibt Honecker dem Zentralrat der FDJ. Die Organisation versteigert sie - natürlich abgesprochen mit der Staatsführung - für angeblich 7.500 Ost-Mark an den VEB Jugendmode Shanty in Rostock. Dort gibt es einen ersten Fototermin für die "Ostsee-Zeitung" - um die Jacke dann aber ganz schnell wieder wegzuschließen in irgendeine Vitrine, wo sie niemand zu Gesicht bekommt.
Museum in Rostock kämpft um symbolträchtige Lederkluft
Ein Jahr später fordert das Museum der Stadt, heute das Kulturhistorische Museum Rostock, die Jacke für das 770-jährige Stadtjubiläum an. Das wird verweigert. Die Lederjacke des westdeutschen Rockmusikers, so die Auskunft der Verantwortlichen, habe nichts mit der Stadtgeschichte zu tun. Für Honecker war sie ja immerhin noch ein Symbol für eine Jugend ohne Krieg und Arbeitslosigkeit, für die DDR-Funktionäre bleibt sie offenbar ein Symbol westlicher Dekadenz mit großer Ansteckungsgefahr. Erst mit der Wende gelingt es den Museumsleuten, die Jacke als stolzes Ausstellungsstück zu bekommen.
Udos Lederjacke gewinnt nahezu Reliquien-Nimbus
Udo Lindenbergs erste tatsächliche Tournee durch die DDR wird 1989 noch vor dem Mauerfall geplant und beginnt im Januar 1990. Die Mitarbeiter des Kulturhistorischen Museums beeilen sich, vor dem Konzert in der Stadthalle noch einen Fototermin mit dem "Panikrocker" zu organisieren. Lindenberg schaut, ob sie noch passt, die Lederjacke für "Honey". Und dann kehrt sie zurück ins Museum im Kloster zum Heiligen Kreuz, wo die Jacke fortan - wie der dortige Holzsplitter aus dem Kreuze Jesu Christi - fast wie eine Reliquie verehrt und aufbewahrt wird.
Bald schon gehört sie zu den Ausstellungsstücken, die bis heute am häufigsten an andere Museen ausgeliehen werden. Die Jacke als Symbol einer friedlichen Revolution, gespendet von dem friedlichen Rock-Revoluzzer Udo Lindenberg, der schon sehr lange von einer deutschen-deutschen Vereinigung geträumt hatte. Wenn auch vermutlich nicht in der Form, wie sie dann tatsächlich vollzogen wurde.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag von Willy Brandt und Erich Honecker ausgehandelt wurde. Das stimmt so nicht. Die offiziellen Verhandlungsgespräche wurden für die Bundesrepublik von Egon Bahr und für die DDR von Michael Kohl geführt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.