Marshallplan führt zur Gründung der KfW-Bank
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschließen die USA ein Gesetz zur humanitären Hilfe für den Wiederaufbau Europas. So wird in Deutschland am 18. November 1948 die Kreditanstalt für Wiederaufbau gegründet.
"Zur Förderung des Weltfriedens und des allgemeinen Wohlergehens, des nationalen Interesses und der Außenpolitik der Vereinigten Staaten durch wirtschaftliche, finanzielle und andere Maßnahmen." Präambel des "Foreign Assistance Act", verabschiedet am 3. April 1948
Knapp drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verabschiedet der US-Kongress am 3. April 1948 mit großer Mehrheit ein Gesetz, dessen etwas bürokratisch klingender Titel "Foreign Assistance Act", Auslandshilfegesetz, nur Experten etwas sagen dürfte. Noch am selben Tag folgt die Unterschrift von US-Präsident Harry S. Truman. Das Gesetz ist Teil des European Recovery Program (ERP), des europäischen Wiederaufbauprogramms - und wird allgemein als Marshallplan bezeichnet.
Dieser Begriff dürfte auch heutzutage geläufiger sein - nicht zuletzt dank der geschickten Kommunikation und PR-Begleitung der anlaufenden US-Hilfen in Europa. Konkrete Hilfsprojekte wie etwa die infrastrukturelle Erschließung des damals rückständigen Emslands werden mit Plakaten begleitet, auf denen zu lesen ist "Hier hilft der Marshallplan". Das amerikanische Interesse an der Hilfe für das nach den gewaltigen Kriegszerstörungen brachliegende Wirtschaftsgefüge in Europa fasst die Präambel recht eindeutig zusammen: Einerseits sollten der Weltfrieden und allgemeiner Wohlstand gefördert werden, andererseits auch das nationale Interesse und die Außenpolitik der USA gestärkt werden.
"Wiederherstellung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse"
Das amerikanische Hilfsprogramm beruht auf den Überlegungen des damaligen US-Außenministers George C. Marshall, die dieser im Juni 1947 vor Studenten der Universität Harvard äußerte:
"Es ist nur logisch, dass die Vereinigten Staaten alles tun, was in ihrer Macht steht, um die Wiederherstellung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse in der Welt zu fördern, ohne die es keine politische Stabilität und keinen sicheren Frieden geben kann. Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Ihr Zweck ist die Wiederbelebung einer funktionierenden Weltwirtschaft." George C. Marshall am 5. Juni 1947
Ausgangslage: Wirtschaftsstruktur zerstört - Sowjetunion lauert
Der Außenminister stellt zunächst eine Gesamtbetrachtung der verheerenden wirtschaftlichen Lage in Europa an: Städte, Fabriken, Bergwerke und Transportwege seien weitgehend zerstört, doch habe "sich in den letzten Monaten herausgestellt, dass diese sichtbare Zerstörung wahrscheinlich weniger schwerwiegend ist als die Tatsache, dass das gesamte europäische Wirtschaftssystem aus den Angeln gehoben wurde". Rohmaterialien und Brennstoffe seien knapp, die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land funktioniere nicht mehr, schlicht deshalb weil die städtischen Industrien keine ausreichende Warenmenge zum Tausch gegen die Nahrungsmittel der Landbevölkerung hervorbrächten.
"In Wahrheit liegt die Sache so, dass Europas Bedarf an ausländischen Nahrungsmitteln und anderen wichtigen Gütern - hauptsächlich aus Amerika - während der nächsten drei oder vier Jahre um so viel höher liegt als seine gegenwärtige Zahlungsfähigkeit, dass beträchtliche zusätzliche Hilfsleistungen notwendig sind, wenn es nicht in einen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verfall sehr ernster Art geraten soll." George C. Marshall am 5. Juni 1947
Westdeutschland an der Schnittstelle zum Einflussbereich der Sowjetunion kommt aus Sicht der Amerikaner eine entscheidende Rolle zu. Der Kommunismus sollte im Rahmen der Containment-Politik eingedämmt werden. Der Antrieb der US-Regierung, daher in Westdeutschland den Wiederaufbau besonders stark zu fördern, kollidiert jedoch mit dem Interesse der Alliierten Großbritannien und Frankreich, den Kriegsgegner durch hohe Reparationsleistungen und Demontagen zum Beispiel in der Kohleindustrie zu schwächen.
Lösung: Hilfe zur Selbsthilfe mit europäischer Koordination
Damit die Alliierten Hilfen für Deutschland zustimmen und um den Wirkungskreis der amerikanischen Hilfen zu erhöhen, setzt die US-Regierung auf eine europäische Lösung. Zunächst müssten sich die Staaten, die am Hilfsprogramm teilnehmen möchten, zusammentun und ihren Bedarf formulieren.
"Es wäre weder angebracht noch zweckmäßig, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten von sich aus ein Programm entwerfen würde, um die wirtschaftliche Wiederaufrichtung Europas durchzuführen. Das ist Sache der Europäer selbst. Die Initiative muss von Europa ausgehen, meine ich. Unsere Rolle sollte darin bestehen, den Entwurf eines europäischen Programms freundschaftlich zu fördern und später dieses Programm zu unterstützen, soweit das für uns praktisch ist." George C. Marshall am 5. Juni 1947
Die USA hatten ihrerseits klare Prinzipien zur Bedingung für die Hilfe gemacht. Dazu gehörte neben der gegenseitigen Hilfe der europäischen Staaten die Liberalisierung des innereuropäischen Handels, Währungskonvertibilität sowie der Schaffung einer supranationalen Institution. In Paris entsteht ab April 1948 die Organisation für europäische wirtschaftliche Kooperation (OEEC), die die Zusammenarbeit der Staaten stärken und Vorschläge erarbeiten sollte, wie die Hilfsgelder unter den Empfängerländern aufgeteilt werden sollten. Zudem stand der Abbau von Handelshemmnissen im Vordergrund der Vorläuferorganisation der OECD.
16 Länder erhalten in vier Jahren 14 Milliarden US-Dollar
Die Reintegration Westdeutschlands in den europäischen Handel ist ein weiteres bedeutendes Anliegen der USA. Die Verhandlungen hierzu in der zweiten Jahreshälfte 1947 laufen etwas holprig. Vor allem Frankreich sieht die künftige Rolle Deutschlands lange kritisch, stimmt am Ende aber zu. Nachdem die europäischen Vorarbeiten abgeschlossen sind und der US-Kongress das Programm beschließt, können die Hilfen anlaufen. 16 westeuropäische Länder erhalten bis 1952 Kredite, Sach- und Lebensmittelhilfen im Wert von insgesamt 14 Milliarden US-Dollar - was nach heutiger Kursberechnung weit über 100 Milliarden US-Dollar entspricht. Großbritannien bekommt mit 25 Prozent den größten Anteil, gefolgt von Frankreich, Italien und Deutschland, das gut zehn Prozent der Mittel erhält.
Der Plan hat neben seinem humanitären Ansatz und der politischen Komponente auch die Förderung der US-amerikanischen Wirtschaft zum Ziel: Dort gibt es seit Anfang 1947 Anzeichen einer wirtschaftlichen Rezession - das Land braucht für seine Waren die Absatzmärkte in Europa. Durch den Wiederaufbau ist auch für die USA wieder mehr Handel möglich - den sich die Vereinigten Staaten auch direkt vertraglich absichern lassen, wie die Historikerin Elke Kimmel vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam erklärt:
"So mussten 50 Prozent der Waren auf amerikanischen Schiffen transportiert werden. Ein Viertel der Weizenlieferungen musste in den USA gemahlen werden, und es bestand die Pflicht, die landwirtschaftliche Überproduktion der USA aufzukaufen. Die europäischen Staaten waren außerdem verpflichtet, in den USA dringend benötigte Produkte zu 'angemessenen' Preisen dorthin zu exportieren." Historikerin Elke Kimmel
Gegenwertfonds und Gründung der Kreditanstalt für Wiederaufbau
Ein Großteil der Mittel aus dem Marshallplan werden für Zuschüsse auf Waren, die aus den USA importiert werden, verwendet. Die Empfängerländer müssen den Gegenwert dieser Zuschüsse in inländischer Währung in sogenannte Gegenwertfonds einzahlen. Das Geld hierfür kommt zumeist durch den Verkauf der Waren zu Marktpreisen in inländischer Währung. Die Gegenwertfonds dienen der Förderung des nationalen Wiederaufbaus und finanzieren Investitionen in Industrie und Infrastruktur. In Deutschland wird zu diesem Zweck die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gegründet - am 18. November 1948. Wie auch die OECD besteht diese Institution, die direkt auf den Marshallplan zurückgeht, noch heute. Wie damals ist eine ihrer Aufgaben die Vergabe von zinsgünstigen Darlehen für von der Regierung als wünschenswert erachtete Projekte.
Molotow-Plan als Gegenmodell der Sowjetunion
Auch den osteuropäischen Staaten hatten die USA im Rahmen des Marshallplans Hilfe angeboten, doch die Sowjetunion lässt sie in ihrem Einflussbereich nicht zu, was die US-Regierung von vornherein auch so einkalkuliert hatte. Stattdessen implementiert die Sowjetunion ein Gegenmodell, benannt nach ihrem Außenminister Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow. Der Molotow-Plan sieht Wirtschaftshilfen für die Länder im Einflussbereich der Sowjetunion vor. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) - gegründet am 25. Januar 1949 - wird zum Wirtschaftsbündnis der sozialistischen Staaten.
Marshall erhält Friedensnobelpreis - und ist Vorbild bis heute
An die dank der Marshallplan-Hilfe beginnende wirtschaftliche Erholung in Westeuropa schließt sich das deutsche Wirtschaftswunder an. Der "Erfinder" der Hilfe zur Selbsthilfe wird derweil mehrfach geehrt. George C. Marschall erhält 1953 den Friedensnobelpreis und 1959 den Karlspreis für Verdienste um die europäische Einigung.
Noch heute dient sein Name als Synonym für umfassende Hilfe für Staaten in Notlagen. Ende Oktober 2022 etwa laden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) in Berlin zu einem internationalen Gipfel nach Berlin. Beide bezeichnen den Wiederaufbau der Ukraine als Generationenaufgabe und fordern einen Marshallplan für das von Russland angegriffene Land.