Hinrichtung aus der Luft: Deutschland und der US-Drohnenkrieg
Der weltweite US-Drohnenkrieg läuft auch über das deutsche Ramstein. Jahrelang hatten die Grünen dies als völkerrechtswidrig kritisiert. Was sagen sie jetzt dazu?
Zemarai Ahmadi ahnt nichts, als er sich an diesem Morgen zu seiner Arbeit aufmacht. Es ist der 29. August 2021. Ahmadi arbeitet bei einer US-amerikanischen Hilfsorganisation in Kabul, die Lebensmittel im Land verteilt. Kurz vor Feierabend füllt er noch einige Kanister mit Wasser auf, bevor er sich dann in seinem weißen Toyota Corolla auf den Heimweg macht. Das US-Militär beobachtet ihn da schon seit fast sechs Stunden mit mehreren bewaffneten Drohnen.
Am Kabuler Flughafen herrscht derweil Chaos. Tausende wollen das Land wegen der Machtübernahme der Taliban verlassen. Wenige Tage zuvor hatte es einen Anschlag durch die Terrororganisation IS-K gegeben. 170 Menschen, darunter 13 US-Soldaten, waren gestorben.
Unschuldig im Visier des US-Militärs
Das US-Militär hat an diesem Tag einen Tipp bekommen, dass der nächste Anschlag mit einer "weißen Limousine" ausgeführt werden soll, also einem Modell wie dem, das Ahmadi fährt. Die gefüllten Kanister machen ihn zusätzlich verdächtig.
Um 16:50 Uhr kommt er vor dem Eingangstor seines Hauses an, das nicht weit vom Flughafen entfernt ist. Seine Kinder und die seines Bruders laufen in der Einfahrt auf sein Auto zu, um ihn zu grüßen. Sie begeistern sich für das Auto und setzen sich häufig noch zu ihm hinein, wenn er im Hof einparkt. So auch an diesem Tag.
Zu diesem Zeitpunkt ist das US-Militär bereits zu dem Schluss gekommen, dass Zemarai Ahmadi der gesuchte IS-K Terrorist sein muss. Die Amerikaner gehen offenbar davon aus, dass er nun mit seinem vermeintlich mit Sprengstoff beladenen weißen Toyota Corolla den nächsten Anschlag verüben wird.
"Alles voller Blut und Leichenteile"
Um kurz vor 17 Uhr drücken die US-Soldaten auf den Auslöser. Eine "Hellfire"-Rakete durchbricht nach gut einer Sekunde die Schallmauer. Dann verlangsamt sie sich, sodass der Überschallknall am Boden etwa drei Sekunden vor dem Einschlag zu hören ist. Sie trifft zielgenau den Hof. Der weiße Toyota Corolla geht in Flammen auf.
Ahmadis Schwager Nasratullah erzählt am Ort des Einschlags: "Wir sind dann hier in den Hof gerannt, das Tor war komplett weggesprengt. Das waren zwei-, dreijährige Kleinkinder. Die waren in Stücke zerfetzt. Die haben wir auf der Straße aufgesammelt. Hier im Hof war alles voller Blut und Leichenteile."
Sieben Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren tötet die Rakete. Dazu Zemarai Ahmadi und zwei seiner Brüder. Sie alle sind unschuldig.
Doch zunächst behauptet das US-Militär ausdrücklich, man habe erfolgreich einen IS-K Terroristen getötet. Erst drei Wochen später und nach zahlreichen Berichten über die tatsächlichen Opfer, bestätigt ein Pentagon-Sprecher, dass bei dem Angriff ausschließlich Zivilisten getötet wurden.
Systematischer Einsatz von Kampfdrohnen
Der Krieg in Afghanistan war der erste, in dem die USA systematisch auf den Einsatz von Kampfdrohnen setzten. Im weltweiten "Krieg gegen den Terror" weitete die US-Armee dann den Einsatz auf andere Länder aus und führte gezielte Tötungen etwa auch in Pakistan, Somalia oder im Jemen durch. Die US-Regierung pries den Einsatz von Drohnen als präzise Waffe, um gezielt Terroristen zu töten. In manchen Fällen gelang dies offensichtlich, wie zuletzt im Fall des Al-Kaida Anführer Ayman al-Sawahiri. Doch wie oft sterben Unschuldige bis es einmal wieder "den Richtigen" trifft?
Im Dezember 2021 veröffentlichte die "New York Times" nach mehrjähriger Recherche die "Civilian Casualty Files". Anhand von Dokumenten des Pentagons wurde belegt, dass die USA wissentlich tausende zivile Opfer in Kauf nahmen. Auch, nachdem intern Fehler ermittelt wurden, sei demnach fast nie jemand zur Verantwortung gezogen worden.
Bereits zuvor waren mehrfach interne Dokumente geleakt worden, die einen fragwürdigen Umgang mit den tatsächlichen Opfern der eigenen Angriffe zeigten: 2014 kam etwa eine militärinterne Untersuchung zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Getöteten bei Drohnenangriffen nicht die eigentlichen Zielpersonen waren, sondern sogenannte "Bystander". So nennt das US-Militär Menschen, die gerade danebenstanden, aber wegen ihrer Nähe zum Ziel nicht als Zivilisten gezählt wurden. Wenn es Jungen im Alter über 15 Jahren waren, zählte das US-Militär sie zudem häufig als feindliche Kämpfer, als "Military Age Males", also "Männer in wehrfähigem Alter".
Deutschland als unfreiwilliger Helfer
Hinzu kommt: Völkerrechtlich fehlt in vielen Fällen die Grundlage für solche Angriffe. Außerhalb eines erklärten Kriegs und ohne unmittelbar vorliegende Gefahr sind gezielte Tötungen illegal. Auch dann, wenn sie, wie im Fall al-Sawahiri, offenbar einen berüchtigten Terroristen treffen und - soweit bekannt - keine Zivilisten.
2013 wurde nach Panorama-Recherchen erstmals bekannt, dass der Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zentral für die US-Drohnenangriffe ist. Seither wird auch im Bundestag immer wieder über den politischen Umgang mit der deutschen Rolle im Drohnenkrieg debattiert.
Grüne rücken von öffentlicher Kritik an US-Drohneneinsätzen ab
Die Grünen standen dabei in der ersten Reihe der Kritiker. Noch 2019 forderten sie in einem Bundestags-Antrag mit dem Titel "Keine Nutzung der Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Tötungen" die damalige Bundesregierung und das Auswärtige Amt dazu auf, "unverzüglich den verfassungs- und völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen und amtliche Ermittlungen zum Tod von ZivilistInnen zu veranlassen." Ferner sollten sie gegenüber der US-Regierung klarstellen, "dass völkerrechtswidrige Tötungen über die Satelliten-Relaisstation auf der Ramstein Airbase den Fortbestand der Relaisstation in Frage stellen".
Damals hatte die Bundesregierung und das Auswärtige Amt auf wiederholte Anfragen der Grünen und Linken stets geantwortet, die USA hätten versichert, sich in Ramstein an "geltendes Recht" zu halten. Auf eine aktuelle Anfrageantwortet das nun grün geführte Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock jetzt wortgleich, dass es "in ständigem Austausch" mit den USA sei und die USA wiederholt versichert hätten, sich in Ramstein an das Völkerrecht zu halten.
Aktuelle Interview-Anfragen von Panorama an Außenministerin Annalena Baerbock sowie an Staatsminister Tobias Lindner und Staatsministerin Katja Keul, die sich in der Opposition besonders gegen "völkerrechtswidrige Tötungen" eingesetzt hatten, lehnte das Ministerium über mehrere Monate ab. Auch die beiden Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang sagten Interviews zu dem Thema ab.
Nur die neue Abgeordnete Merle Spellerberg, Mitglied im Verteidigungsausschuss, willigte in ein Interview zu dem Thema ein. Auf die Frage, ob die Grünen nun in der Regierung ihre eigenen Forderungen umsetzen könnten, erklärt sie: "Die Frage ist nicht, ob wir das könnten, sondern ob wir die Folgen, die damit einhergehen, in Kauf nehmen würden." Gemeint ist damit wohl, dass man als Regierungspartei diplomatischen Spannungen mit den USA lieber aus dem Weg gehen möchte.