Hinrichtung aus der Luft: Deutschland und der US-Drohnenkrieg

Stand: 11.08.2022 06:00 Uhr

Der weltweite US-Drohnenkrieg läuft auch über das deutsche Ramstein. Jahrelang hatten die Grünen dies als völkerrechtswidrig kritisiert. Was sagen sie jetzt dazu?

von Armin Ghassim und Jonas Schreijäg

Zemarai Ahmadi ahnt nichts, als er sich an diesem Morgen zu seiner Arbeit aufmacht. Es ist der 29. August 2021. Ahmadi arbeitet bei einer US-amerikanischen Hilfsorganisation in Kabul, die Lebensmittel im Land verteilt. Kurz vor Feierabend füllt er noch einige Kanister mit Wasser auf, bevor er sich dann in seinem weißen Toyota Corolla auf den Heimweg macht. Das US-Militär beobachtet ihn da schon seit fast sechs Stunden mit mehreren bewaffneten Drohnen.

VIDEO: Hinrichtung aus der Luft: Deutschland und der US-Drohnenkrieg (36 Min)

Am Kabuler Flughafen herrscht derweil Chaos. Tausende wollen das Land wegen der Machtübernahme der Taliban verlassen. Wenige Tage zuvor hatte es einen Anschlag durch die Terrororganisation IS-K gegeben. 170 Menschen, darunter 13 US-Soldaten, waren gestorben.

Unschuldig im Visier des US-Militärs

Das US-Militär hat an diesem Tag einen Tipp bekommen, dass der nächste Anschlag mit einer "weißen Limousine" ausgeführt werden soll, also einem Modell wie dem, das Ahmadi fährt. Die gefüllten Kanister machen ihn zusätzlich verdächtig.

Weißer Toyota Corolla © ARD
Das US-Militär geht fälschlicherweise davon aus, dass Zemarai Ahmadi mit seinem weißen Toyota Corolla einen Anschlag plant.

Um 16:50 Uhr kommt er vor dem Eingangstor seines Hauses an, das nicht weit vom Flughafen entfernt ist. Seine Kinder und die seines Bruders laufen in der Einfahrt auf sein Auto zu, um ihn zu grüßen. Sie begeistern sich für das Auto und setzen sich häufig noch zu ihm hinein, wenn er im Hof einparkt. So auch an diesem Tag.

Zu diesem Zeitpunkt ist das US-Militär bereits zu dem Schluss gekommen, dass Zemarai Ahmadi der gesuchte IS-K Terrorist sein muss. Die Amerikaner gehen offenbar davon aus, dass er nun mit seinem vermeintlich mit Sprengstoff beladenen weißen Toyota Corolla den nächsten Anschlag verüben wird.

"Alles voller Blut und Leichenteile"

Einschlag der "Hellfire"-Rakete © ARD
Durch die "Hellfire"-Rakete werden sieben Kinder, Zemarai Ahmadi und zwei seiner Brüder getötet.

Um kurz vor 17 Uhr drücken die US-Soldaten auf den Auslöser. Eine "Hellfire"-Rakete durchbricht nach gut einer Sekunde die Schallmauer. Dann verlangsamt sie sich, sodass der Überschallknall am Boden etwa drei Sekunden vor dem Einschlag zu hören ist. Sie trifft zielgenau den Hof. Der weiße Toyota Corolla geht in Flammen auf.

Ahmadis Schwager Nasratullah erzählt am Ort des Einschlags: "Wir sind dann hier in den Hof gerannt, das Tor war komplett weggesprengt. Das waren zwei-, dreijährige Kleinkinder. Die waren in Stücke zerfetzt. Die haben wir auf der Straße aufgesammelt. Hier im Hof war alles voller Blut und Leichenteile."

Ausgebranntes Auto und Mann im Hinterhof in Afghanistan © ARD
Ahmadis Schwager Nasratullah erzählt am Ort des Einschlags: "Das waren zwei-, dreijährige Kleinkinder. Die waren in Stücke zerfetzt."

Sieben Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren tötet die Rakete. Dazu Zemarai Ahmadi und zwei seiner Brüder. Sie alle sind unschuldig.

Doch zunächst behauptet das US-Militär ausdrücklich, man habe erfolgreich einen IS-K Terroristen getötet. Erst drei Wochen später und nach zahlreichen Berichten über die tatsächlichen Opfer, bestätigt ein Pentagon-Sprecher, dass bei dem Angriff ausschließlich Zivilisten getötet wurden.

Systematischer Einsatz von Kampfdrohnen

Der Krieg in Afghanistan war der erste, in dem die USA systematisch auf den Einsatz von Kampfdrohnen setzten. Im weltweiten "Krieg gegen den Terror" weitete die US-Armee dann den Einsatz auf andere Länder aus und führte gezielte Tötungen etwa auch in Pakistan, Somalia oder im Jemen durch. Die US-Regierung pries den Einsatz von Drohnen als präzise Waffe, um gezielt Terroristen zu töten. In manchen Fällen gelang dies offensichtlich, wie zuletzt im Fall des Al-Kaida Anführer Ayman al-Sawahiri. Doch wie oft sterben Unschuldige bis es einmal wieder "den Richtigen" trifft?

US-Kampfdrohne © ARD
Im weltweiten "Krieg gegen den Terror" setzt die US-Armee regelmäßig Kampfdrohnen ein. Immer wieder sterben dabei auch unschuldige Zivilisten.

Im Dezember 2021 veröffentlichte die "New York Times" nach mehrjähriger Recherche die "Civilian Casualty Files". Anhand von Dokumenten des Pentagons wurde belegt, dass die USA wissentlich tausende zivile Opfer in Kauf nahmen. Auch, nachdem intern Fehler ermittelt wurden, sei demnach fast nie jemand zur Verantwortung gezogen worden.

Bereits zuvor waren mehrfach interne Dokumente geleakt worden, die einen fragwürdigen Umgang mit den tatsächlichen Opfern der eigenen Angriffe zeigten: 2014 kam etwa eine militärinterne Untersuchung zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Getöteten bei Drohnenangriffen nicht die eigentlichen Zielpersonen waren, sondern sogenannte "Bystander". So nennt das US-Militär Menschen, die gerade danebenstanden, aber wegen ihrer Nähe zum Ziel nicht als Zivilisten gezählt wurden. Wenn es Jungen im Alter über 15 Jahren waren, zählte das US-Militär sie zudem häufig als feindliche Kämpfer, als "Military Age Males", also "Männer in wehrfähigem Alter".

Deutschland als unfreiwilliger Helfer

Hinzu kommt: Völkerrechtlich fehlt in vielen Fällen die Grundlage für solche Angriffe. Außerhalb eines erklärten Kriegs und ohne unmittelbar vorliegende Gefahr sind gezielte Tötungen illegal. Auch dann, wenn sie, wie im Fall al-Sawahiri, offenbar einen berüchtigten Terroristen treffen und - soweit bekannt - keine Zivilisten.

2013 wurde nach Panorama-Recherchen erstmals bekannt, dass der Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zentral für die US-Drohnenangriffe ist. Seither wird auch im Bundestag immer wieder über den politischen Umgang mit der deutschen Rolle im Drohnenkrieg debattiert.

 

Weitere Informationen
Ein Sicherheitsmitarbeiter vor dem Dagger-Komplex hält eine Fotokamera hoch. © NDR

Die Operationen der US-Dienste in Deutschland

Panorama Reporter zeigen anhand von konkreten Fällen, wie deutsche Dienste und US-Einrichtungen in der Bundesrepublik am "Krieg gegen den Terror" beteiligt sind. mehr

Grüne rücken von öffentlicher Kritik an US-Drohneneinsätzen ab

Die Grünen standen dabei in der ersten Reihe der Kritiker. Noch 2019 forderten sie in einem Bundestags-Antrag mit dem Titel "Keine Nutzung der Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Tötungen" die damalige Bundesregierung und das Auswärtige Amt dazu auf, "unverzüglich den verfassungs- und völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen und amtliche Ermittlungen zum Tod von ZivilistInnen zu veranlassen." Ferner sollten sie gegenüber der US-Regierung klarstellen, "dass völkerrechtswidrige Tötungen über die Satelliten-Relaisstation auf der Ramstein Airbase den Fortbestand der Relaisstation in Frage stellen".

Damals hatte die Bundesregierung und das Auswärtige Amt auf wiederholte Anfragen der Grünen und Linken stets geantwortet, die USA hätten versichert, sich in Ramstein an "geltendes Recht" zu halten. Auf eine aktuelle Anfrageantwortet das nun grün geführte Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock jetzt wortgleich, dass es "in ständigem Austausch" mit den USA sei und die USA wiederholt versichert hätten, sich in Ramstein an das Völkerrecht zu halten.

Merle Spellerberg © ARD
Merle Spellerberg, Grünen-Vertreterin im Verteidigungsausschuss, sagt: "Die Frage ist nicht, ob wir das könnten, sondern ob wir die Folgen, die damit einhergehen, in Kauf nehmen würden."

Aktuelle Interview-Anfragen von Panorama an Außenministerin Annalena Baerbock sowie an Staatsminister Tobias Lindner und Staatsministerin Katja Keul, die sich in der Opposition besonders gegen "völkerrechtswidrige Tötungen" eingesetzt hatten, lehnte das Ministerium über mehrere Monate ab. Auch die beiden Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang sagten Interviews zu dem Thema ab.

Nur die neue Abgeordnete Merle Spellerberg, Mitglied im Verteidigungsausschuss, willigte in ein Interview zu dem Thema ein. Auf die Frage, ob die Grünen nun in der Regierung ihre eigenen Forderungen umsetzen könnten, erklärt sie: "Die Frage ist nicht, ob wir das könnten, sondern ob wir die Folgen, die damit einhergehen, in Kauf nehmen würden." Gemeint ist damit wohl, dass man als Regierungspartei diplomatischen Spannungen mit den USA lieber aus dem Weg gehen möchte.

 

Weitere Informationen
Ramstein

USA führen Drohnenkrieg von Deutschland aus

Erstmals müssen US- und Bundesregierung zugeben: Die US Air Base in Ramstein ist von zentraler Bedeutung für den weltweiten Drohnen-Krieg der USA. Panorama hatte dies bereits 2013 aufgedeckt. mehr

Der ehemalige US-Drohnen-Piloten Brandon Bryant. © Screenshot

Brandon Bryant: "Ramstein ist absolut zentral"

Der ehemalige US-Drohnenpilot Brandon Bryant wird am Donnerstag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen. Im Interview erläutert er die zentrale Rolle Deutschlands für den Drohnenkrieg. mehr

Die US-Kampfdrohen "Predator" am Himmel © dpa / picture-alliance

Bundesregierung muss nicht gegen U.S.-Drohnenangriffe vorgehen

Die US-Militärbasis Ramstein gilt als Schaltzentrale bei internationalen Drohnenangriffen. Unklar war bisher, ob die Bundesregierung etwas dagegen unternehmen muss. Das Bundesverwaltungsgericht entschied nun: Nein, muss sie nicht. mehr

Der ehemalige US-Drohnen-Piloten Brandon Bryant. © Screenshot

Ex-Drohnenpilot Bryant: Mutter angeblich vom IS bedroht

Die Mutter des ehemaligen US-Drohnenpiloten Brandon Bryant soll angeblich vom IS bedroht werden. Eine solche Warnung überbrachten US-Behörden. Doch vieles spricht für einen Einschüchterungsversuch. mehr

Die US-Kampfdrohen "Predator" am Himmel über Afghanistan © dpa / picture-alliance Foto: Kirsty Wigglesworth

Bundeswehr in US-Drohnenangriffe verwickelt?

Laut "New York Times" soll die Bundeswehr auch nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan in US-Drohnenangriffe gegen Terrorverdächtige verwickelt gewesen sein. Das Bundesverteidigungsministerium wies den Bericht zurück. mehr

Ramstein

US-Drohnenkrieg läuft über Deutschland

In die gezielten Tötungen von Terrorverdächtigen sind US-Standorte in Deutschland maßgeblich eingebunden. Das haben Recherchen von Panorama und der "Süddeutschen Zeitung" ergeben. mehr

Die US-Kampfdrohen "Predator" am Himmel über Afghanistan © dpa / picture-alliance Foto: Kirsty Wigglesworth

Gericht weist Klage wegen US-Drohnenangriffen ab

Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, den USA die Nutzung des US-Stützpunktes Ramstein für den Einsatz von Kampfdrohnen zu verbieten. Das hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden. mehr

Der Bundesadler im Deutschen Bundestag © picture-alliance/dpa Foto:  Peer Grimm

Ramstein: Bundesregierung nimmt Bericht "ernst"

Die Bundesregierung will Antworten zur Rolle der Luftwaffenbasis Ramstein von der US-Regierung. Panorama hatte gestern im Verbund mit NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" darüber berichtet, dass die Basis eine zentrale Rolle im Drohnenkrieg spielt. mehr

Bundesnachrichtendienst-Präsident Gerhard Schindler. © dpa bildfunk/BMI Foto: BMI/Hans-Joachim M. Rickel

"Es muss krachen"

BND-Chef Schindler befürwortet die Weitergabe von GSM-Mobilfunkdaten an die US-amerikanischen Geheimdienste. Er ist von der Art überzeugt, wie die USA den Terrorismus bekämpfen. Stefan Buchen kommentiert. mehr

Die US-Kampfdrohen "Predator" am Himmel über Afghanistan © dpa / picture-alliance Foto: Kirsty Wigglesworth

Deutschland: Schaltzentrale im Drohnenkrieg

Ohne die US-Basis im Ramstein in Rheinland-Pfalz wäre der weltweie Drohnenkrieg des US-Militärs nicht möglich. Der Stützpunkt spielt eine weit bedeutendere Rolle als bislang bekannt. mehr

Ramstein

Deutschland liefert Kampfdrohnen-Teile an USA

Deutsche Firmen haben wichtige Teile für Kampfdrohnen der US-Armee geliefert. Das geht aus einer Antwort auf eine Abgeordnetenanfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. mehr

Ramstein

Kampfdrohneneinsatz: Obama gegen Panorama

Deutschland sei kein "Startpunkt" für amerikanische Drohnenangriffe - so Präsident Obama in Berlin. Doch ob amerikanische Einheiten in Deutschland an ferngesteuerten Angriffen in Afrika beteiligt sind, kommentiert die US-Botschaft nicht. mehr

Barack Obama © dpa bildfunk Foto: Hannibal Hanschke

Obama: Deutschland nicht Startpunkt der Drohnen-Einsätze

Während seines Berlin-Besuches hat US-Präsident Barack Obama dementiert, dass Drohnen-Einsätze gegen Terroristen von Deutschland aus gestartet werden. Das hatte Panorama allerdings auch nie berichtet. mehr

Kampfdrohne

Aufrüstung ohne Debatte: Kampfdrohnen für die Bundeswehr

Einsatz ohne Risiko mit Kampfdrohnen. Auch die Bundeswehr erwägt die Anschaffung der vermeintlich präzisen Waffen, mit denen Menschen auf Verdacht getötet werden können. mehr

Kapitän zur See Christian Dienst, stellv. Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung, in der Bundespressekonferenz am 27.07.2011 (Screenshot). © NDR

Kampfdrohnen Thema in der Bundespressekonferenz

Nach dem Panorama-Beitrag über Kampfdrohnen bei der Bundeswehr verspricht das Verteidigungsministerium jetzt eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit. mehr

 

Weitere Informationen

Hinrichtung-aus-der-Luft-Deutschland-und-der-US-Drohnenkrieg

Der Panorama-Beitrag vom 11. August 2022 als PDF-Dokument zum Download. Download (135 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.08.2022 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Grüne

Terrorismus

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr