"Es muss krachen"
Ein Kommentar von Stefan Buchen
An einem Wintertag Anfang 1996 wurde in Gaza "der Ingenieur" getötet. Mit bürgerlichem Namen hieß er Yahya ´Ayyash. Israel hatte den Palästinenser ganz oben auf die Todesliste gesetzt, weil er eine Reihe tödlicher Anschläge auf Soldaten und Zivilisten geplant haben soll. Sein Mobiltelefon explodierte an seinem Ohr in dem Augenblick, als er angerufen wurde. Ein Spitzel hatte das Handy mit Sprengstoff präpariert, der von dem Funksignal des eingehenden Anrufs gezündet wurde. Das war die Steinzeit der Bekämpfung des Terrorismus.
Heute nutzen Geheimdienste die Mobiltelefone der Feinde weniger als Hülle für ferngezündeten Sprengstoff, sondern vielmehr als Mittel für die Lokalisierung von Verdächtigen. Fangen die Geheimdienste die Signale eines Handys ab, wissen sie, in welcher Funkzelle es sich befindet. Geschieht dies über einen längeren Zeitraum, kann allein anhand der Mobilfunkdaten das Bewegungsprofil des mutmaßlichen Handybesitzers erstellt werden. Bundeswehrgeneräle, die seit kurzem im Ruhestand sind, schildern gegenüber Panorama, dass diese Daten zusammen mit anderen in die militärische Zielerfassung einfließen.
Der Chef des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler nutzt diese Methode, um den Vereinigten Staaten seine Bündnistreue zu zeigen. Nach Recherchen von Panorama und der Süddeutschen Zeitung tritt Schindler für die großzügige Weitergabe von GSM-Mobilfunkdaten, die der BND von Verdächtigen erhoben hat, an die USA ein. Schindler, so der Eindruck, will Amerika so effektiv wie möglich bei ihrem seit dem 11. September 2001 andauernden Krieg gegen den Terrorismus unterstützen.
Übertriebene Bündnistreue?
Dabei übertreibt es Schindler nach Ansicht einiger seiner Mitarbeiter. Gegen die Weitergabe von GSM-Mobilfunkdaten gab es in der ersten Jahreshälfte 2013 internen Widerspruch. Die Bedenken der BND-Mitarbeiter rühren daher, dass die Daten für die Bestimmung des Aufenthaltsortes eines Verdächtigen benutzt werden können. Schließlich weiß jedes Kind, dass die USA, wenn sie von einem Feind wissen, der irgendwo in Afghanistan, Waziristan, Jemen oder Somalia unterwegs ist, nicht lange fackeln. Mehr als 3.000 Menschen sind bislang bei Drohnenangriffen der US-Streitkräfte getötet worden, und niemand weiß, ob sie alle gefährliche Terroristen waren.
Schindler, dem nachgesagt wird, er führe gern den Leitsatz "es muss krachen" auf den Lippen, braucht den internen Widerspruch nicht mehr zu fürchten. Ein kritischer Referatsleiter soll seinen Posten verlieren. Der BND dementiert das zwar und erklärt den Vorgang mit der üblichen "Personalrotation". Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages (PKG) jedoch hat Schindler am Montag die BND-interne Kontroverse um die Weitergabe der Mobilfunkdaten bestätigt, wie aus Parlamentskreisen zu erfahren war. Mitglieder des PKG haben eine Anhörung des Referatsleiters beantragt. Ob es dazu kommen wird, ist unklar. Der BND kann sich wohl darauf verlassen, dass die Abgeordneten-Mehrheit im PKG versuchen wird, dies zu verhindern. Gegenüber Panorama hatte der Sprecher des Bundesnachrichtendienstes den internen Streit um den Umgang mit den GSM-Daten am Freitag so umschrieben: "Diesbezügliche Unklarheiten wurden ausgeräumt."
In seiner Stellungnahme gegenüber Panorama beruft sich der BND auf eine Dienstvorschrift über die Weitergabe von Daten, die sich unter der seit Anfang 2012 währenden Präsidentschaft Schindler nicht geändert habe: "Eine Übermittlung unterbleibt, wenn für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Information und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der/des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen." Warum sollte man einen solchen Wortlaut auch ändern? Die Vorschrift bietet schönen Interpretationsspielraum. Es reicht, die "schutzwürdigen Interessen" der Betroffenen und das "Allgemeininteresse" anders zu gewichten. Und dann ist es noch notwendig, GSM-Daten als eine "Art der Information" zu betrachten, die sich nicht zu einer "präzisen" Ortung einer Zielperson eignet, wie es Schindler tut. Dass diese Daten für die militärische Zielerfassung wertvoll sein können, zumal in Verknüpfung mit Fotos von Satelliten und Aufklärungsdrohnen, muss hingenommen werden.
Ende der Zurückhaltung
Nach außen vermittelt die Regierung jetzt den Eindruck, Panorama berichte Falsches, unter Schindler habe sich nichts geändert. Diese Betonung der Kontinuität ist eigentlich bitter für Schindler, der ja den BND von "angstvoller Zurückhaltung" (Frankfurter Allgemeine) befreien wollte. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der angebliche Führungsstil von Ernst Uhrlau, Schindlers Vorgänger im Amt. Unter Uhrlaus Präsidentschaft war auch einiges schief gelaufen, etwa der fragwürdige Einsatz zweier BND-Agenten in Bagdad und die peinliche Affäre um den irakischen Informanten Curveball, der dem BND (und der Welt) die Lügengeschichte von Saddams tödlichen Biowaffen auftischte. Aber unter Uhrlau hat es weniger "gekracht".
Schindler wird die Sache mit den Mobilfunkdaten überstehen. Aber man schaut jetzt wohl ein bisschen genauer auf diesen Mann in Schlüsselposition. Bezweifeln darf man allerdings, ob das auch Ronald Pofalla, Chef des Kanzleramts und zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste, tun wird. Der hat offenbar wenig Interesse an Außenpolitik und der Arbeit der Geheimdienste. Seine dafür zuständige Abteilung 6 friste ein Schattendasein im Kanzleramt, berichten Leute, die dort ein- und ausgehen. Pofalla ist zwar "zuständig", aber er wird nicht derjenige sein, der die Frage aufwirft, ob wir an der Spitze des Auslandsgeheimdienstes einen Mann brauchen, der sich zwölf Jahre nach 09/11 an der US-amerikanischen Doktrin orientiert, zu der es passt, dass es öfter mal kracht.