Kaiserschnitt: Nachteile für das Immunsystem beim Kind
Eine gesunde Darmflora ist wichtig für ein starkes Immunsystem. Bestimmte Bakteriengruppen für sein Mikrobiom erhält ein Kind nur bei einer natürlichen Geburt. Nach einem Kaiserschnitt fehlen diese Bakterien.
Bei einer natürlichen Geburt kommt das Baby auf seinem Weg durch den Geburtskanal intensiv mit besonderen mütterlichen Milchsäure-Bakterien in Kontakt. Die nimmt es über Mund und Nase auf: eine bakterielle Grundausstattung für den Aufbau des eigenen Darmmikrobioms.
Die besonderen Bakterien aus dem Geburtskanal fehlen dem Kind nach einem Kaiserschnitt, weil es dabei direkt aus der keimfreien Gebärmutter gehoben wird. In einer britischen Studie analysierten Forscher die Stuhlproben von fast 600 Neugeborenen, von denen eine Hälfte auf natürlichem Weg zur Welt gekommen war, die andere per Kaiserschnitt. Das Ergebnis: Im Mikrobiom der per Kaiserschnitt geborenen Babys fanden sich weniger der wichtigen mütterlichen Bacteroides-Stämme.
Das Mikrobiom des Kindes wird bei einem Kaiserschnitt zusätzlich beeinträchtigt: Die Mutter erhält prophylaktisch ein Antibiotikum, um einer Entzündung der Operationswunde vorzubeugen. Das Antibiotikum erreicht über die Nabelschnur auch das Kind und beeinflusst den Aufbau der Darmflora in den ersten Lebenstagen negativ.
Kaiserschnitt: Risiko für Asthma, Allergien und Übergewicht beim Kind
Viele Beobachtungsstudien mit großen Datensätzen haben gezeigt, dass per Kaiserschnitt geborene Kinder ein statistisch höheres Risiko für bestimmte Krankheiten haben. Sie leiden im Laufe ihres Lebens eher an Atemwegserkrankungen wie Asthma, entwickeln häufiger Allergien und haben ein höheres Risiko für Übergewicht. Bei der wissenschaftlichen Suche nach Gründen dafür, warum Kinder nach einem Kaiserschnitt krankheitsanfälliger sind, ist in den vergangenen Jahren das Mikrobiom in den Fokus gerückt.
Mikrobiom von zentraler Bedeutung für die Gesundheit
Die Bakterien im Darm spielen eine wichtige Rolle für die Ausbildung eines gesunden Immunsystems. Forschung an Mäusen zeigt: Tiere, die ohne Darmflora aufwachsen, also keimfrei sind, besitzen später nur ein stark unterentwickeltes Immunsystem. Es gibt außerdem wissenschafliche Hinweise darauf, dass eine ungünstige Bakterienzusammensetzung im Darm an der Entstehung bestimmter Krankheiten beteiligt ist. Dazu gehören chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes und neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose.
Die Mutter überträgt weitere Bakteriengruppen nach der Geburt auf ihr Kind
Um herauszufinden, wie sich das Mikrobiom nach der Geburt weiterentwickelt, haben Forschende um Prof. Debby Bogaert von der Universität Edinburgh das Mikrobiom von 120 Babys in ihrem ersten Lebensmonat intensiv untersucht. Die eine Hälfte der Babys war per Kaiserschnitt, die andere Hälfte natürlich geboren.
Das Ergebnis dieser methodisch gut angelegten Studie: Den per Kaiserschnitt geborenen Babys fehlten auch noch nach einem Monat die spezifischen Bakterien aus dem Geburtskanal der Mutter. Die Mütter konnten jedoch nach der Geburt über andere Wege weitere wichtige Bakterienstämme an ihre Kinder übertragen. Die Lücken im Mikrobiom wurden also durch andere Bakterien aufgefüllt: Besonders wichtige Bakteriengruppen übertragen Mütter über den Hautkontakt auf ihre Kinder. Andere gaben sie über die Muttermilch weiter.
Mikrobiom nach Kaiserschnitt: Defizite verantwortlich für schlechtere Immunantwort
Doch auch wenn die Mutter durch Stillen und intensiven Hautkontakt ihrem Kind weitere hilfreiche Anteile ihres Mikrobioms überträgt: Die verbleibenden Defizite nach einem Kaiserschnitt scheinen die Gesundheit der Kinder zu beeinflussen. Die Forscherinnen um Debby Bogaert untersuchten bei den 120 Babys einige Monate später deren Immunantwort auf ihre ersten Impfungen. Die Ergebnisse dieser Studie: Das Immunsystem der Kaiserschnitt-Kinder bildete nach den Impfungen weniger Antikörper. Die schlechtere Immunantwort korrelierte mit den fehlenden Bakterienstämmen in ihrem Mikrobiom. Die Ergebnisse der Studie, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, könnten auch die später erhöhte Krankheitsanfälligkeit von Kaiserschnittkindern erklären.
Immunsystem nach Kaiserschnitt stärken: Studienergebnisse stehen aus
Es werden bereits verschiedene Verfahren erprobt, wie sich die Defizite im kindlichen Mikrobiom nach einem Kaiserschnitt ausgleichen lassen. Ihr Nutzen ist allerdings wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt
Beim Vaginal Seeding werden Bakterien aus der Scheide der Mutter mit einem Tuch abgestrichen und direkt nach dem Kaiserschnitt auf Mund und Nase des Babys verteilt. Bisher veröffentlichte kleinere Studien machen Hoffnung, wissenschaftlich aussagekräftige Studien stehen jedoch noch aus. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob die übertragenen Bakterienmenge beim Vaginal Seeding ausreicht.
Außerdem wird wissenschaftlich diskutiert, ob durch eine Stuhltransplantation fehlende Bakteriengruppen von der Mutter auf das Kind übertragen werden können. Dafür wird eine Stuhlprobe der Mutter im Labor aufbereitet und den Babys mit der Muttermilch zugeführt. Positive Ergebnisse lieferte eine kleinere und methodisch eher schwächere Studie. Weitere Forschung hierzu steht aus.
Unnötige Kaiserschnitte vermeiden: Quote in Deutschland zu hoch
Ein Kaiserschnitt ist eine medizinisch hilfreiche Maßnahme und sichert bei Komplikationen die Überlebenschancen für Mutter und Kind. Doch in Deutschland wird mittlerweile jedes dritte Kind per Kaiserschnitt geboren, die Quote liegt also bei 30 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das viel, in skandinavischen Ländern beispielsweise liegt die Kaiserschnittquote nur bei 15 Prozent.
Die hohe Kaiserschnittquote in Deutschland wird von den gynäkologischen Fachgesellschaften kritisiert: Die aktuelle Leitlinie zeigt, dass nur zehn Prozent aller Kaiserschnitte in Deutschland aufgrund zwingender medizinischer Gründe vorgenommen werden. Bei einem Kaiserschnitt ohne zwingende medizinische Gründe sollten neben einem erhöhten Risiko für spätere Krankheiten beim Kind auch die Risiken für die Mutter durch die Bauch-OP bedacht werden.
Über das Mikrobiom hinaus: Positive Prozesse bei natürlicher Geburt
Nicht nur der Kontakt mit dem mütterlichen Mikrobiom im Geburtskanal ist von Bedeutung für die Gesundheit des Kindes. Eine ganze Reihe an Prozessen sorgt für einen guten Start des Kindes ins Leben: So werden durch den Stress einer natürlichen Geburt beim Kind die Pumpen in den Lungenbläschen aktiviert und das Fruchtwasser aus der Lunge gepresst. Durch den Geburtsvorgang wird in der Leber Stärke freigesetzt, wodurch das Neugeborene nach Durchtrennung der Nabelschnur auf eigene Energiereserven zurückgreifen kann.
Auch das sogenannte braune Fett wird nur unter einer natürlichen Geburt beim Kind aktiviert: Kleine Fettdepots unter den Schulterblättern und im Hals- und Brustbereich funktionieren dann wie eine chemische Heizung und ermöglichen es dem Neugeborenen, seine Körpertemperatur aufrechtzuerhalten.
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