Operationsbesteck liegt in einem OP-Saal bereit. Im Hintergrund operiert eine Person in OP-Kleidung.

Behandlungsfehler: Wie lassen sie sich vermeiden?

Stand: 18.10.2021 11:20 Uhr

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 2.826 Behandlungsfehler festgestellt, die zu gesundheitlichen Schäden führten. In der Unfallchirurgie und bei orthopädischen Operationen gab es die meisten Fehler.

Gutachter des Medizinischen Dienstes (MD) Nord haben in Schleswig-Holstein und Hamburg im vergangenen Jahr 240 Behandlungsfehler bestätigt. Rund ein Drittel davon waren grobe Fehler. Zum Beispiel wurde einer Patientin bei einer ambulanten Operation ein Katheter gelegt. Dabei wurde mit der Kanüle die Arterie statt der benachbarten Vene punktiert. Das löste bei ihr einen Schlaganfall aus. Grob fehlerhaft sei, dass den Behandlern erst durch den Schlaganfall die falsche Lage des Katheters auffiel.

Die meisten bestätigten Behandlungsfehler passierten laut MD in der Unfallchirurgie und bei orthopädischen Operationen. Es folgen die Fachbereiche Pflege und Innere Medizin. 2019 waren in Hamburg und Schleswig-Holstein insgesamt 199 Behandlungsfehler bestätigt worden, im Jahr zuvor 235. In Niedersachsen haben Gutachter 295 Behandlungsfehler festgestellt, durch die Patientinnen und Patienten gesundheitlich geschädigt wurden. Die Quote ging hier leicht zurück.

Was ist ein Behandlungsfehler?

Wenn eine medizinische Behandlung nicht nach den zum Zeitpunkt der Begutachtung geltenden Richtlinien der Medizin erfolgt ist und zu einem gesundheitlichen Schaden geführt hat, handelt es sich laut MD Nord um einen Behandlungsfehler. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn:

  • eine medizinisch notwendige Maßnahme nicht oder erst zu spät ergriffen wird.
  • eine Diagnose trotz klarer Anzeichen nicht gestellt wird.
  • Betroffene unzureichend über die Behandlung, deren Risiken und Alternativen aufgeklärt werden.

Hohe Dunkelziffer

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 2.826 Behandlungsfehler festgestellt, die zu gesundheitlichen Schäden von Patientinnen und Patienten führten. Zwei Drittel bezogen sich laut Medizinischem Dienst der Krankenkassen (MDK) auf die Behandlung in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern - und ein Drittel auf Arztpraxen. Die meisten Behandlungsfehler gibt es mit 22,1 Prozent in der Unfallchirurgie und bei orthopädischen Operationen, 18,3 Prozent in der Pflege und 13,7 Prozent in der inneren Medizin. Doch die Dunkelziffer ist um ein Drei- bis Vierfaches höher als die gemeldeten Fälle. Gerade in ländlichen Regionen scheuen sich Betroffene oft, Vorwürfe öffentlich vorzutragen, weil ihnen bei der Wahl des Arztes oder der Klinik eine Alternative fehlt.

Checklisten und Fehlerkultur gefordert

Es sei bedenklich, dass Ärzte aus nicht nachvollziehbaren Gründen Fehler machen - umso wichtiger sei es, dass Checklisten geführt werden, fordert der Medizinische Dienst. Wichtig sei es auch, dass es in den Kliniken eine Fehlerkultur gibt. Das bedeutet, dass Fehler, die auch bei größter Sorgfalt passieren können, benannt werden und so aus ihnen gelernt werden kann.

Es gibt schon seit Jahren Möglichkeiten, Behandlungsfehler zu vermeiden oder auf ein Minimum zu reduzieren. Eine strukturierte Übergabe der Patientinnen und Patienten nach dem SBAR- Konzept hat in wissenschaftlichen Untersuchungen zu einer Reduzierung von Fehlern geführt, unerwartete Todesfälle reduziert und die Sicherheit erhöht. Aber es gibt immer noch zu viele Krankenhäuser, bei denen Konzepte für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten nicht optimal laufen und die nicht nach den modernen Kriterien durchorganisiert sind, wie Expertinnen und Experten mahnen.

Kontrollsysteme können Fehler vermeiden: SBAR-Konzept, Speak-up-Konzept

Besonders in der Notaufnahme kann es hektisch zugehen, wenn das Leben eines Betroffenen auf dem Spiel steht. Dabei können Behandlungsfehler passieren. Um diese zu vermeiden, können dort sowie auch in anderen Bereichen spezielle Kontrollsysteme angewendet werden:

1. Das SBAR-Konzept für eine strukturierte Patientenübergabe wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) entwickelt. Es kann dafür sorgen, dass weniger Zwischenfälle passieren. Es beinhaltet vier Kernpunkte zu einem Patienten oder einer Patientin - die vier Bausteine lassen sich meist in eineinhalb bis zwei Minuten abhandeln:

  • S = Situation: Der Sprecher identifiziert die Patientin oder den Patienten und beschreibt den momentanen Zustand oder den Anlass des Gespräches mit knappen Daten, beispielsweise zu Bewusstseinszustand, Operationsfähigkeit, Vitalzeichen.

  • B = Background/Hintergrund: Er gibt Informationen zum Grund des aktuellen Aufenthaltes, zu wesentlichen Vorerkrankungen und wichtigen Stationen im Verlauf.

  • A = Assessment/Einschätzung: Der Sprecher würdigt die Gesamtsituation, benennt sich verändernde oder bedeutsame Parameter und äußert eine Einschätzung oder gegebenenfalls eine Verdachtsdiagnose.

  • R = Recommendation/Empfehlung: Er trägt vor, was er vom Empfänger der Nachricht erwartet oder beschreibt dessen Aufgabe im weiteren Verlauf.

Auch im OP-Saal greift das Konzept:

  • Der Patient oder die Patientin muss vorher über die Operation und die Risiken aufgeklärt werden.

  • Der Ort des Eingriffs muss am Körper vorher mit wasserfestem Filzstift markiert werden.

  • Bei der Übernahme vor der Operation werden Patient oder Patientin und geplanter Eingriff nochmals überprüft: Bevor die Operateure beginnen, hält das OP-Team kurz inne (Team Time Out) und geht eine Checkliste durch. Darin stehen Angaben über den Patienten, den Eingriff und gegebenenfalls die Art des Implantats.

  • Nach der Operation werden alle OP-Instrumente und Materialien im Vier-Augen-Prinzip gezählt.

2. Ergänzend zum SBAR-Konzept haben sich Mediziner Anregungen aus der Luftfahrt geholt, wo vor jedem Start Checklisten durchgegangen sowie Pannen und Beinahe-Unfälle sofort erfasst und ausgewertet werden. So geschieht es auch beim Speak-up-Konzept: Jede und jeder, die oder der an Patienten arbeitet, muss andere darauf aufmerksam machen, wenn etwas falsch läuft - egal ob Assistenzarzt, OP-Personal, Rettungssanitäter usw.

3. Fehlerdokumentation: Fehler und auch beinahe passierte Fehler werden in einem speziellen System dokumentiert und in großer Runde diskutiert - immer mit dem Ziel, diese zukünftig zu vermeiden.

Hinterfragen und Erklärungen einfordern

Auch Patientinnen und Patienten können dabei helfen, Behandlungsfehler zu vermeiden. Sie sollten immer hinterfragen, warum eine OP oder eine spezielle Behandlung notwendig ist und auch einen Blick in ihre Patientenakten werfen. Wenn einem etwas komisch vorkommt, sollten sie immer das medizinische Personal ansprechen, um eine Erklärung bitten und so lange nachfragen, bis alles nachvollziehbar ist und erklärt wurde.

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Visite | 19.10.2021 | 20:15 Uhr

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