Beckenverwringung als Schmerzursache oft verkannt
Der Hüftbeuger ist ein mächtiger Muskel. Ist er verspannt, verdreht sich das Becken. Das führt zu heftigen Schmerzen, die in verschiedene Körperregionen ausstrahlen können.
Die Beckenverwringung ist ebenso verbreitet wie verkannt. Nur wenigen ist der Name ein Begriff, sehr viele Menschen aber leiden unter den daraus resultierenden Schmerzen. Bei dieser Erkrankung ist das Becken durch Verspannungen des mächtigen Lenden-Darmbeinmuskels (Musculus iliopsoas) in sich verdreht. Das kann schmerzhafte Auswirkungen auf Beine, Rücken und Schulter haben, sogar zu Kopf- und Nackenschmerzen oder indirekt zu Schwindel führen. Die Erkrankung tritt in allen Altersgruppen auf. Gerade bei Kindern mit Rücken-, Nacken- oder Kopfschmerzen ist eine Beckenverwringung häufig mitursächlich.
Ursache ist eine Verspannung des Hüftbeugers
Der Iliopsoas vereint zwei kräftige Skelettmuskeln des Menschen: Der große Lendenmuskel (Psoas) entspringt am zwölften Brustwirbel und an der Lendenwirbelsäule. Er wird zusammen mit dem Darmbeinmuskel (Iliacus), der an der Beckenschaufel entspringt, umhüllt von einer Muskelbinde (Faszie) und gelangt so gebündelt als Lenden-Darmbeinmuskel zum Hügel des Oberschenkelknochens, wo er ansetzt.
Als Hüftbeuger ist der Iliopsoas mitverantwortlich für die Beweglichkeit der Beine und unsere Stabilität beim Stehen und Gehen. Manche bezeichnen diesen wichtigen Muskel auch als Seelenmuskel, denn durch die Ausschüttung von Stresshormonen steigt nicht selten gerade hier in der Körpermitte der Muskeltonus. Es entstehen sogenannte myofasziale Verspannungen. Als häufiges Muster bildet sich eine Verspannung des Iliopsoas links und von Rückenmuskeln und Adduktoren rechts aus. Die Folge ist eine Verdrehung des Beckens, durch die ein Bein muskulär höher gezogen wird - so kommt es zu einer sogenannten funktionellen Beinlängendifferenz. Diese wiederum ist Ausgangspunkt weiterer Fehlhaltungen, Verspannungen und multipler Schmerzen - ein Teufelskreis.
Neben psychischem Stress gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die eine Beckenverwringung verursachen oder verstärken können, insbesondere:
- Überlastung der Rückenstrecker-Muskeln, etwa durch langes Stehen, durch Verheben oder Verkühlen,
- Muskelverkürzung des M. iliopsoas durch langes Sitzen
- Irritationen oder Traumen (Verletzungen) von Gelenken, die myofaszial mit der Lendengegend verbunden sind - etwa der Atlas (erster Halswirbel) oder die Sprunggelenke.
Unterschiedlichste Symptome möglich
Die Verwringung der Becken-Lendengegend und die funktionelle Beinlängendifferenz können sich auf die Spannung der gesamten Wirbelsäule und alle von dort aus über Nervenbahnen angebundenen Organe und Regionen auswirken. Auftreten können:
- Rückenschmerzen
- Schmerz in Hüfte oder Leiste
- Beinschmerzen
- Kopf- und Nackenschmerzen
- Schulter- und Armschmerzen
- Schwindel, Sehstörungen
- Tinnitus
- Skoliose
Erwachsene leiden meist unter Schmerzen in Rücken, Nacken oder Leiste. Morgens oder nach längerem Sitzen können Anlaufschmerzen auftreten, die sich durch Bewegung und Wärme verlieren. Langes Sitzen, häufiges Nach-vorn-Neigen oder Bücken und schweres Heben verschlimmern die Symptome. Das Schmerzgeschehen entwickelt sich gekoppelt an die physische und psychische Belastung.
Auch bei Ober- oder Unterbauchbeschwerden oder Beklemmungsgefühl im Brustkorb kann eine Beckenverwringung mitursächlich sein.
Diagnose der Beckenverwringung erfordert Zeit
Am Anfang steht eine gründliche Anamnese - nicht nur zur Schmerzgeschichte, sondern auch zur allgemeinen Lebenssituation, Tätigkeiten in Beruf und Hobby, außerdem zu eventuell schon länger zurückliegenden Stürzen, Verletzungen oder Operationen.
Dann ist eine ausführliche körperliche Untersuchung und Funktionsprüfung nötig - ein Grund, warum die Beckenverwringung häufig unentdeckt bleibt, denn so eine Untersuchung kostet Zeit. Die genaue Betrachtung von drei Beckenpunktpaaren erlaubt dem Arzt Aussagen über Beckenstatik und Beinlängen. Bei hüftbreitem Stand des Patienten werden Beckenhöhen und Symmetrie begutachtet. Bei Dysbalancen wie einer Beckenverwringung sind die Taillendreiecke ungleich, oft findet sich eine rechtsseitige Verdrehung der Wirbelsäule mit Beckentiefstand rechts. Beim Funktionstest prüft der Arzt dann, wie sich die Punktpaare beim Vorbeugen verhalten. In Rückenlage kann ein weiterer Beinlängenvergleich erfolgen, auch mit Aufrichtung aus der Rückenlage in den Sitz bei gestreckten Beinen (Derbolowsky-Test). Außerdem drückt der Arzt bestimmte Triggerpunkte, um die muskulären Spannungen zu überprüfen.
Weitere Funktions- und Reflextests können je nach Schmerzlokalisation angezeigt sein, um andere Fehlfunktionen, Wirbelblockaden oder Nervenläsionen auszuschließen. Bildgebende Verfahren wie Röntgen oder CT sind für die Diagnosestellung dagegen meist unnötig - im Gegenteil können sie zu einer Fehleinschätzung der Schmerzursache verleiten.
Multimodaler, ganzheitlicher Therapieansatz erforderlich
Die Behandlung der Beckenverwringung muss ganzheitlich erfolgen. Um die Verspannungen und Fehlfunktionen nachhaltig zu beseitigen, sollte zunächst ihre eigentliche Ursache eingegrenzt und - wenn möglich - behoben werden. Denn andauernde körperliche Über- oder Fehlbelastung kann bewirken, dass sich die Beckenverwringung nicht vollständig löst oder immer wieder zurückkehrt und zu chronischen Schmerzen führt. Ebenso kann eine fortgesetzte seelische Belastung zu einer dauerhaften Regulationsstörung im vegetativen Nervensystem führen, die ständig wiederkehrende Verspannungen bedingt.
Tägliche Bewegung und Dehnübungen
Zum Lockern der verspannten Muskeln rund um das Becken bewähren sich tägliche Dehn- und Entspannungsübungen zu Hause, kombiniert mit mehrmals wöchentlichen Bewegungsübungen und Manueller Therapie. Bei dieser Therapieform dehnt der Therapeut den Muskel quer zu seiner Verlaufsrichtung, um ihn quasi zu verlängern - wie bei einem eingelaufenen Pullover.
Vielen Betroffenen tut darüber hinaus Wärme gut oder eine Eigenbehandlung der Triggerpunkte mit einem Massageball.
Nach den Übungen und der manuellen Behandlung sollte man genügend trinken und möglichst eine kurze Entspannungsphase folgen lassen.