Air Defender 2023: Was die Luftwaffen-Übung für den Norden bedeutet
Stand: 15.06.2023 20:13 Uhr
Es soll nach Angaben der Bundeswehr die größte Luftoperationsübung seit Bestehen der NATO sein: Bis zum 23. Juni 2023 trainieren Tausende Soldaten unter Führung der Luftwaffe in und über Deutschland. Doch was bedeutet das für die Menschen in den betroffenen Regionen?
Laut Bundeswehr nehmen insgesamt 10.000 Menschen aus 25 Nationen mit etwa 250 Flugzeugen an der Übung teil - unter anderem Kampf-, Transport- und Betankungsflugzeuge. Sie sollen die Zusammenarbeit zwischen den Nationen und deren Streitkräften trainieren, verbessern und ausbauen. Insgesamt sind 20 verschiedene Flugzeugtypen angekündigt, zum Beispiel Eurofighter, F-35-Jets und A-10-Jagdbomber.
AUDIO: "Air Defender"-Manöver beginnt (8 Min)
Allein etwa 100 Flugzeuge wurden aus den USA nach Europa verlegt. Die US-Luftwaffe habe in den vergangenen Tagen 1.500 Tonnen Material nach Deutschland eingeflogen. Eine solche Verlegung würde nach Angaben der Luftwaffe auch im Bündnisfall zuerst erfolgen - also dann, wenn ein NATO-Mitgliedsland in Europa angegriffen werden würde. "Air Defender 2023 demonstriert, dass die alliierten Luftstreitkräfte das Bündnisgebiet jederzeit schlagkräftig verteidigen können", heißt es in einer Mitteilung der Luftwaffe. Die ersten Flugzeuge aus den USA wurden Ende Mai nach Deutschland verlegt.
Die Hauptstandorte der Übung sind laut Bundeswehr die Flugplätze Schleswig-Jagel, Hohn (beide Schleswig-Holstein), Wunstorf (Niedersachsen) und Lechfeld (Bayern). In diesen Gebieten müssen Anwohner mit deutlich mehr Starts und Landungen rechnen als normalerweise. Eingebunden sind auch die Standorte Laage (Mecklenburg-Vorpommern), Spangdahlem (Rheinland-Pfalz), Neuburg (Bayern) sowie mehrere Flugplätze in den Nachbarländern. "Die Bundeswehr ist bestrebt, die Belastungen für die Bevölkerung und den zivilen Luftverkehr so gering wie möglich zu halten", heißt es in einem Schreiben an die Luftsportverbände. "Gänzlich wird sich dies aber nicht vermeiden lassen."
Es gibt drei Übungslufträume über Deutschland: Das Übungsgebiet Nord erstreckt sich über Teile von Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen. Eingeschlossen sind auch die Lufträume über der Kieler Bucht in der Ostsee und über der Nordsee. Das Übungsgebiet Ost reicht von der Ostsee über weite Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen. Das Übungsgebiet Süd liegt über Schwaben in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. "Um den Flugbetrieb möglichst gleichmäßig zu verteilen, haben wir die Übung auf Übungslufträume in Nord-, Nordost- und Südwestdeutschland aufgeteilt. Insbesondere die Nutzung von Nord- und Ostseegebieten entlastet die Übungslufträume über bewohnten Gebieten", heißt es von der Bundeswehr. Weitere Übungen sind auch über dem Baltikum und Rumänien - also an der Ostgrenze der NATO - geplant.
Es soll über Deutschland drei große Übungen pro Tag geben - mit jeweils 40 bis 80 beteiligten Flugzeugen. Etwa 250 Starts sind täglich geplant. Die Übungsgebiete rotieren im Tagesverlauf, sodass im Osten (10 bis 14 Uhr), Süden (13 bis 17 Uhr) und Norden (16 bis 20 Uhr) jeweils einige Stunden lang Teile des Luftraums gesperrt sein werden. Die Flugzeuge üben nicht nur im nächstgelegenen Übungsgebiet: So sollen Maschinen aus Jagel und Hohn zum Beispiel auch für Übungsflüge im Osten eingesetzt werden und F-35 aus Rheinland-Pfalz trainieren über der Nordsee. Nachts und am Wochenende ist laut Bundeswehr kein Übungsflugbetrieb geplant. Das heißt aber nicht, dass es in diesen Zeiträumen ruhig sein wird. Der reguläre Flugbetrieb - abseits der Übungen - geht weiter.
Die Luftwaffe teilt dazu mit: "Air Defender 2023 soll als forderndes Übungsszenario mit Luftkriegsoperationen für befreundete und verbündete Luftstreitkräfte dienen." Ziel werde es sein, die Zusammenarbeit zwischen den Nationen und deren Streitkräften zu optimieren und zu auszubauen. "Dabei entspringt dieses Vorhaben einer reinen verteidigenden Trainingsabsicht. Die Reaktionsfähigkeit und die gemeinsame Stärke in der Luft sollen trainiert und demonstriert werden", heißt es von der Luftwaffe. Zu den Aufgaben gehören den Angaben nach der Kampf gegen Drohnen und Marschflugkörper, der Schutz von Städten, Flug- und Seehäfen sowie die direkte Unterstützung von Bodentruppen. Das Szenario sieht unter anderem vor, dass die Verteidigung im Falle eines Angriffs auf den Rostocker Hafen und die kritische Infrastruktur in der Ostsee simuliert werden soll. Trainiert wird auch, unterschiedliche Kampfjets an Standorten zu versorgen, an denen diese Modelle sonst nicht beheimatet sind.
Den Vorschlag für "Air Defender 2023" habe er bei seinem Amtsantritt in den USA 2018 gemacht, sagte Luftwaffeninspekteur Gerhartz. Auslöser sei damals die vier Jahre zuvor erfolgte Annexion der Krim durch Russland gewesen. "Uns war klar in Deutschland, auch nach den vielen Jahren in Afghanistan, dass wir uns wieder zurückbesinnen müssen auf die Fähigkeit der Landes- und Bündnisverteidigung." Der Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine im vergangenen Jahr habe besonders die Nachfrage der östlichen Bündnispartner verstärkt. Deshalb werde im Rahmen der Übung auch in diese Länder verlegt.
Bei der Übung geht es um nichts Geringeres als den Kern der Bündnisverteidigung: Nach Artikel 5 des NATO-Vertrages wird ein Angriff auf einen Verbündeten als Angriff auf alle Bündnispartner betrachtet. Damit die Zusammenarbeit vieler Länder im Ernstfall funktioniert, soll das jetzt erstmals in so großem Umfang mit so vielen beteiligten Ländern geübt werden. Seitens der Bundeswehr wird aber immer wieder betont, dass es eine von Deutschland initiierte und geführte Übung und keine der NATO sei. "Wir sind in der Führungsrolle", sagt Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz. "Das ist genau das, was mir die Partner immer wieder sagen: 'Geht ihr doch mal, macht ihr doch mal - gerade mit eurer Position in Europa'." Sebastian Bruns vom Institut für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel sieht darin "die hohe Kunst der Diplomatie". Ihm zufolge soll mit dieser Formulierung verhindert werden, dass die NATO als Akteur in Erscheinung tritt.
Karte: Flugverbotszonen über Deutschland
In den drei Übungslufträumen werden bestimmte Flughöhen in festgelegten Zeiträumen für den zivilen Flugverkehr gesperrt.
Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hatte vor Beginn des Manövers "große Auswirkungen auf die zivile Luftfahrt" erwartet. Da für das Militär große Lufträume reserviert werden, steht dem zivilen Flugverkehr weniger Raum zur Verfügung. Ein Chaos an den Flughäfen blieb an den ersten Übungstagen aus. Nur einzelne Flüge seien etwas verspätet, heißt es etwa von der Lufthansa. Eine offizielle Auswertung steht noch aus. Die Deutsche Flugsicherung berichtet, das sich mehrmals täglich Experten mit Vertretern der Luftwaffe treffen, um die Abläufe zu koordinieren. Dadurch habe sich das Manöver kaum auf den Zivilverkehr ausgewirkt.
Nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung können Reisende nur bei kurzfristig mitgeteilten Annullierungen oder Verspätungen eine pauschale Entschädigung von der Fluggesellschaft fordern. Als kurzfristig gilt ein Zeitraum von weniger als 14 Tagen vor dem planmäßigen Abflug. Wenn Änderungen frühzeitig angekündigt werden, gibt es keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Auch bei "außergewöhnlichen Umständen" ist die Fluggesellschaft nicht zu einer Entschädigung verpflichtet. Auf die Übung dürfte dies nach Einschätzung von Juristen zutreffen. Reisende, auf deren Verbindung sich das Großmanöver auswirkt, können aber ihren Flug auf einen späteren Termin umbuchen oder ihr Ticket stornieren und sich den Kaufpreis erstatten lassen.
Das Bundesverkehrsministerium hat die Bundesländer gebeten, Nachtflugverbote während der Übung zu lockern, damit Maschinen, die von Luftraumsperrungen betroffen sind, auch später starten und landen dürfen. Am Hamburger Flughafen können für die Zeit der Übung vom 12. bis 16. sowie vom 19. bis 23. Juni "auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für verspätete Flüge bis 1 Uhr erteilt werden, sofern die Verspätungen durch die Übung verursacht wurden", teilten die Umwelt- und Wirtschaftsbehörde mit. Normalerweise gilt am Hamburger Flughafen zwischen 23 und 6 Uhr ein Nachtflugverbot. Der Flughafen in Hannover läuft ohnehin im 24-Stunden-Betrieb. Auch in Bremen gibt es kein generelles Nachtflugverbot. Baden-Württemberg weitet die Betriebszeit des Stuttgarter Flughafens für den Zeitraum des Manövers bis 2 Uhr nachts aus. In Hessen sollen am Flughafen Frankfurt ausnahmsweise Spätstarts bis 24 Uhr genehmigt werden. In Düsseldorf wird das Nachtflugverbot wahrscheinlich vorübergehend ausgesetzt.
Laut Bundeswehr sind in den Übungsgebieten mit Ausnahme der an der Übung beteiligten Luftfahrzeuge alle Flüge untersagt - einschließlich des Betriebs von Flugmodellen und unbemannten Luftfahrtsystemen. Von den Flugbeschränkungen ausgenommen sind Flugzeuge des Bundes und der Polizei, Rettungshubschrauber, Ambulanzflüge und Flüge nach Instrumentenflugregeln nach vorheriger Genehmigung durch die zuständige Flugverkehrskontrollstelle.
Karte: Diese Länder nehmen teil
Insgesamt beteiligen sich 25 Nationen an der Übung. Viele davon werden Flugzeuge und Soldaten nach Deutschland verlegen, andere starten von heimischen Flugplätzen aus.
Karte: Wo fliegen welche Maschinen?
Die meisten Flugzeuge aus dem Ausland werden in Schleswig-Holstein stationiert sein: Auf den beiden Fliegerhorsten Schleswig-Jagel und Hohn werden Maschinen aus den USA, Ungarn, der Türkei, Finnland, Großbritannien und Deutschland erwartet - darunter viele verschiedene Kampfflugzeuge, unter anderem F-15, F-16, F-18, Gripen, A-10, Eurofighter und Tornado. Transportmaschinen wie der A400M oder Jets wie der F-35 werden zwar nicht im nördlichsten Bundesland stationiert sein, aber während der Übungsmanöver trotzdem hier fliegen.
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