Air Defender 2023: Im Maschinenraum des Manövers
Seit Montag läuft das Räderwerk des Luftwaffenmanövers Air Defender 2023 auf Hochtouren. Tausende Menschen sind nötig, um die Flugzeuge in der Luft zu halten. Die meisten davon sind für die Öffentlichkeit unsichtbar. Ein Blick hinter die Kulissen.
Der Sommerwind zerzaust schon früh am Morgen das vertrocknete Gras auf Shelter Nummer sechs. Das ist ein bewachsener Bunker aus Stahlbeton. Im Zeitlupentempo öffnen sich unter einigem Tröten die tonnenschweren, gepanzerten Türen. Sie geben den Blick frei auf eine Kriegsmaschine der deutschen Luftwaffe: ein Tornado mit der Kennung 44-69, ausgestattet mit Sensoren, um feindliche Radarstellungen auszukundschaften, bewaffnet mit Raketen, um die gegnerische Flugabwehr zu zerstören. Die Konstruktion stammt aus den 1970er-Jahren und man sieht es ihr an. Aber: "Das ist ein kerniges Flugzeug", meint Hauptfeldwebel Matthias. Er ist der erste Flugzeugwart, und Shelter sechs ist heute sein Arbeitsplatz. Dienstbeginn ist morgens um sechs, es sind noch drei Stunden bis zum geplanten Start.
Luftmanöver ist "wie ein Ballett am Himmel"
Zur selben Zeit macht sich die Besatzung der Maschine auf den Weg in die "Fighter Town". Das ist das schwer gesicherte Hauptquartier des Manövers Air Defender 2023 auf dem Fliegerhorst Jagel. Die Bundeswehr hat die "Fighter Town" eigens mit Containern umstellt und noch einmal mit Stacheldraht gesichert. Selbst die wenigen, die Zutritt haben, müssen Mobiltelefone und Smart Watches am Eingang abgeben.
Major "Kalla" ist der Pilot des Tornados, Major "Clara" ist Waffensystemoffizier. Zusammen werden sie die Maschine heute fliegen. Ihre richtigen Namen werden wir aus Sicherheitsgründen nicht erfahren. Gleich werden sie in einem stundenlangen Geheimbriefing verschwinden. Der Abstimmungsbedarf ist enorm. Es gibt Menschen hier, die die Militärübung mit einem Ballett am Himmel vergleichen, für Major "Kalla" ist es eher wie ein Orchesterstück: "Jeder muss genau seine Stimme spielen, sonst wird das nichts."
"Man hört, was man hat"
Derweil kontrolliert Hauptfeldwebel Matthias die Maschine in Shelter sechs. Rüttelt an den Auslässen der gewaltigen Triebwerke. Kontrolliert, ob irgendwo Teile verschlissen sind oder lose Schrauben herumliegen. "Da sitzen zwei Menschenleben drin. Und beide vertrauen mir letztlich ihr Leben an. Das ist schon eine Verantwortung." Überall an der Maschine sind Kontrollklappen angebracht, dahinter Kippschalter, Kontrolllämpchen, Kabelstränge. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker hat er noch einmal zwei Jahre den Tornado in- und auswendig gelernt. "Die Munition und Bewaffnung wird natürlich immer weiter modernisiert. Aber so ein bisschen 90er-Charme ist beim Tornado immer dabei. Ich mag das total gerne." Überhaupt, das ganze Flugzeug: "Das ist nicht so ein Plastikbomber wie der Eurofighter." Und der Sound: "Man hört, was man hat."
Speerspitze einer Gegenoffensive
Bis die Piloten starten können, muss der Flugzeugwart aber noch ein Problem beheben. Das Ventil eines der Zusatztanks unter dem Flügel geht nicht auf. "Dann kann die Maschine den Sprit auf einer Seite nicht abrufen. Das betrifft auch die Balance." Doch nach ein paar Rucklern an Steckverbindungen funktioniert das Teil wieder. "Spontane Selbstheilung" nennt man das unter den Mechanikern.
Kurze Zeit später werden die Piloten zum Shelter gebracht. Major "Kalla" und Major "Clara" sind jetzt wie im Tunnel. "Clara" schnallt sich auf dem hinteren Sitz an. Sie navigiert den Tornado, funkt, bedient die Störsysteme und Waffen. "Haben alle Gehörschutz auf?", fragt Major "Kalla" und startet das Hilfsaggregat. Kurze Zeit später heulen die beiden Haupttriebwerke auf. Im Übungsszenario muss die deutsche Besatzung sich jetzt bereit machen, als Speerspitze einer Gegenoffensive feindliche Radarstellungen im besetzten Ostdeutschland auszukundschaften.
Im Tiefstflug über die Ostsee
Noch kann die Maschine 44-69 nicht starten. Der amerikanische Teil der Formation hat noch ein technisches Problem. Etwa 20 Minuten später donnert der Tornado mit einem unglaublichen Lärm los. Im Cockpit ist eine Kamera installiert. Kurze Zeit nach dem Start sieht man die Eckernförder Bucht vorbeiziehen, wo gerade der Bundespräsident mit Bürgern ins Gespräch kommen will. Über der Ostsee senkt "Kalla" seine Maschine in den Tiefstflug. Etwa 30 Meter über dem Wasser rast das Kampfflugzeug mit 850 Stundenkilomtern seinem Ziel entgegen. "Ich kann mich dann wirklich nur noch auf die Höhe konzentrieren," sagt "Kalla" später. Es ist eine sehr riskante Technik, um dem feindlichen Radar zu entgehen.
Was genau sie im Zielgebiet für Manöver fliegen und wie sie sich mit den Fliegern der Partnernationen abstimmen, bleibt geheim. Zwei Stunden und 7.000 Liter Kerosin später ist der deutsche Flieger zurück, die Mannschaft groggy aber zufrieden. Jetzt hat Hauptfeldwebel Matthias die betagte Maschine wieder in seinen Händen. Und muss sie fit machen für den nächsten Einsatz.