GEOMAR Kiel: Ostsee durchlebt extreme Erwärmung
Nord- und Ostsee werden wärmer, die Meere verlieren ihre Abwehrkraft, sagt ein Experte vom Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrum. Emissionen sparen allein reiche nicht mehr. Das Treibhausgas CO2 müsse aus der Atmosphäre entnommen werden.
Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten von allen Kontinenten auf der Welt erwärmt. So steht es im neuen Klimabericht des EU-Klimadienstes Copernicus. 2024 war das bislang heißeste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch das geht aus dem Bericht hervor. Das vergangene Jahr war den Angaben zufolge geprägt durch Extremwetter mit Stürmen und Überschwemmungen.
Der Blick auf Schleswig-Holstein zeigt: Von den ganz großen Katastrophen ist das Land bisher verschont geblieben. Aber die Meere leiden. Das sagt das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Demnach erwärmte sich der Weltozean in den vergangenen 30 Jahren um 0,5 Grad - die Ostsee hingegen um etwa 1,5 Grad.
Klimawandel-Folgen: Fluten und Stürme
"Der Ist-Zustand der Meere ist dramatisch", sagt Hermann Bange, Experte für Meeresforschung vom GEOMAR. "Sie erwärmen sich, sie verlieren Sauerstoff." Es gelangten weiterhin viel zu viele Düngemittel, wie zum Beispiel Nitrat, in die Meere, so Bange. Wärmere Meere führten dazu, dass sich das gesamte Ökosystem verändere und der Meeresspiegel weiter steige. Das wiederum bedeute: Es gibt mehr Fluten, mehr Sturm. All das betreffe die Menschen in Schleswig-Holstein direkt und habe teure Folgen, so Bange.
Bange: CO2 muss aktiv aus der Atmosphäre geholt werden
Der Spezialist für Marine Biogeochemie versteht nicht, warum all das bekannt ist und trotzdem so wenig gehandelt wird. Eigentlich, so erklärt er, müsse man von heute auf morgen aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre entweichen zu lassen: "Das wissen wir seit 50 Jahren, aber es passiert ja nicht." Und deswegen reicht es aus seiner Sicht nicht mehr, die Emissionen zu verringern. Man müsse zusätzlich aktiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen, meint Bange.
Auch an Land wird es immer wärmer

Vor allem in größeren Städten wird es im Sommer teils ungewöhnlich heiß. Ein Versuch, etwas dagegen zu tun: Städte begrünen, auch Dächer und Fassaden. Unter anderem Kiel, Neumünster oder Lübeck bieten Förderprogramme an. Eigentümer können Fördergeld beantragen, wenn sie ihr Dach oder ihre Hauswand bepflanzen. Wie weit das gehen kann, zeigen Beispiele aus Düsseldorf oder Singapur.
"Schleswig-Holstein ist gut aufgestellt"
Schleswig-Holsteins Klimaschutzminister Tobias Goldschmidt (Grüne) ist "fassungslos zu hören, dass darüber gesprochen wird, dass das Gebäudeenergiegesetz aufgehoben oder angepasst werden soll". So liest es sich laut Goldschmidt im Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Er findet aber, in Schleswig Holstein gehe es gut voran: Hier tue sich viel beim Thema klimaneutrales Heizen. Er sieht, ähnlich wie Meeresforscher Hermann Bange, das Thema Düngemittel als großes Problem im Land.
Großteil der Emissionen in der Landwirtschaft durch Fleischproduktion
Die Landwirtschaft selbst sei stark betroffen von der Klimakrise, das zeigten die Ernte-Bilanzen der vergangenen Jahre. Deswegen gebe es eine Düngeverordnung und darüber hinaus freiwillige Zugeständnisse der Landwirte, erklärt Minister Goldschmidt. Aber jeder könne etwas beitragen: "Keiner muss Vegetarier werden, aber das ein oder andere Stück Fleisch weniger auf dem Grill ist gelebter Klimaschutz." Denn zwei Drittel der Emissionen in der Landwirtschaft, erklärt Goldschmidt, gehen auf die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln zurück.
Mojib Latif: "Müssen die Tatsachen zur Kenntnis nehmen"
Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif hatte sich am Dienstag (15.4.) im Morgenmagazin von ARD und ZDF zum Klimabericht von Copernicus geäußert und eindringlich vor den Auswirkungen der Erderwärmung gewarnt. "Ich muss sagen, wir müssen endlich mal die Tatsachen zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln." Europa erwärme sich laut Latif so schnell, weil es dort viel Landfläche gebe. Landregionen erwärmten sich schneller als Meeresregionen. Außerdem spiele die Luftqualität eine Rolle. Diese werde in Europa zwar immer besser, aber "je weniger Dreck in der Luft ist, desto weniger wird die Sonnenstrahlung reflektiert. Und umso wärmer kann es in Europa werden."
