Igor Levit: "Kampf gegen Antisemitismus ist eure Aufgabe, nicht meine"
Der Pianist Igor Levit ist nach der Terrorattacke der Hamas eine der lautesten jüdischen Stimmen in Deutschland. Im Gespräch bei DAS! spricht er über den Kampf gegen Antisemitismus und das "Schweigen der Mehrheitsgesellschaft".
"Warum muss ich als Jude im Jahr 2023 mein eigenes Solidaritätskonzert gegen Antisemitismus veranstalten?", fragt Pianist Igor Levit im Gespräch auf dem Roten Sofa. "Das ist eure Aufgabe, nicht meine." Levit hatte Ende November am Berliner Ensemble das Solidaritätskonzert "Gegen das Schweigen" organisiert. Mit dabei waren unter anderem etwa Campino, Maria Schrader, Joanna Mallwitz, Wolf Biermann und Michel Friedman. "Das war toll, aber es war zu diesem Zeitpunkt das einzige dieser Größenordnung in diesem Land", kritisiert der Pianist.
"Angriff gegen das jüdische Volk weltweit"
Im Gespräch auf dem Roten Sofa schildert Levit, wie er den 7. Oktober, die Terrorattacke der Hamas, erlebt hat: "Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die nur eines zum Ziel haben: meine Auslöschung, meinen Tod". Dabei bezieht er sich auf die Gründungscharta der Terrororganisation. In dieser ist die Auslöschung des Judentums als Ziel festgelegt. Die Ermordung von über 1.200 Menschen auf israelischem Territorium sei deshalb kein politischer Angriff auf einen Staat gewesen: "Es war ein Angriff gegen das jüdische Volk weltweit".
Er rede bei seinen Auftritten und Interviews bewusst nicht über den Nahostkonflikt, das sei ein viel zu großes Thema: "Du sprichst als Jude in Deutschland über deine Empfindungen und dein Gegenüber macht dich zum Israeli."
Antisemitismus in vielen Strömungen verbreitet
Levit will vor allem darüber reden, was es bedeutet, Jude in Deutschland zu sein. Nur ein paar Stunden nach dem Angriff der Hamas sei diese Attacke auf deutschen Straßen mit Süßigkeiten gefeiert worden. Der Pianist sieht eine Koalition aus verschiedensten gesellschaftlichen Richtungen, die sich im Antisemismus treffen. "Das kommt von den Rechtsextremen, es kommt aus Teilen der linken Szene und es kommt von den radikalen Islamisten", so der Pianist.
Nicht schlimmer, aber enttäuschender sei für ihn das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft gewesen. "Ich erlebe ein viel zu großes Nichts", sagt Levit. "Hier geht es um die moralische Existenzgrundlage der Bundesrepublik Deutschland: Das 'Nie wieder!'" und dann kommen zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus in Berlin lediglich 3.200 Menschen."
"Der Kampf gegen Antisemitismus ist euer Kampf"
Mitte November organisierte Levit deshalb selbst das Solidaritätskonzert "Gegen das Schweigen". "Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht mein Kampf, es ist euer Kampf. Es sollte nicht so sein, dass ich und andere Juden ihre eigenen Solidaritätskonzerte veranstalten."
In diesem Zusammenhang kritisierte er auch ein Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in dem dieser davon sprach, dass die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer das "Nie wieder" mit Leben fülle. "Ich fand das eine furchtbare Aussage. Es ist nicht die Aufgabe der 102-jährigen Margot Friedländer das 'Nie wieder' mit Leben zu füllen, sondern es ist seine Aufgabe."
Levit macht zweite Reise nach Israel
Um den Kampf gegen Antisemismus weiter zu unterstützen, hat Igor Levit Felix Mendelssohns "Lieder ohne Worte" neu eingespielt. Den Erlös für das Album wolle er komplett an zwei Organisationen spenden. Auch eine weitere Reise nach Israel will Levit diese Woche antreten. Mitte November reiste er bereits einmal nach Tel Aviv. Dort spielte er unter anderem in einem Krankenhaus und für Familien, deren Kinder von der Hamas entführt worden. "Das war eine Begegnung, die mich nicht mehr verlassen wird."