Nahost-Konflikt: "Ich muss mich nicht auf die Seite einer Partei schlagen"
Der Pianist Igor Levit beklagt, dass der Judenhass auf deutschen Straßen nach dem 7. Oktober eine beklemmende Empathielosigkeit nach sich gezogen hat, auch im Kulturbetrieb. Wie sieht es auf Kampnagel in Hamburg aus? Ein Gespräch mit Intendantin Amelie Deuflhard.
Frau Deuflhard, Igor Levit hat Konzerthäuser und Theater angefragt, und es gab einige Absagen: Man wolle das nicht, man könne das nicht, der Raum sei gerade nicht frei, es sei alles ein bisschen kompliziert. Haben Sie auch eine Anfrage von ihm bekommen?
Amelie Deuflhard: Nein, ich hatte keine Anfrage von Igor Levit, obwohl ich ihn ganz gut kenne. Aber auch bei uns wäre es sicherlich schwierig gewesen - wie in anderen Theatern und Kunsthäusern auch -, total kurzfristig eine große Veranstaltung einzusetzen. Wir hatten vor kurzem den israelischen Künstler Asaf Avidan auf Kampnagel, der ein ausverkauftes Konzert vor 1.200 Leuten gespielt hat. Wir haben keinerlei Vorbehalte, israelische Künstler*innen bei uns auftreten zu lassen. Übernächste Woche gibt es eine Weltpremiere von Ariel Ashbel - auch ein israelischer Künstler -, die wir koproduziert haben. Wir arbeiten aber auch mit Künstlern aus dem arabischen Raum. Kampnagel ist ein Haus, das international, weltweit arbeitet und versucht, Diversität von künstlerischen, ästhetischen und diskursiven Haltungen und Positionen zu zeigen.
Es geht ja nicht nur darum zu sagen, man habe keine Vorbehalte, sondern dass man ganz klar Solidarität bekundet und sich gegen Antisemitismus stellt.
Deuflhard: Wir haben uns gegen Antisemitismus gestellt. Es gibt eine Erklärung auf unserer Website, die wir zwei Tage nach dem Anschlag der Hamas veröffentlicht haben. Auf Kampnagel ist keinerlei Rassismus zugelassen. Das steht in unserem Leitbild. Wir wenden uns ausdrücklich gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und gegen antimuslimischen Rassismus.
Ist es für Sie auch ein gewisser Zwiespalt, als Veranstaltungsort nicht immer gucken zu können, wer was postet, wer was liked? Wie kontrollieren Sie das, welche Haltung hinter Künstlerinnen und Künstlern steckt?
Deuflhard: Ich bin nicht der Meinung, dass wir Künstler*innen kontrollieren sollten. Ich bin der Meinung, dass wir uns die Kunst genau anschauen sollen, die wir einladen. Aber es ist vollkommen ausgeschlossen, Künstler*innen zu kontrollieren. Ich bräuchte bestimmt fünf Leute, die Webseiten und Social Media überprüfen. Aber das wollen wir natürlich nicht. Die Kunst ist frei, und wir wollen keine Gesinnungsprüfung von Künstler*innen machen.
Viele Menschen, wie Michel Friedman oder Igor Levit, beklagen die "Ja, aber"-Haltung von vielen Kultureinrichtungen, die sagen, man müsse beide Seiten irgendwie verstehen. Wie könnte für Sie ein Format aussehen, was beide Seiten zu Wort kommen lässt?
Deuflhard: Da gibt es viele Möglichkeiten. Es gibt den West-östlichen Divan von Daniel Barenboim, in dem Künstler aus dem arabischen und aus dem israelischen Raum zusammen musizieren. Das ist ein perfektes Format, die Menschen wieder gemeinsam auf die Bühne zu holen. Es gibt auch die Möglichkeit von Diskussionsformaten.
Das ist jetzt kein "Ja, aber", sondern es wird auch palästinensische Bevölkerung vertrieben. Gerade ist in New York der UNO-Kommissar für Menschenrechte zurückgetreten, der seit 30 Jahren Jahren bei der UNO ist, und er beklagt es auch. Das ist ein weiterer Sachverhalt. Das heißt nicht, dass man den Hamas-Anschlag verharmlost, aber es heißt auch, dass die Reaktion Israels massiv ist.
Ist das eine fehlende Haltung, zu sagen: Das Eine ja und das Andere nicht? Oder ist es ein Zwiespalt, mit dem man inzwischen leben muss?
Deuflhard: Ich finde, es ist Haltung zu sagen: das Eine ja und das Andere auch ja. Ich muss mich nicht auf eine der Parteiseiten schlagen - das möchte ich nicht, das kann ich auch nicht. Aber ich sehe beides. Die Situation im Nahen Osten, in Israel, in Gaza ist ohnehin katastrophal. Aber auch in Deutschland, in Europa haben wir eine sehr schwierige Situation. Israelis, jüdische Bevölkerung, fühlen sich ausgegrenzt, aber auch arabische Menschen fühlen sich ausgegrenzt. Man sieht es überall: in Schulen, in Kulturinstitutionen. Wir arbeiten mit Künstler*innen aus beiden Regionen, und es ist eine super komplexe, schwierige Situation, und man muss alles tun, um sie zu befrieden.
Antisemitismus hat auf Kampnagel keinen Platz - das steht in unserem Leitbild. Aber ich sage auch: Rassismus ganz allgemein hat auf Kampnagel keinen Platz. Das ist aus meiner Sicht eine sehr klare und keine "Ja, aber"-Positionierung. Antisemitismus haben wir extra ausgewiesen, das machen wir schon immer, nicht erst seit dem Anschlag. Das hat was zu tun mit der deutschen Geschichte und der Verbindung von Deutschland und Israel. Aus meiner Sicht sind sowohl Deutschland als auch Israel auf den Trümmern des Holocausts begründet. Deswegen ist bei uns Antisemitismus extra hervorgehoben. Und trotzdem sind wir selbstverständlich auch gegen jeglichen weiteren Rassismus. Das sollte übrigens überall in der Welt so sein und bei jeder Institution gelten.
Welche Veranstaltung auf Kampnagel in nächster Zeit würden Sie empfehlen, in der die Kunst zu Wort kommt und die Kunst allein spricht?
Deuflhard: Wir haben vom 7. bis 9. Dezember ein Gastspiel aus Belgien, den Choreografen Damien Jalet, der sich fast mit Weltuntergangsszenarien beschäftigt, eine Arbeit, die schon vor ein oder zwei Jahren entstanden ist. Es ist aber eine Arbeit, die man, wenn man sie heute sieht, ganz klar auch auf der Folie des Krieges im Gazastreifen lesen wird.
Das Interview führte Philipp Schmid.