Matthiae-Mahl in Hamburg: Ein Abendessen wie im Mittelalter
Zum Matthiae-Mahl, dem ältesten noch begangenen Festmahl der Welt, hat Hamburg schon viele Staatsgäste begrüßt. Was hat es mit der Geschichte des traditionsreichen Banketts, das jährlich um den 24. Februar stattfindet, auf sich?
Für viele Hamburger wäre es ein Traum, dabei zu sein: Im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses treffen in der Regel jedes Jahr im Februar Hunderte Gäste zum Matthiae-Mahl ein. Erwähnt wird das Festmahl erstmals im Jahr 1356. Der Name bezieht sich auf den evangelischen Matthiae-Tag am 24. Februar, den Ehrentag für den Heiligen Matthias. Der Tag galt im Mittelalter als Frühlingsbeginn und Auftakt des Geschäftsjahres. Für Hamburg hieß das: Die Senatoren erhielten ihre neuen Aufgaben und wählten den Ersten Bürgermeister.
Mal früher, mal später - und in der Corona-Pandemie digital
Der Matthias-Tag am 24. Februar galt im Mittelalter als Frühlingsbeginn und Auftakt des Geschäftsjahres. Aber mit dem Datum nimmt es die Stadt nicht mehr so genau: Eigentlich galt der Grundsatz, dass das Fest am Freitag vor dem 24. Februar stattfindet. Aber auch das kommt nicht immer hin. So wird das Vier-Gänge-Menü auch mal verschoben, wenn die Ehrengäste es nicht anders einrichten können.
Auch wenn das Fest eine lange Tradition aufweisen kann, gab es zwischendurch mal eine Pause: Nach 1724 wurde das Matthiae-Mahl mehr als 200 Jahre lang ausgesetzt. Warum, weiß heute niemand mehr. Eine historische Anordnung besagt aber, dass das Fest nur stattfindet, "wenn die Zeitläufte es erlauben." Auch 1999 fiel das Matthiae-Mahl aus. Aus einem ganz profanen Grund: Der Festsaal im Rathaus wurde renoviert.
Auch während der Corona-Pandemie sprachen die "Zeitläufte" dagegen, dass das Festmahl traditionell ausgerichtet wurde. 2021 und 2002 lief die Veranstaltung digital ab. Erst 2023 konnte das Matthiae-Mahl wieder ohne Beschränkungen stattfinden.
Das traditionelle Matthiae-Mahl: Wer ist eingeladen?
Die Tafelrunde in ihrer klassischen Form ist im Laufe der Jahrhunderte immer größer geworden. Zum ersten historisch belegten Matthiae-Mahl im Jahr 1356 waren 40 Gäste geladen. Mittlerweile sind es unter normalen Umständen zehn Mal so viele. Üblich ist es seit jeher, das gesamte Konsularische Korps der Hansestadt einzuladen. Da es rund 100 Konsulate in der Hansestadt gibt und jeder Konsul eine Begleitung mitbringen darf, sind so auf einen Schlag 200 Plätze vergeben. Wer einen der restlichen Plätze erhält, überlegen die Mitarbeiter des Protokolls jedes Jahr neu. Eine Tradition, die sich hält: Alle Altbürgermeister und Ehrenbürger der Stadt sind eingeladen. Für die Ehrenbürger und -bürgerinnen müssen aber nicht viele Stühle reserviert werden. Nur wenige von ihnen leben noch: Ballett-Choreograf John Neumeier, der Unternehmer und Mäzen und Michael Otto, Schriftstellerin Kirsten Boie und Musiker Udo Lindenberg.
Ein Rekord für Helmut Schmidt
Zusätzlichen Glanz verleihen der Abendveranstaltung die Ehrengäste, unter ihnen Staatspräsidenten, Regierungschefs und gekrönte Häupter. Um nur einige Namen zu nennen: Königin Silvia von Schweden speiste ebenso als Ehrengast im Rathaus wie Jordaniens König Abdullah II. und Kronprinz Frederik von Dänemark mit seiner Frau Mary. Die Bundeskanzler Helmut Kohl und Gerhard Schörder folgten ebenfalls der Einladung. Kanzlerin Angela Merkel war im Jahr 2016 schon zum zweiten Mal dabei. Rekordhalter unter den Ehrengästen ist Helmut Schmidt. In den Jahren 1976 bis 1982 war er als Bonner Regierungschef gleich vier Mal Ehrengast und Redner. Generell gilt: Es wird ein ausländischer und ein deutscher Ehrengast eingeladen.
Italiens Ministerpräsident sagt in letzter Minute ab
In der jüngeren Vergangenheit des Matthiae-Mahls kam es nur einmal vor, dass ein geladener Ehrengast nicht anreiste. 2007 sagte der italienische Ministerpräsident Romano Prodi nicht einmal 24 Stunden vor dem Festessen ab. Er hatte kurz zuvor seinen Rücktritt eingereicht. So wird als offizielle Begründung für die Absage auch die Regierungskrise genannt. Aber das "Hamburger Abendblatt" fand heraus: Prodi wäre trotzdem gekommen, habe aber als Bedingung gemacht, dass keine Presse vor Ort ist und nicht fotografiert und gefilmt werden darf. Bei einer Krisensitzung entschied der Senat: Darauf lassen wir uns nicht ein. Und so blieb Prodi zu Hause. Die Hauptrede hielt dann der zweite Ehrengast des Abends: Bischof Wolfgang Huber.
Als Putin aus dem Saal stürmte
Für den einzigen handfesten Skandal in der langen Geschichte der Matthiae-Mahlzeit sorgte Wladimir Putin. Im Februar 1994 saß er als Vizebürgermeister der russischen Stadt St. Petersburg an der Tafel. Die Rede an diesem Abend hielt Estlands Staatspräsident Lennart Meri. Als dieser den Russen vorwarf, sie wollten wieder die Vorherrschaft im Osten, zögerte Putin nicht: Er warf seine Serviette auf die Festtafel und marschierte "mit durchgedrückten Knien aus dem Saal, jeder Schritt begleitet vom Knarzen des Parketts", wie es eine Augenzeugin schilderte. Putin ließ es sich nicht nehmen, dem Gastgeber - dem damaligen Bürgermeister Hennig Voscherau - vor Verlassen des Raums noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.
Ein Messer nur für die besonderen Gäste
Das Matthiae-Mahl ist reich an Besonderheiten: Für die geladenen Minister und andere hohe Gäste deckte man zum Matthiae-Mahl ein Messer ein. Im 14. Jahrhundert, als man für gewöhnlich mit den Fingern aß, war dies ein Ausdruck besonderer Ehre. Heute sind die Tafeln am Festabend mit Tafelaufsätzen, Vasen und Schalen aus dem Silberschatz des Rathauses dekoriert. Ein besonders prunkvolles Stück ist der "Holbein-Pokal", den König Eduard VII. von Großbritannien und Irland der Hansestadt im Jahr 1904 schenkte. Der mit Edelsteinen besetzte Pokal gilt als das wertvollste Geschenk, das ein ausländischer Staatsgast dem Hamburger Senat jemals überreicht hat. Beim Matthiae-Mahl steht der Pokal so, dass der Bürgermeister und die Ehrengäste ihn gut im Blick haben.
Matthiae-Mahl ursprünglich rein männliche Angelegenheit
Urprünglich war das Matthiae-Mahl eine rein männliche Angelegenheit. Erst um 1622 wurden auch Frauen eingelassen - mit Einschränkungen: Sie wurden zunächst nur in einem Nebenraum bewirtet und mussten warten, "bis sich die Herren ihrer bedienten". Was so viel hieß wie: bis die Herren sie zum Tanzen aufforderten.
Jahrhunderte altes Protokoll
Das strenge Protokoll zum Ablauf des Matthiae-Mahls gilt ansonsten im Wesentlichen seit mehr als einem halben Jahrtausend unverändert. Der Erste Bürgermeister erwartet die Ehrengäste an einer ganz bestimmten Stelle im Rathaus: auf dem oberen Absatz der Senatstreppe. So gerieten frühere Bürgermeister nicht in die Verlegenheit, zu Pferde anreisenden Gästen aus dem Steigbügel helfen zu müssen. Nach der Begrüßung steht für die Ehrengäste der Eintrag in das Goldene Buch der Stadt auf dem Programm, bevor es in den geschmückten Festsaal geht.
Das Menü ist ein Geheimnis
Bei der Menüwahl gilt die Tradition nicht: Es gibt keine typische Matthiae-Mahlzeit. In der Neuzeit wird stets ein Vier-Gänge-Menü serviert: kalte Vorspeise, Suppe, Hauptspeise und Dessert. Welche Speisen auf die Teller kommen, ist bis zum Beginn des Abends ein gut gehütetes Geheimnis (Menü und Wein 2023). Früher waren die Köche des Ratskellers fürs das leibliche Wohl zuständig. Heutzutage können sich Hamburger Köche um die Ausrichtung des Festmahls bewerben.
"Es soll keine Völlerei geben!"
Früher ging es auch darum, sich mit viel Fleisch die Bäuche vollzuschlagen. So sah die Menüfolge von 1715 drei überaus fleischreiche Gänge vor, darunter "ein ganzes gebratenes Reh garniert mit Rebhühnern, Wildschweinrücken garniert mit Krammetsvögeln und Fasanen garniert mit Finken". Heute geht es zeitgemäß zu. Zum einen gibt es auch vegetarische Gerichte, zum anderen ist die Küche leichter. Davon zeugt folgende Anekdote: Ausgerechnet als der genussfreudige Bundeskanzler Helmut Kohl 1996 auf der Gästeliste stand, gab der damalige Chefkoch Günter Liebert die Generalorder aus: "Es soll keine Völlerei geben!" Und so fiel das Menü entsprechend kalorienarm aus.
100.000 Euro für ein Abendessen
Ganz unumstritten ist das Matthiae-Mahl nicht. Die Hamburger Linken sprechen von einer überflüssigen "Protzveranstaltung". Denn das Fest kostet jedes Jahr etwa 100.000 Euro. Mal etwas mehr, mal etwas weniger. Ein Beispiel: 2013 stand auf der Rechnung der Gesamtbetrag von 104.226,15 Euro. Für Speisen und Getränke wurden 30.000 Euro ausgegeben, für die Blumen waren 6.500 Euro fällig. Und für "Sonstiges" wie Fahrdienste und Übersetzer für den ausländischen Ehrengast fielen 17.000 Euro an. Den größten Posten auf der Rechnung machen aber die Personalkosten mit mehr als 40.000 Euro aus. Immerhin sorgen allein 120 Kellner und Kellnerinnen im Festsaal dafür, dass die Speisen perfekt serviert werden.
Ole von Beust: Völlerei der Selbstverliebten
Nicht jeder Gast(geber) behält das Matthiae-Mahl in guter Erinnerung. Altbürgermeister Ole von Beust bezeichnete das Traditionsessen einmal als eine Art sechsstündiger Völlerei mit nicht besonders gutem Essen und pflichtschuldigen Reden. All die Menschen, die einem dort Visitenkarten zusteckten, hätten letztlich nur eines im Sinne: sich selbst, sagte von Beust 2012 in einem "Zeit"-Interview. Zudem erzählte er, wie "die Ehefrauen mancher Hamburger Herren, die sich offenbar für sehr wichtig halten, in seinem Vorzimmer telefonisch um eine Einladung zum Matthiae-Mahl bettelten".
Oder doch "Werbung für Hamburg im besten Sinne"?
Wohlgemerkt zog von Beust erst nach seinem Rücktritt über das Fest her. Als er noch im Amt war, lobte er die Matthiae-Mahlzeit als "Werbung für unsere Stadt im besten Sinne". Das Matthiae-Mahl sei mehr als alte Zeremonie und gepflegtes Essen, es sei die Versinnbildlichung guter hanseatischer Tradition, schrieb der CDU-Politiker 2003 in einem Gastbeitrag für "Die Welt". "Ich halte nichts von barockem Pomp. Aber damit hat die Matthiae-Mahlzeit auch nichts zu tun. Es geht um Stil. Guter Stil und Form sind für mich vor allem ein Zeichen der Anerkennung und des Respekts für unsere Gäste. Und um die geht es." Und das seit nunmehr mehr als 660 Jahren.