VIDEO: NDR Retro: Historischer Überblick zum Arbeiterkampftag 1. Mai (1965) (11 Min)

"Tag der Arbeit": Einst blutige Streiks, dann Feiertag am 1. Mai

Stand: 01.05.2024 00:00 Uhr

Jahrzehntelang ist er der Streiktag der Arbeiterklasse, 1919 wird der 1. Mai in Deutschland erstmals als Feiertag begangen. Die Ursprünge des "Tags der Arbeit" liegen aber in den USA.

von Irene Altenmüller

Warum feiern wir den 1. Mai? Ein Feiertag für die Arbeiterbewegung - diese Idee stößt in der Weimarer Nationalversammlung 1919 nicht bei allen Parteien auf Begeisterung. Die Mitglieder der Versammlung einigen sich darauf, den 1. Mai 1919 "dem Gedanken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes" zu weihen und verabschieden ein entsprechendes Gesetz. Der 1. Mai ist damals damit einmalig im Jahr 1919 ein gesetzlicher Feiertag. Für den Vorschlag, den "Tag der Arbeit" unbefristet als Feiertag einzuführen, findet sich keine Mehrheit. Da sich bürgerliche und konservative Gruppierungen gegen den neuen Feiertag aussprechen, behalten ihn nur wenige Länder in den folgenden Jahren bei - darunter Braunschweig und Lübeck.

Warum feiert man den "Tag der Arbeit"? - Ursprung in den USA

Dass die Nationalversammlung ausgerechnet den 1. Mai als "Tag der Arbeit" bestimmt, ist kein Zufall. Bereits seit 1890 gilt dieser Tag in Deutschland und Europa als "Kampftag der Arbeiterbewegung". Der eigentliche Ursprung liegt aber in den USA: Dort streiken am 1. Mai 1886 rund 400.000 Arbeiter in mehreren Städten und fordern die Einführung eines Acht-Stunden-Tags. In Chicago kommt es am 3. und 4. Mai im Rahmen der Streiks zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im Verlauf des sogenannten Haymarket Riot sterben sowohl mehrere Demonstranten als auch Polizisten. Acht Streik-Organisatoren werden angeklagt und hingerichtet.

Globus mit Kopfhörern © fotolia.com Foto: slaved
AUDIO: Weltwissen Geschichte: Der 1. Mai (4 Min)

1889 beschließen Gewerkschaften und Arbeiterparteien auf dem Zweiten Internationalen Arbeiterkongress in Paris, zum Gedenken an die Opfer von Chicago am 1. Mai zu einer internationalen Demonstration aufzurufen. Zentrale Forderungen sind auch hier der Acht-Stunden-Tag, außerdem höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

1890: SPD macht 1. Mai zum Tag der Arbeiterbewegung

Ein Jahr später finden am 1. Mai auch in Deutschland Streiks, Demonstrationen und die sogenannten Maispaziergänge statt, um für die Arbeiterrechte zu kämpfen. Rund 100.000 Menschen beteiligen sich. Im Oktober 1890 beschließt die SPD, den 1. Mai zum Tag der Arbeiterbewegung zu machen. Fortan kommt es alljährlich am 1. Mai zu Streiks und Demonstrationen. Arbeitgeber reagieren darauf mit Aussperrungen und Entlassungen. Der 1. Mai entwickelt sich zum Symboltag des Klassenkampfes.

1933: Nazis vereinnahmen den "Tag der Arbeit"

Nationalsozialistischer Aufmarsch am 1. Mai 1933 im Berliner Lustgarten zum "Tag der nationalen Arbeit" © picture alliance / arkivi
Ab 1933 versuchen die Nazis, den 1. Mai umzudeuten - und veranstalten Aufmärsche wie hier im Berliner Lustgarten.

Als "Tag der nationalen Arbeit" führen die Nationalsozialisten den 1. Mai kurz nach der Machtübernahme 1933 als Feiertag wieder ein - bei voller Lohnfortzahlung. Es ist der Versuch, den Kampftag für die eigene Propaganda zu nutzen, die Arbeiterbewegung zu vereinnahmen und die Gewerkschaften zu entmachten. Schon am 2. Mai stürmen Schlägertrupps der SA die Gewerkschaftsbüros, Funktionäre werden verhaftet, die Gewerkschaften gleichgeschaltet. Fortan dient der 1. Mai als staatlich verordneter Feiertag für Aufmärsche und Paraden.

Militärparaden im Osten, Gewerkschaftskundgebungen im Westen

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es der Alliierte Kontrollrat, der im April 1946 den Tag als Feiertag bestätigt. Schon bald entwickeln sich die Feierlichkeiten zum 1. Mai in Ost und West unterschiedlich. Während sie im Osten staatlich organisiert und mit militärischen Paraden inszeniert werden, nutzen im Westen vor allem die Gewerkschaften den 1. Mai für politische Kundgebungen, die häufig mit kulturellen Veranstaltungen kombiniert werden.

VIDEO: 1. Mai in Ost und West (1960) (27 Min)

Ab den 1980er-Jahren kommt es vor allem in Berlin und Hamburg zunehmend zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen autonomen Gruppierungen und der Polizei. Mit gezielten Aktionen zur Deeskalation, etwa Familienfesten, konnten die schon fast traditionellen Krawalle zum 1. Mai später aber eingedämmt werden.

Schulfrei und arbeitsfrei am "Tag der Arbeit"

Weil der "Tag der Arbeit" ein gesetzlicher Feiertag ist, hat die breite Bevölkerung an diesem Tag frei. So ist am 1. Mai traditionell schulfrei. Auch die meisten Geschäfte sind geschlossen. Für die Arbeitswelt bedeutet der Feiertag großflächig: keine Arbeit. Das gilt zumindest für Berufe und Branchen, in denen die Beschäftigten auch an anderen Feiertagen frei haben. In Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen sowie Not- und Rettungsdiensten muss die Arbeit dagegen weitergehen. Auch Taxifahrer und Arbeitnehmer in der Produktion und der Gastronomie sind im Einsatz, genauso wie Beschäftigte im Medien-, Kultur- und Freizeitbereich.

Erschöpfter und frustrierter Geschäftsmann steht in modernem Konferenzraum. © NDR/Westend61/photocase.de Foto: Westend61
AUDIO: Hörspiel über den Druck der Arbeit: Falk Richter - Unter Eis (55 Min)

Maifeiertag: Gesetzlicher Feiertag in vielen Ländern

Der "Tag der Arbeit" oder auch "Labor Day" ist auch in vielen Ländern der Welt ein gesetzlicher Feiertag. Während sich in Europa der 1. Mai durchgesetzt hat, wird der "Labor Day" in den USA im September gefeiert. Auch in Kanada, Australien und Neuseeland findet er an anderen Tagen statt. Als Kampftag für Arbeitnehmerrechte hat der "Tag der Arbeit" allerdings an Bedeutung eingebüßt. Für viele ist er mittlerweile vor allem ein willkommener, arbeitsfreier Tag.

"Tag der Arbeit" immer mit großen Kundgebungen - fast

Menschen demonstrieren auf einem großen Platz und halten Fahner und Banner hoch. © NDR Foto: Keven Bieler
In vielen Städten rufen die Gewerkschaften in der Regel zu Demos am 1. Mai auf - jedes Jahr unter einem anderen Motto.

Am "Tag der Arbeit" finden traditionsgemäß in ganz Deutschland zahlreiche Aktionen und Kundgebungen statt. Im Zuge der Corona-Pandemie hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 2020 erstmals in seiner Geschichte nicht zu Versammlungen und Demonstrationen auf Straßen und Plätzen aufgerufen. Stattdessen gab es kleine symbolische Aktionen und online wurde mit Streams und Videos auf die Rechte und Belange von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufmerksam gemacht.

Für 2024 ruft der Deutsche Gewerkschaftsbund vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Umbrüche unter dem Motto "Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit" zu Aktionen und Kundgebungen auf der Straße auf.

Weitere Informationen
Streikende Arbeiter in Kiel lesen am 25. Oktober 1956, dem zweiten Streiktag, die neue vierseitige Streikzeitung. © picture-alliance / dpa

Deutschlands längster Streik: Der Aufstand der Mutigen

Am 24. Oktober 1956 treten über 26.000 Metallarbeiter in Schleswig-Holstein in den Ausstand. Ein ARD-Dokudrama beleuchtet den 114-tägigen Streik. mehr

Versammlung von Hafenarbeitern in Hamburg am 4. Dezember 1896 (Holzstich von Emil Limmer) © Hapag-Lloyd

1896: Als Tausende Hamburger Arbeiter den Hafen lahmlegten

Obwohl der Hafen boomt, werden die Arbeiter ärmer und ärmer. Am 21. November 1896 treten Tausende für höhere Löhne in den Streik. mehr

Lauterberger Stuhlarbeiter der Firma Hillegeist stehen vor Theatergestühl, das nach Holland exportiert werden soll (Aufnahme um 1906) © Privatarchiv Hans-Heinrich Hillegeist

Lang und erbittert: Der Stuhlarbeiter-Streik in Lauterberg 1896

Großer Streik an kleinem Ort: Am 2. März 1896 starten die Lauterberger Stuhlarbeiter in einen der längsten Arbeitskämpfe. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 01.05.2024 | 12:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Zeitgeschichte

Neuzeit

Mehr Geschichte

Autos fahren am 06.05.2003 durch die vierte Röhre des Hamburger Elbtunnels. © picture-alliance / dpa Foto: Soeren Stache

Neuer Elbtunnel: Hamburgs Hoffnungsträger unter Wasser

Am Hamburger Elbstrand beginnen 1968 die Arbeiten am Neuen Elbtunnel. Auch nach dem Bau einer vierten Röhre ist die Unterführung weiter ein Nadelöhr. mehr

Norddeutsche Geschichte