Als die Nationalversammlung zusammenkam
Am 6. Februar 1919 kam in Weimar die Deutsche Nationalversammlung zusammen, die die Verfassung für die Weimarer Republik ausgearbeitet hat. An den Feiern zu diesem historischen Datum haben 2019 in Weimar unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) teilgenommen.
Was genau wird eigentlich gefeiert? Wolfgang Müller, der bei NDR Info als Redakteur für Geschichtsthemen zuständig ist, über die Hintergründe der damaligen Ereignisse und Entwicklungen.
Warum fand das Ganze damals eigentlich in Weimar statt?
Wolfgang Müller: "Mit der Antwort springen wir mitten rein in die politische Lage damals, die extrem aufgeheizt war. Berlin war einfach zu unsicher. Da gab es Straßenkämpfe. Überhaupt muss man sich klarmachen: Da waren gerade Millionen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekommen, geschlagen, oft auch innerlich gebrochen, manche haben dann gleich bei rechten Freikorps angeheuert. Solche Leute haben ja kurz vorher auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. In so einer Atmosphäre hätte man nicht in Ruhe über eine Verfassung beraten können. Und dann waren verschiedene Ausweich-Städte im Gespräch, zum Beispiel auch Jena oder Bayreuth. Am Ende wurde es Weimar, sicher auch mit Blick auf den Nimbus dieser Stadt, wo mal so viel Geist auf so engem Raum versammelt war - Goethe, Schiller, Herder, Wieland praktisch als Nachbarn. Und dadurch wurde es eben eine Weimarer Republik - und keine Bayreuther Republik."
Heißt das, in Weimar konnte man dann in Ruhe an einer Verfassung arbeiten?
Müller: "Das wäre schön gewesen, aber leider wurde das alles überlagert durch eine zweite Veranstaltung, die ganz woanders stattfand, bei Paris. Das waren die Beratungen der Siegermächte, die zum Versailler Vertrag geführt haben. Der wurde ja dann, quasi wie ein Diktat, der Nationalversammlung in Weimar vorgelegt, die ihn akzeptieren sollte. Was sie auch getan hat, nach ungeheuren Diskussionen, die Friedensbedingungen waren ja brutal. Aber das ist eben ein zentraler, fataler Punkt: Dieser Anfang der ersten deutschen Demokratie war verknüpft mit einem Erlebnis von Ohnmacht und Niederlage. Und demokratische Politiker mussten ihren Kopf hinhalten für das, was im kaiserlichen Deutschland schief gegangen war. Das war eine Tragödie."
Schauen wir auf die Weimarer Verfassung selbst: Welche Themen waren da strittig?
Müller: "Viele. Das fing schon mit der Frage an, ob dieser Staat eigentlich weiterhin Deutsches Reich heißen sollte - oder Deutsche Republik, um den Bruch mit der Kaiserzeit deutlich zu machen. Letztlich blieb es beim Deutschen Reich. Die "Weimarer Republik" hieß also offiziell, das wird manche verwundern, immer noch "Deutsches Reich". Einen Wechsel gab es - hochsymbolisch - bei der Flagge. Da wurde das Schwarz-Weiß-Rot aus der Bismarck-Zeit ersetzt durch die Freiheitsfarben von 1848, Schwarz-Rot-Gold. Nur mit einer bösen Einschränkung: Die Handelsflotte ist nämlich beim Schwarz-Weiß-Rot geblieben, das haben die rechten Parteien durchgesetzt. Sonst war das eine sehr moderne Verfassung mit starken sozialen Akzenten. Arbeitnehmer-Rechte, Betriebsräte - das spielte eine große Rolle."
Ein wichtiger Punkt war ja auch, dass der Reichspräsident nach dieser Verfassung eine sehr starke Stellung bekommen hat. Worum ging es da?
Müller: "Zunächst mal hatte er allein schon dadurch eine starke Stellung, dass er (alle sieben Jahre übrigens) direkt vom Volk gewählt wurde. Das hat man ja später in der Bundesrepublik geändert. Und dann ging es um seine besonderen Vollmachten - vor allem durch den berühmten Artikel 48: Durch den konnte der Reichspräsident in Krisenzeiten fast zum Alleinherrscher werden, also mit Not-Verordnungen regieren, am Parlament vorbei.
Und das ist ja in der Endphase der Republik auch passiert, ab 1930, als Hindenburg als Reichspräsident mehr oder weniger freihändig Kanzler ernannt hat: erst Brüning, dann von Papen und von Schleicher und am Ende eben Hitler."
Heißt das, dieser Artikel 48 hat die Tür geöffnet zu einer Diktatur?
Müller: "Das kann man so sagen. Andererseits: Wenn es in einer Krise wie damals - da kam ja noch die Welt-Wirtschaftskrise dazu - auch in der Bevölkerung eine breite Tendenz gibt zu autoritären Lösungen, dann kann keine Verfassung der Welt einen Damm dagegen aufrichten. Außerdem kann man Verfassungen auch ändern. Das sehen wir ja heute in verschiedenen Ländern. Letztlich gilt also: Eine Verfassung ist so stark wie die Bürger, die sie wollen und schützen.
Das Gespräch führte NDR Info Moderator Stefan Schlag.