Eine große Familie springt auf der grünen Wiese um einen kleinen Pool herum - dahinter ist ein KZ zu erkennen. Szene aus dem britisch-polnischen Spielfilm "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer © Leonine
Eine große Familie springt auf der grünen Wiese um einen kleinen Pool herum - dahinter ist ein KZ zu erkennen. Szene aus dem britisch-polnischen Spielfilm "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer © Leonine
Eine große Familie springt auf der grünen Wiese um einen kleinen Pool herum - dahinter ist ein KZ zu erkennen. Szene aus dem britisch-polnischen Spielfilm "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer © Leonine
AUDIO: Gegen das Vergessen: Auschwitz als Kino-Stoff (4 Min)

Gegen das Vergessen: Neue Auschwitz-Filme prägen das Kino

Stand: 11.09.2024 11:26 Uhr

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 80. Mal. Zeitzeugen gibt es nur noch wenige, bald wird es gar keine mehr geben. Wie die Erinnerung wach halten? Gerade in diesem Jahr beschäftigen sich auffällig viele Filme mit Auschwitz: Vom Oscar-Gewinner"The Zone of Interest" bis zu "Treasure".

von Walli Müller

Das hier ist die Mauer vom Lager? - Ja ja, das hier ist die Lagermauer. Also da haben wir auch noch Wein gepflanzt, damit das zuwächst, damit man das nicht mehr so sieht. Dialog aus "Zone of Interest"

Die Kommandanten-Gattin Hedwig Höß führt stolz ihren blühenden Garten vor - während von dem, was hinter der Mauer vor sich geht, nur die infernalische Tonspur erzählt. Ein ganz neuer Blick, den "The Zone of Interest" auf Auschwitz bietet - und auf den freundlichen Familienvater, der das industrielle Töten organisiert. Der Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer könnte eine Zäsur im filmischen Erzählen vom Holocaust sein, glaubt der deutsche Kollege RP Kahl, der selbst gerade Peter Weiss‘ Theaterstück "Die Ermittlung" über den ersten Auschwitzprozess verfilmt hat. "Ich hatte das Gefühl, dass in den letzten Jahren Filme, die sich mit dem Dritten Reich und dem Holocaust beschäftigen, oft mit den Mitteln des Erzählkinos an eine Grenze gekommen sind. Vielleicht ist 'The Zone of Interest'dann irgendwann später in der Filmwissenschaft der erste Film, von dem man sagt, okay, da hat sich was verändert", sagt RP Kahl.

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"Der Schatten des Kommandanten" bietet auch so einen neuen Zugang jenseits des klassischen Holocaust-Dramas: Ein Dokumentarfilm, in dem Sohn und Enkel von Rudolf Höß einer Auschwitz-Überlebenden begegnen. Und Julia von Heinz beschäftigt sich in "Treasure" nun mit dem Trauma, das überlebende Juden der nächsten Generation vererbt haben. Warum gerade jetzt so viele Filme das Thema aufgreifen? "Vielleicht liegt es auch daran, dass letzte Zeitzeugen sterben. Wir sehen es alle, weil Margot Friedländer dankenswerterweise so präsent ist. Aber es wird auch immer dazu gesagt, dass sie eine der letzten ist. Vielleicht ist das das Bedürfnis? Etwas wach zu halten, weil die echten Menschen sterben? Weil wir sie alle nicht genug befragt haben?", vermutet Julia von Heinz.

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Julia von Heinz: Haben verpasst, Großeltern zu befragen

Es fehle zum Thema Holocaust eine persönliche Geschichtsschreibung, sagt Julia von Heinz. In den Familien der Opfer wurde geschwiegen, um die Kinder zu schonen. Die Täter redeten nicht, um sich selbst zu schützen. "Wir haben es absolut verpasst, zu Zeiten, in denen unsere Großeltern und Urgroßeltern noch hätten erzählen können, diese zu befragen, auch zu konfrontieren", findet von Heinz.

Die junge Generation heute hat diese Chance nun gar nicht mehr. Deshalb komme Filmen in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zu - als Ergänzung zum Geschichtsunterricht: "Kunsterzeugnisse kommen dem menschlichen Sprechen und dem menschlichen Erzählen zumindest noch sehr nahe. Weil ich im Film nah ans menschliche Erleben komme und auch Identifikation heraufbeschwören kann, genau wie durch Literatur", so Julia von Heinz.

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Szene aus dem Film "Treasure" © Alamode Film Foto: Łukasz Bąk

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"Die Ermittlung" - erschütternde Zeugenberichte aus Auschwitz

"Die Ermittlung" etwa passt perfekt zum Unterrichtsstoff der 12. Klasse, weshalb die gesamte Oberstufe des Bremer St. Johann-Gymnasiums an einem Vormittag im Kino versammelt ist und mit den erschütternden Zeugenberichten aus Auschwitz konfrontiert wird.

(Wie ging die Einlieferung in die Gaskammern vor sich?) - Der Lokomotivpfiff vorm Einfahrtstor zur Rampe war das Signal, dass ein neuer Transport eintraf. Das bedeutete, dass in etwa einer Stunde die Öfen voll gebrauchsfähig sein mussten. Dialog aus "Die Ermittlung"

Schwere Kost für 17-Jährige, auch in der gekürzten Fassung gut drei Stunden lang, aber man hört im Kinosaal kaum einen Laut. Der Film entfaltet ganz offenbar seine Wirkung - bei Lale, Per und all den anderen, die den ganzen Abspann über noch schweigend da sitzen.

"Man hat gemerkt, das ist etwas Wichtiges, wo man zuhören muss, darüber nachdenken, darüber sprechen muss und sich halt auch daran erinnern muss", sagt Lale hinterher. Und Per findet: "Man hat natürlich im Unterricht schon viel mitgekommen dazu. Aber der Film hat nochmal Eindrücke von den Überlebenden gezeigt und auch, wie die Angeklagten alles abstritten und versucht haben, sich irgendwie rauszureden damit, dass sie halt nur Befehle ausgeführt haben."

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Lehrer Kief: Filme stützen historische Fakten

Johannes Kief, der Geschichts-LK-Lehrer, sieht einen Film wie "Die Ermittlung" als Chance, Oberstufen-Schülern und -Schülerinnen den Holocaust in seinem entsetzlichen Ausmaß begreiflich zu machen und die daraus resultierende Verantwortung für uns Deutsche. 

"Ich glaube, wir sind im Moment in einer sehr kritischen Phase. Wir erleben, dass Politiker der Rechten versuchen, den Holocaust und den Nationalsozialismus zu relativieren. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir alle Mittel, die wir haben, nutzen, um die historischen Fakten zu sichern und auch zu verstehen, welche Mechanismen, auch politische Mechanismen, dieses ganze System überhaupt erst möglich gemacht haben. Der Holocaust beginnt nicht mit Auschwitz, sondern er beginnt mit Entmenschlichung", betont Johannes Kief.

Schulen können Vorstellungen bei Kinos nachfragen

Für Schulvorstellungen kann man Filme, die wie "Die Ermittlung" nicht mehr offiziell auf dem Programm stehen, bei den Kinobetreibern nachfragen. Sie freuen sich über Interesse. Johannes Kief und seine Kolleginnen bereuen es nicht, sich mit ihren Kursen dieser herausfordernden Theater-Verfilmung gestellt zu haben. "Angesichts des Medienkonsums heutiger Jugendlicher spricht das auch für sich, dass ein solcher Film so respektvoll angeschaut und so ernsthaft angenommen wird", sagt Kief und fügt hinzu: "Ich hoffe, dass da in den Köpfen auch noch sehr viel passiert."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 11.09.2024 | 16:00 Uhr

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