Oliver von Wrochem © picture alliance/dpa Foto: Jonas Walzberg
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AUDIO: Verändert der filmische Fokus auf Auschwitz die Erinnerungskultur? (7 Min)

Verändert der filmische Fokus auf Auschwitz die Erinnerungskultur?

Stand: 11.09.2024 15:35 Uhr

"The Zone of Interest", "Der Schatten des Kommandanten", "Treasure - Familie ist ein fremdes Land" - für die Filmbranche sind der Holocaust und Auschwitz derzeit ein großes Thema. Welche Wirkung haben diese Filme auf das kollektive Erinnern?

Für den Historiker Oliver von Wrochem, der die KZ-Gedenkstätte in Neuengamme leitet, sind Filme mit der Thematik sehr wichtig für unsere Erinnerungskultur. Es sei wichtig, die Menschen emotional zu erreichen.

Herr von Wrochem, wie wichtig sind solche Filme für die Erinnerungskultur?

Oliver von Wrochem: Diese Filme sind sehr wichtig für die Erinnerungskultur, weil wir in einer Zeit leben, die zunehmend medial funktioniert und wo Menschen sich zunehmend Informationen über die Vergangenheit über Medien besorgen. Da ist es natürlich wichtig, dass es Filme gibt, die gut gemacht sind und die Inhalte so transportieren, dass sie ein Geschichtsbewusstsein anregen.

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Wie stehen Sie zu fiktiven Spielfilmen zum Thema? Denn in Hollywood werden immer wieder auch große Blockbuster produziert, die in der Nazizeit spielen, mit großer Ausstattung und einer Portion Action. Verzerren die die Erinnerung auf eine Art, oder hilft es trotzdem beim Wachhalten der Erinnerung?

Von Wrochem: Grundsätzlich helfen nicht alle Filme beim Wachhalten der Erinnerung. Es gibt geradezu eine mediale Flut an Filmen zu dem Thema. Das würde ich immer vom Film abhängig machen und der Wirkung, die er erzielt. Natürlich muss man damit leben, dass sich immer mehr Menschen ausschließlich darüber informieren, und insofern haben Regisseure da eine große Verantwortung.

Der Kinofilm "Treasure" erzählt eine sehr persönliche Geschichte. Da begleitet eine Journalistin ihren Vater nach Polen, um der Geschichte der Familie zu begegnen. Haben Sie den Eindruck, dass solch persönlich erzählten Filme einen besonderen Eindruck hinterlassen, auch bei Ihren Besucherinnen und Besuchern?

Von Wrochem: Ich denke, dass es wichtig ist, die Menschen emotional zu erreichen. An Gedenkstätten machen wir das auch mit Videointerviews von Überlebenden, weil Überlebende immer weniger selbst für Gespräche zur Verfügung stehen. Es gibt inzwischen einige Online-Gespräche, die wir anbieten, mit Menschen, die nicht mehr reisen können. Aber es wird immer weniger werden. Diese direkte und unmittelbare Ansprache auf einer Gefühlsebene ist auch wichtig, um Prozesse kognitiv verarbeiten zu können. Dafür sind biografische Zugänge sehr, sehr wichtig.

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Welche Erfahrungen machen Sie aktuell? Zu Ihnen in die KZ-Gedenkstätte Neuengamme kommen viele Schulklassen, viele junge Menschen. Wie erreicht man die? Wie gehen Sie mit denen ins Gespräch?

Von Wrochem: Zuerst einmal hängt das sehr stark davon ab, wie alt die Menschen sind, die kommen. Eine siebte oder achte Klasse hat andere Fragen als eine Oberstufe. Aber insgesamt kann man schon sagen, dass mit der zunehmenden zeitlichen Distanz es immer wichtiger wird, eine Brücke zu bauen in die Gegenwart und Materialien und Fragestellungen zu entwickeln, die darauf eine Antwort geben, was uns diese Geschichte heute noch angeht. Deswegen glaube ich persönlich, dass die Perspektive von Nachkommen von Verfolgten, der zweiten, der dritten Generation, zunehmend an Bedeutung gewinnt.

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Würden Sie sagen, dass sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren verändert hat?

Von Wrochem: Auf jeden Fall hat sich unsere Arbeit stark verändert. Das hat einen Schub durch die Corona-Pandemie bekommen, wo sehr viele Museen und Gedenkstätten damit konfrontiert waren, dass sie teilweise geschlossen waren und sie zunehmend digitale Angebote entwickeln mussten, um ihre Zielgruppe überhaupt noch zu erreichen. Das hat sich ein bisschen fortgesetzt, und es ist nicht zu leugnen, dass gerade junge Menschen sich zunehmend in den Social-Media-Bereichen, in den digitalen Medien aufhalten. Insofern ist es wichtig, dass Gedenkstätten auch in diesen Bereichen aktiv und präsent sind, um die Menschen da zu erreichen, wo sie sich bewegen.

Hat sich das Storytelling auch verändert? Sie haben vorhin angesprochen, dass die Jugendlichen heute schon viel mehr gesehen haben - muss man die noch stärker konfrontieren mit unserer Geschichte als vielleicht noch vor ein paar Jahren und Jahrzehnten?

Von Wrochem: Man muss sie nicht unbedingt konfrontieren, man muss sie ihnen nahe bringen. Die Frage, auf welche Weise man das tut, ist eine ganz wichtige für die Nachhaltigkeit dessen, was dann zurückbleibt im Geschichtsbewusstsein dieser Generation, die keine Überlebenden mehr kennen oder insgesamt weit weg sind von den historischen Ereignissen. Es ist nicht mehr so selbstverständlich, dass man Bilder hat, die an einen herangetragen werden. Diese Bilder müssen erst einmal gebaut werden, und da ist der Bereich Film eine gute Möglichkeit. Es gibt auch andere Möglichkeiten: Man kann das auch ganz analog machen, man kann das auch über den Social-Media-Bereich versuchen. Es sind alle Formen gut, die mit dem Gegenstand reflektiert umgehen und die Jugendlichen auch einbeziehen. Jede Generation hat andere Fragen, und jede Gruppe möchte auch ihre Fragen stellen dürfen.

Und den Raum haben sie bei Ihnen in der KZ-Gedenkstätte?

Von Wrochem: Den Raum haben sie bei uns auf jeden Fall. Es ist uns sehr wichtig, dass es ein dialogisches Prinzip gibt, dass wir nicht mit vorgefertigten Antworten kommen, dass wir alle Menschen, die zu uns kommen, mit ihren Anliegen ernst nehmen. Das ist ein wichtiges pädagogisches Prinzip.

Welche Filme würden Sie sich als Gedenkstättenleiter und Historiker wünschen?

Von Wrochem: Ich finde Filme wichtig, die dieses Thema nicht nur auf einer sehr abstrakten gesellschaftlichen Ebene aushandeln, sondern auch mit persönlichen Erinnerungen und Biografien verknüpfen. Am Ende ist es das, was die Menschen erreicht, nämlich das Schicksal von Menschen. Trotzdem bleibt es wichtig, ein bisschen auch den Kontext darzustellen. Nur eine Biografie zu erzählen, ist zu wenig, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie die damaligen Verhältnisse waren.

Das Gespräch führte Anna Novák.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 11.09.2024 | 16:45 Uhr

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