Erst Venedig-Jury, jetzt Kinostart: Julia von Heinz im Gespräch
Gerade saß Julia von Heinz noch in der Jury der Filmfestspiele von Venedig, nun startet ihr eigener Film "Treasure" in den Kinos. Im Gespräch verrät die Filmemacherin unter anderem, wer ihre Vorbilder sind - und warum.
Am Sonnabend wurden am Lido in Venedig der Goldene und die Silbernen Löwen des ältesten Filmfests der Welt verliehen. Juryvorsitzende Isabelle Huppert und ihre Jury verliehen dem Spanier Pedro Almodóvar den Hauptpreis für sein englischsprachiges Kinodebüt "The Room next door" mit Tilda Swinton und Julianne Moore. Bereits vor dem Festival sprach die deutsche Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Julia von Heinz mit NDR Kultur darüber, was ihr die Aufgabe beim Filmefest Venedig bedeutet und sprach über ihren neuen Film "Treasure".
Als Regisseurin steht von Heinz für erfolgreiche Fernsehserien wie "Eldorado KaDeWe" und Kinofilme wie "Hanni & Nanni 2", als Wissenschaftlerin steht sie unter anderem für eine Arbeit über "den Einfluss des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf den deutschen Kinofilm". Die in West-Berlin geborene und in Bonn aufgewachsene Filmemacherin schloss sich nach einem Überfall von Neonazis bei ihrer 15. Geburtstagsfeier in den Rheinauen der Antifa an und verarbeitete diese Zeit in ihrem preisgekrönten Film "Und morgen die ganze Welt".
In Ihrem neuen Film "Treasure" geht es um die Reise einer Tochter mit ihrem jüdischen Vater nach Polen, auf der Suche nach ihren jüdischen Wurzeln. Der Ton des Filmes ist in weiten Teilen sehr leicht. Sie haben in einem Interview gesagt, Sie möchten kein politisches Pamphlet machen, sondern Sie möchten unterhalten. Ist das für Sie eine bessere Form, mit diesem Thema umzugehen als zum Beispiel Filme wie "Zone of Interest"?
Julia von Heinz: Nicht die bessere, nein, aber auch eine, die es geben sollte. Es kommt ganz und gar darauf an, für wen man eigentlich den Film macht. Wen wünscht man sich als Publikum, wenn es darum geht, die richtige Haltung, den richtigen Tonfall zu finden? "Zone of Interest" finde ich einen genialen Film, der aber auf sehr viel Vorwissen aufbaut.
Alles, was auf der anderen Seite der Mauer ist, setze ich beim Zuschauenden voraus, um all das, was nur auf der Tonebene gehört wird, zu imaginieren. Das ist also ein Film, den man nicht so gut 1960 hätte zeigen können, weil die Leute damals noch zu wenig Vorstellung davon hatten, wie es auf der anderen Seite des Zaunes aussah.
Ein Film wie "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist wiederum optimal, wenn junge Schülern aus der Perspektive eines Kindes erleben sollen, was der Holocaust bedeutet hat und die plötzliche Verfolgung von Juden innerhalb unserer Gesellschaft. Mein Film richtet sich wieder an völlig andere Leute, weil es der erste Film zur zweiten Generation ist und zum transgenerationalen Trauma, was noch gar nicht erzählt wurde, wo wir zum ersten Mal unseren Blick hinwenden.
Gibt es für Sie im politischen deutschen Kino Vorbilder?
Julia von Heinz: Zu 100 Prozent Margarethe von Trotta. Ihr Film "Die bleierne Zeit" war für mich maßgeblich und inspirierend für meinen Film "Und morgen die ganze Welt". Sie hatte es geschafft, einen hochpolitischen Film auf die ganz persönliche Beziehungsebene herunterzubrechen, nämlich auf die Beziehung zwischen zwei Schwestern. Das Element dieser zwei Schwestern habe ich in den Figuren Luisa und Batte wiederbelebt in "Und morgen die ganze Welt".
Hier sind es Freundinnen, die diese Militanz-Frage auf einer persönlichen Ebene verhandeln, die Margarethe von Trotta in "Die bleierne Zeit" die zwei Schwestern verhandeln lässt anhand der RAF-Zeit. Ich finde es meisterhaft, wie sie das gemacht hat. Außerdem ist sie für mich deshalb so wichtig, weil sie so konsequent große Frauenbiografien erzählt und damit aus dem Dunklen geholt hat.
Sie machen nicht nur Filme, Sie lehren auch Film als Professorin an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Wie ist das heute mit den Studenten? Empfinden Sie die als politischer im Gegensatz zu früher?
Julia von Heinz: Ersteres schon mal ja. Ich finde nicht, dass es jungen Leuten passiert, dass ihnen aus Versehen noch antifeministische Stereotype unterlaufen. Das passiert kaum noch. Es gibt kaum noch welche, die dafür nicht ein Bewusstsein haben. Auch für andere gesellschaftlich wichtige Themen gibt es ein sehr geschärftes Bewusstsein.
Sie waren dieses Jahr das einzige deutsche Mitglied in der Jury der Filmfestspiele von Venedig. Ist das ein Ritterschlag?
Julia von Heinz: Es ist ein Ritterschlag, es ist eine riesengroße Ehre, und es ist vor allem ein Geschenk. Man ist als Filmemacherin oft im pragmatischen, alltäglichen Machen und Tun und kann sich nicht so wirklich den Blick auf diese tolle Kunstform erlauben und Form und Inhalt eines Filmes in aller Ruhe betrachten und mit so hochkarätigen Menschen diskutieren und besprechen. Das ist für mich ein solches Geschenk, zehn Tage lang nichts anderes machen, als unglaublich gute Filme zu schauen und sie mit Kolleg*innen zu besprechen, die ich schon lange verfolge und bewundere, unter anderem Regisseurin Agnieszka Holland. Das ist ein Geschenk, und ich konnte es eigentlich kaum glauben, dass ich das machen darf.
Das Gespräch führte Bettine Peulecke.
Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.