Superstar des Tanzes: John Neumeier - von den Anfängen bis heute
John Neumeier hat am Sonntagabend seinen Abschied als Chef des Hamburg Balletts gefeiert. 1973 war er der jüngste Ballettdirektor Deutschlands, nun ist er der älteste der Welt: eine Würdigung des US-amerikanischen Superstars des Tanzes.
"Ich glaube das, was passiert in der Welt, und das, was mir persönlich passiert, spielt immer eine Rolle in dem, was ich mache. Denn ich glaube, dass Tanz eine Kunst der Gegenwart ist", sagte John Neumeier einmal. Die Kunst der Gegenwart: Man empfindet, man erlebt John Neumeiers Ballette im Augenblick ihrer Entstehung auf der Bühne. Er erzählt die Mythen der Welt mit den Körpern seines Ensembles neu, indem er Schicht um Schicht übereinander legt: klassische Bewegungsformen, athletische Gesten, wuchtige Bilder und gebrochene Charaktere, die über sich hinauswachsen, als würde er von sich erzählen.
Inspiriert durch Gene Kelly und Vaslav Nijinsky
"Meine Welt ist Tanz!" Immer schwingt dieser Gestus mit: dieses Kleine, zutiefst Menschliche und das Große, Übermenschliche - ob in den großen Balletten "Romeo und Julia", "Peer Gynt" oder Bachs Matthäuspassion: "Soweit ich mich zurückerinnern kann, habe ich mich immer bewegt, habe mich herum geschmissen im Haus und musste meine Eltern überzeugen, dass ich Unterricht bekommen könnte", erzählt Neumeier in einem Interview.
Geboren wird er in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin. Sein Vater geht als Kapitän zur See, die Mutter kümmert sich um die Kinder. Durch Bücher und Fernsehaufführungen kommt er zum Tanz, inspiriert von Stars wie Gene Kelly und Vaslav Nijinsky.
John Neumeier: Ein Leben für den Tanz
1973 wird John Neumeier mit 34 Jahren Ballettdirektor in Hamburg - und stößt viele vor den Kopf. Er kündigt 16 Verträge, kein optimaler Start. Dann fordert er eine öffentliche Ballettwerkstatt: Er bekommt sie - zuletzt gab es die 241. Ausgabe - und die Menschen rannten ihm die Bude ein - und schließlich das Ballettzentrum in Hamburg-Hamm, wo er die Talente von morgen unterrichtet. Er hat jahrelang dafür gekämpft, sogar seinen Job in die Waagschale geworfen. 2006 gründet er die "Stiftung John Neumeier", um seine einzigartige Tanz- und Ballettsammlung für Hamburg zu sichern. 2011 ruft er das Bundesjugendballett ins Leben.
John Neumeier ist im Tanzolymp angekommen, wird mit Auszeichnungen überhäuft, erhält den Kyoto-Preis, zuletzt den Orden pour le Mérite. 2007 wird er zum Ehrenbürger der Stadt Hamburg. "Ich habe kein Bild davon, was ein Ehrenbürger an einem einsamen Sonntag macht": ein Weltstar mit feinem Humor. Trotz seiner 85 Jahre wirkt er fast jungenhaft und alterslos.
Auserzählt ist dieser Ausnahmekünstler nicht
Dass für ihn Tanz eine Kunst der Gegenwart ist, bedeutet auch: Die Gegenwart, mit all ihren Krisen und Kriegen, fließt mit ein in seine Arbeit. John Neumeier hat erst im Frühjahr für Debatten gesorgt, als er erlaubte, dass sein Ballett "Anna Karenina" am Bolschoi in Moskau gezeigt wird. "Dieses Werk verkörpert alles, was gegen dieses Regime ist", erklärte Neumeier damals. "Es ist das Werk eines geborenen Amerikaners, der homosexuell ist, der kein Geheimnis daraus macht, auch in Russland nicht."
Sein politisches Engagement zeigt sich auch darin, dass er sich für geflüchtete ukrainische Tänzer und Tänzerinnen einsetzt - oder dass er den im NS-Regime verfolgten Tänzern und Tänzerinnen in "Die Unsichtbaren" ein Denkmal setzt. Schon früher betonte er: "Ich sehe Ballett nicht als reine Unterhaltung, sondern ich gehe ins Theater, weil ich etwas über mich erfahren will." John Neumeier: Auserzählt ist dieser Ausnahmekünstler nicht.